Vor 5 Jahren: Kinderschutzgipfel stellte neue Weichen
Anne Preckel - Vatikanstadt
Den Missbrauch und Maßnahmen dagegen stärker in den Fokus der kirchlichen Verantwortlichen zu rücken, war ein Hauptanliegen der Vatikankonferenz. Während die Kirche in einigen Ländern bereits über Prävention sprach, war in anderen Gegenden Missbrauch noch tabu. Auf der römischen Konferenz sollten ein breiteres Problembewusstsein bei den kirchlichen Entscheidungsträgern geschaffen und jene Bereiche abgesteckt werden, wo es am meisten Handlungsbedarf gab. Auch sollten existierenden Prozeduren und Leitlinien im Umgang mit Missbrauch ins Gedächtnis gerufen werden.
Papst: Opfer sollen Vorrang haben
Papst Franziskus rief bei dem kirchlichen Kinderschutzgipfel in einer Grundsatzrede zum Mentalitätswechsel in der Kirche auf, „um die Abwehrhaltung zum Schutz der Institution zu bekämpfen“. Den Opfern müsse „in jeder Hinsicht Vorrang“ gegeben werden, betonte der Papst, Ziel der Kirche werde sein, „den missbrauchten, ausgebeuteten und vergessenen Minderjährigen, wo auch immer sie sich befinden, zuzuhören, sie zu bewahren, zu schützen und zu betreuen“, kündigte er an. Missbrauch komme weltweit und in jedem Umfeld vor, spannte Franziskus einen weiten Bogen. Im Bereich der Kirche sei er aber „noch schwerwiegender und skandalöser“, weil solche Übergriffe „im Gegensatz zur moralischen Autorität und ethischen Glaubwürdigkeit der Kirche“ stünden, so der Papst. Der Missbrauch rühre an das Herzstück der kirchlichen Mission, nämlich an die Verkündigung und die Sorge um die Kleinsten, formulierte er.
Pastorale Sorge für die Betroffenen und die Verantwortlichkeit der Bischöfe, Transparenz und Prävention waren Themen, die bei der Kinderschutzkonferenz (hier das gesamte Programm) zur Sprache kamen. Erprobte Praktiken im Umgang mit Missbrauchsfällen sollten dabei Orientierung geben. So nahmen die rund 190 Teilnehmer der Konferenz zum Start der Tagung etwa Empfehlungen von Bischofskonferenzen entgegen, die Kinderschutz bereits aktiv angegangen waren. Nach Impulsreferaten verschiedener Experten tauschten sich die Teilnehmenden bei der Konferenz in Gruppenarbeit aus. Diese Arbeiten waren nicht öffentlich, wohingegen die Papstreden und Vorträge allesamt im Livestream verfolgt werden konnten.
Verschiedene Aspekte des Themas
Die Impulsreferate von Experten und Kirchenvertretern gingen auf verschiedene Aspekte des Themas ein. Mehrere Beiträge drehten sich um die Tatsache, dass die Kirche das Problem synodal und als Gemeinschaft angehen müse. Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen könne gemeinsam durch Bischöfe und Laien geleistet werden, zeigte sich etwa die vatikanische Laien-Beauftragte Linda Ghisoni, eine italienische Kirchenrechtlerin, in ihrem Vortrag zuversichtlich. Sie war eine von drei Frauen unter den insgesamt neun offiziellen Referenten bei der Konferenz. Konkret sprach sich Ghisoni für Verbesserungen der Richtlinien der einzelnen Bischofskonferenzen und diözesane Schutzbeauftragte aus.
Kardinal Rubén Salazar Gómez, Präsident des Lateinamerikanischen Bischofsrates Celam, führte in seiner Rede Klerikalismus als eine der Ursachen für die Krise des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche in der Kirche an. Mit einem Zitat aus dem Brief von Papst Franziskus an das Volk Gottes vom August 2018 sagte er: „Nein zu Missbrauch zu sagen, bedeutet ein entschiedenes Nein zu allen Formen des Klerikalismus zu sagen“. Es gebe „keine Rechtfertigung dafür, Missbrauch, der in unserer Kirche auftritt, nicht anzuprangern, nicht zu entlarven, ihm nicht mutig und energisch entgegenzutreten", hielt Salazar Gómez fest.
„Warum hat die klerikale Kirche so lang geschwiegen?“, fragte die afrikanische Ordensoberin Veronica Openibo auf dem internationalen Gipfel kritisch in die Runde. Sie bemängelte, dass die hierarchische Struktur der Kirche nicht für klare Kommunikation genutzt worden sei, und sprach das Problem der Vertuschung an. „Verstecken wir nie mehr solche Fakten aus Angst, einen Fehler zu machen“, appellierte sie. „Zu oft wollen wir schweigen, bis der Sturm vorübergeht. Dieser Sturm wird nicht vorübergehen. Auf dem Spiel steht unsere Glaubwürdigkeit.“
Der maltesische Erzbischof Charles Scicluna mahnte bei der Konferenz an, dass beim Umgang mit Missbrauchsfällen vorgesehene Prozeduren eingehalten werden müssten, und verwies auf das Kirchenrecht sowie die jeweiligen Gesetze der verschiedenen Länder. Ausdrücklich riet der Kinderschutzfachmann den kirchlichen Verantwortungsträgern, den Kontakt zu Betroffenen zu suchen und das „Kreuz der Opfer“ mitzutragen.
Die mexikanische Journalistin Valentina Alazraki ging auf die Rolle der Kommunikation und Medien ein. Zwar wüssten auch Journalisten sehr wohl, dass Missbräuche nicht auf die Kirche beschränkt seien. „Aber Sie müssen verstehen, dass wir mit Ihnen strenger sein müssen als mit anderen, aufgrund ihrer moralischen Aufgabe.“ Es sei falsch, die Berichterstatter für die Skandale verantwortlich machen zu wollen, so die Journalistin. Dagegen seien Expertise und professionelle Kommunikation ratsam, damit die Kirche gut und transparent mit dem Thema umgehen könne.
Konkrete Ergebnisse
Teilnehmer berichteten im Anschluss, besonders die Begegnung mit Missbrauchsüberlebenden bei der Kinderschutzkonferenz habe sie bewegt und verändert in ihre eigene Ortskirche zurückkehren lassen. Geschichten mehrerer Betroffener wurden bei der Konferenz verlesen beziehungsweise von Überlebenden selbst vorgetragen. Bei einer gemeinsamen Bußliturgie dachten die kirchlichen Entscheidungsträger über ihre eigenen Verantwortlichkeiten und Versäumnisse nach: ,Was weiß ich über die Menschen in meiner Diözese, die von Priestern, Diakonen und Ordensleuten missbraucht und verletzt worden sind? Habe ich den Opfern geholfen, ihnen zugehört?‘, das waren einige der dort gestellten Fragen.
In der Rückschau hat der internationale Kinderschutzgipfel von 2019 zu mehr Sensibilität und Bewusstsein unter kirchlichen Verantwortungsträgern beigetragen. Vor allem die Konfrontation mit dem Leid der Opfer und den Folgen des Missbrauchs habe eine Atmosphäre der „gemeinsamen Betroffenheit“ erzeugt, berichtete Kardinal Christoph Schönborn nach der Konferenz in einem Interview. Mit dem Kinderschutzgipfel hat der Papst den Blick auf die institutionelle Verantwortung der Kirche gelenkt: Gemeinsam muss daran gearbeitet werden, Aufarbeitung und Prävention weltweit zu etablieren und zu verbessern.
Ein konkretes Ergebnis der vatikanischen Kinderschutzkonferenz war der Papsterlass „Vos estis lux mundi“ vom Mai 2019, in dem der Papst die Rechenschaftspflichten von kirchlichen Amtsträgern und Amtsträgerinnen hervorhob und bei Vertuschung oder anderen Verstößen Sanktionen vorsah. In einigen Ländern hat dies bereits zu Rücktritten kirchlicher Würdenträger geführt. Auch leitete Papst Franziskus mit dem Gesetz die Einrichtung von Kinderschutz-Anlaufstellen in allen Diözesen weltweit ein, woraufhin viele Ortskirchen und Ordensgemeinschaften Kinderschutzbeauftragte einsetzten.
Zudem hob Papst Franziskus im Dezember 2019 das sogenannte „päpstliche Geheimnis“ im Fall von Missbrauch durch Priester auf. Die Maßnahme führte dazu, dass Aussagen in Kirchenprozessen auch an zivile Behörden gehen. Außerdem konnten fortan kirchenrechtlich geschulte Laien in Missbrauchsprozessen als Anwälte auftreten, eine Rolle, die bisher Priestern vorbehalten war.
Im Juli 2020 wurde ein von der damaligen Kongregation für die Glaubenslehre ausgearbeitetes Vademecum fertiggestellt und veröffentlicht, das der Papst als eines der ersten Ziele des Treffens von 2019 bezeichnet hatte. Es erläutert Bischöfen Schritt für Schritt, wie sie bei Missbrauchsverdacht und in der Präventionsarbeit zu verfahren haben. Außerdem wurden kirchliche ,Task Forces' angekündigt, die die Umsetzung vor Ort kontrollieren sollen.
Für den Vatikanstaat und die im Ausland befindlichen Nuntiaturen erließ der Papst im Nachgang zur Kinderschutzkonferenz ein Motu proprio, ein Gesetz und pastorale Leitlinien zum Schutz von Minderjährigen und anderen verletzlichen Personen.
(vatican news)
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