Kardinal Kurt Koch Kardinal Kurt Koch 

Wortlaut: Predigt von Kardinal Kurt Koch vom 16. Februar 2024

Wir dokumentieren hier die offizielle Übersetzung der Predigt, die Kardinal Kurt Koch am Donnerstagabend im Petersdom gehalten hat. Der vatikanische Ökumene-Beauftragte Kardinal Kurt Koch hat am Donnerstagabend im Petersdom ein ökumenisches Gebet zum Gedenken an die 21 koptisch-orthodoxen Märtyrer von Libyen geleitet.

Jesus Christus der Erzmärtyrer

Jesus nennt seine Jünger nicht Knechte, sondern Freunde. Darin besteht das kostbare Geschenk Jesu an seine Jünger. Dieses Geschenk hat Jesus seinen Jüngern nicht nur mit Worten zugesprochen, sondern mit seinem eigenen Leben bezahlt, indem er sich selbst am Kreuz für sie hingegeben hat: „Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15, 13). In diesem Wort ist das tiefe Geheimnis des christlichen Martyriums verdichtet.

 

Dies gilt zunächst im Blick auf Jesus Christus selbst, der die Gewalt, die Menschen ihm angetan haben, nicht mit Gegengewalt und Rache beantwortet, sondern in Liebe für uns Menschen umgewandelt hat. Denn die einzige Rache, die Jesus kennt, ist das Kreuz, nämlich kategorisches Nein zur Gewalt und Liebe bis zum Ende. Jesus Christus ist der Gute Hirte, der selbst dann nicht von seiner liebenswürdigen Suche nach dem Verlorenen ablässt, wenn die bösen Mächte in den Menschen entbrennen und den Guten Hirten selbst tödlich treffen. Am Kreuz ist Jesus Christus, der Gute Hirte, selbst Lamm geworden und hat sich auf die Seite der geschundenen Lämmer gestellt und sie erlöst. Seine Liebe zeigt sich nirgendwo so konkret und so hautnah wie am Kreuz; es ist die radikalste Konsequenz seiner Liebe für uns Menschen.

 

Am Kreuz Jesu wird sichtbar, dass Liebe nicht ohne Investition des eigenen Lebens zu Gunsten der Anderen sein kann und es kommt an den Tag, was der christliche Glaube unter Opfer versteht. Das wahre Opfer Jesu Christi besteht nicht mehr in der Opferung von Tieren und Sachen für Gott, sondern in der Selbstgabe des Sohnes an den Vater für uns Menschen. Jesus konnte es nicht genügen, Gott irgendwelche materiellen Opfer – Tieropfer und Sachopfer, wie dies im Jerusalemer Tempel der Fall gewesen ist – darzubringen. Jesus hat nicht irgendetwas dargebracht, sondern sich selbst. So ist er zum neuen Tempel geworden und hat eine neue Gestalt des Gottesdienstes in die Welt gebracht, die Jesus am Kreuz in der Hingabe seines Lebens für uns vollzogen hat.

 

Diese neue Liturgie ist das Opfer, das Jesus dargebracht hat, um uns seine Liebe nicht nur mit verbalen Liebeserklärungen zu zeigen, sondern um uns in der Hingabe seines Lebens seine Liebe, die ohne Grenzen ist, erfahren zu lassen. Das Kreuz ist die Erscheinung der grössten Liebe Jesu, und an ihm kommt an den Tag, dass Jesus Christus der Erzmärtyrer und so der wahre Freund der Menschen ist.

 

Martyrium als Teilhabe am Paschageheimnis Christi

Die Passion Jesu ist das Ur-Martyrium, und es ist zugleich das Ur-Bild des Martyriums der Christen, die ihm nachfolgen und aus Liebe zu ihm ihr Leben hingeben, indem sie am Martyrium Jesu Anteil erhalten. Denn am Ur-Martyrium Jesu muss abgelesen werden, was ein Märtyrer im christlichen Geist ist. Wie Jesus sich ganz am Willen seines himmlischen Vaters für uns Menschen orientiert und wegen seiner unendlichen Liebe zu uns Menschen am Kreuz sein Leben hingegeben hat, so zeichnet sich auch der christliche Märtyrer dadurch aus, dass er das Martyrium nicht sucht, es aber, wenn es unausweichlich auf ihn zu kommt, als Konsequenz seiner Treue zu seinem Glauben auf sich nimmt.

 

Die Tradition der Katholischen Kirche erblickt von daher das Martyrium noch nicht im Getötetwerden. Nicht der Tod an sich macht einen Christen zum Märtyrer, sondern der innere Grund und damit seine Gesinnung, wie dies der heilige Augustinus klassisch formuliert hat: „Christi martyrem non facit poena, sed causa.“ Wenn wir das christliche Martyrium an Jesus Christus orientieren, dann besteht sein entscheidendes Merkmal in der Liebe. Der Märtyrer setzt den Sieg der Liebe über Hass und Tod in die Tat um. Und das christliche Martyrium erweist sich als höchster Akt der Liebe zu Gott und den Brüdern und Schwestern im Glauben, wie es das Zweite Vatikanische Konzil betont: „Das Martyrium, das den Jünger dem Meister in der freien Annahme des Todes für das Heil der Welt ähnlich macht und im Vergiessen des Blutes gleichgestaltet, wertet die Kirche als hervorragendes Geschenk und als höchsten Erweis der Liebe.“[1]

 

Dies haben die koptisch-orthodoxen Märtyrer, die am 15. Februar 2015 in Libyen in grausamer Weise hingerichtet worden sind und deren wir heute in Dankbarkeit für ihr Glaubenszeugnis gedenken, mit der Hingabe ihres Lebens bezeugt. Sie haben damit auch eine Wirklichkeit in Erinnerung gebracht, die wir gerne vergessen oder gar verdrängen, die Jesus aber klar vorausgesagt hat: „Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht grösser als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15, 20). Gemäss diesem Wort Jesu müssen wir realistischerweise davon ausgehen, dass die Nachfolge Jesu Christi immer auch das Martyrium einschliessen kann, das das höchste Zeugnis der Liebe ist. Die Märtyrer der Kirche sind keine Randerscheinung, sondern gehören in die Mitte der Kirche.

 

Das Martyrium ist ein Wesensmerkmal des Christentums. Diese Überzeugung hat sich im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder bewahrheitet. Sie bestätigt sich auch in der heutigen Welt, in der es sogar mehr Märtyrer als während den Christenverfolgungen in den ersten Jahrhunderten gibt. Achtzig Prozent aller Menschen, die heute wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sind Christen. In der heutigen Welt ist der christliche Glaube die am meisten verfolgte Religion. Die Christenheit ist erneut und in unvergleichlichem Ausmass Märtyrerkirche geworden.

 

Ökumene der Märtyrer

Diese Realität hat Papst Johannes Paul II. in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht, als er im Jubiläumsjahr 2000 zu einer ökumenischen Feier an den historisch symbolträchtigen Ort vor dem Kolosseum in Rom eingeladen hat, um in Anwesenheit von hohen Vertretern verschiedener Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften der Märtyrer des 20. Jahrhunderts zu gedenken und auf ihre Glaubenszeugnisse zu hören. In dieser Feier ist sichtbar geworden, dass heute alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ihre Märtyrer haben. Christen werden heute nicht verfolgt, weil sie einer bestimmten christlichen Glaubensgemeinschaft angehören, sondern weil sie Christen sind. Das Martyrium ist heute ökumenisch, und man muss von einer eigentlichen Ökumene der Märtyrer sprechen, wie dies Papst Johannes Paul II. deutlich ausgesprochen hat: „Das Zeugnis für Christus bis hin zum Blutvergiessen ist zum gemeinsamen Erbe von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern und Protestanten geworden.“[2]

 

In der Ökumene der Märtyrer hat Papst Johannes Paul II. bereits eine grundlegende Einheit unter uns Christen wahrgenommen und darauf gehofft, dass die Märtyrer der Christenheit helfen werden, die volle Gemeinschaft wiederzufinden. Denn die Märtyrer sind „der bedeutendste Beweis dafür, dass in der Ganzhingabe seiner selbst an die Sache des Evangeliums jedes Element der Spaltung bewältigt und überwunden werden kann“[3]. Wie die frühe Kirche überzeugt gewesen ist, dass das Blut der Märtyrer Same von neuen Christen ist, so dürfen wir auch heute im Glauben hoffen, dass sich das Blut von so vielen Märtyrern unserer Zeit einmal als Same der vollen ökumenischen Einheit des von so vielen Spaltungen verwundeten Leibes Christi erweisen wird. Wir dürfen sogar überzeugt sein, dass wir im Blut der Märtyrer bereits eins geworden sind.

 

In der Ökumene der Märtyrer begegnet uns damit auch eine grosse Herausforderung, die Papst Franziskus in dem einprägsamen Satz zum Ausdruck gebracht hat: „Wenn uns der Feind im Tod vereint, wie kommen wir dann dazu, uns im Leben zu trennen?“[4] Denn das Leiden so vieler Christen in der heutigen Welt bildet eine gemeinsame Erfahrung, die uns hilft, einander näher zu kommen. Und die Gemeinschaft der Märtyrer spricht zweifellos die deutlichere Sprache als die Spaltungen, die uns bis heute noch trennen.

 

In diesem Geist der Ökumene des Blutes hat Papst Franziskus das Zeugnis der koptisch-orthodoxen Märtyrer immer wieder sehr wertgeschätzt. Indem er als „Zeichen der geistlichen Gemeinschaft, die unsere beiden Kirchen eint“, sie ins Martyrologium Romanum aufgenommen hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die koptisch-orthodoxen Märtyrer auch Glaubenszeugen in der Katholischen Kirche, dass sie auch unsere Märtyrer sind.

 

In Dankbarkeit für die hoffnungsvolle Verheissung einer tiefen Gemeinschaft im Glauben und in besonderer Dankbarkeit für das starke Glaubenszeugnis der koptischen Brüder bitten wir diese Märtyrer, dass sie im Himmel Fürsprache für uns und unsere Kirchen halten und uns im Glauben stärken. Denn das Wort Märtyrer leitet sich vom Griechischen „martys“ ab und bedeutet „Zeuge“. Zum Zeugnis in Wort und Leben sind wir alle berufen und brauchen jene Ermutigung, die wir vom Zeugnis der Märtyrer, heute besonders der koptisch-orthodoxen, empfangen dürfen. Amen

 

Lesung: Joh 15, 12-15

 

Comp: KoptischeMärtyrer2024

 

[1]  Lumen gentium, Nr. 42.

[2]  Johannes Paul II., Tertio millennio adveniente, Nr. 37.

[3]  Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 1.

[4]  Franziskus, Ansprache an die Bewegung der Charismatischen Erneuerung am 3. Juli 2015.

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16. Februar 2024, 16:05