Kardinal Tomasi: „Der moralische Kompass ist zerbrochen“
Deborah Castellano Lubov und Valerie Nusser - Vatikanstadt
Kardinal Silvano Tomasi warnt davor, inmitten des derzeitigen globalen „Klimas“ mit vielen anhaltenden Konflikten die Frage nach dem Recht auf Selbstverteidigung ins Zentrum zu stellen: „Wenn bei dem Versuch, sich zu verteidigen, alles verloren geht, was bleibt dann noch zu verteidigen? Wir kennen nicht alle Folgen, nicht alle Schäden, die angerichtet werden, und wir kennen nicht die Zahl der zivilen Opfer, die damit verbunden sind“, so Tomasi.
Zu viel Gleichgültigkeit und Waffen
Der Kardinal, der seit 2020 Spezialbeauftragter des Papstes für den Souveränen Malteserordens ist, kritisiert auch „zu viel Gleichgültigkeit gegenüber der Tatsache, dass Abrüstung notwendig ist“. Die Folgen einer Nicht-Abrüstung seien „so gefährlich, dass es zu einer Verantwortung wird, darüber informiert zu sein“. Tomasi appellierte, der angedrohte Einsatz von Atomwaffen würde „diesen Planeten zu einer Wüste machen, und wir wissen nicht, für wie lange“.
Deshalb begrüßt Tomasi die wiederholten Appelle von Papst Franziskus zur Abrüstung: „Der Papst spielt seine Rolle als Gewissen der Menschheit auf eine sehr deutliche und eindringliche Weise“. Kardinal Tomasi, der jahrzehntelang als Diplomat für den Heiligen Stuhl arbeitete, sagt uns im Interview, er habe das Gefühl, dass Franziskus „die einzige vernünftige Stimme ist, die wir in diesem Moment haben, wenn wir über das Problem diskutieren... Er erweist der Menschheitsfamilie einen großen Dienst“.
Keine Alternative zu Franziskus‘ Aufruf zu gemeinsamen Gesprächen
Tomasi sieht keine Alternative zu dem Aufruf des Papstes, Schwierigkeiten, Ungerechtigkeiten und Probleme durch Gespräche und vernünftige Vereinbarungen zu lösen. „Alle anderen Mittel, die bisher eingesetzt wurden, haben sich als nutzlos erwiesen. Sie haben sich sogar als gefährlicher erwiesen als erwartet“, so der Kardinal.
Viele Konflikte und Kriege in der Welt werden ignoriert
Mit Blick auf den Schutz der Menschenrechte und Menschenwürde, zeige die derzeitige globale Prioritätensetzung, dass sie in einigen Ländern zählten, in anderen nicht. „Aber der Mensch ist an sich wertvoll, unabhängig davon, woher er kommt oder wo er ist“, betont der Kardinal. Dies habe er in seiner Zeit als Nuntius in Äthiopien und Eritrea direkt erlebt. Die internationale Gemeinschaft war damals, so Tomasi, nicht sehr von dem aktiven Krieg zwischen den beiden Ländern betroffen, der zehntausende Opfer forderte. „Ich habe die Leichen gesehen. Die Grenze, an der gekämpft wurde..." Unterschiedliche öffentliche Aufmerksamkeit sieht er darin begründet, „dass bestimmte Personen oder bestimmte Länder die gesamte Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen und anderen Anliegen nicht viel Raum lassen“. Auch hier sehe er, dass die Stimme des Papstes die Einzige sei, die auf die Probleme hinweise, wo auch immer sie sind, so der Kardinal.
Die Regierungschefs und die politischen Führer im Allgemeinen wollten nicht wahrhaben, so Tomasi, dass niemand auf lange Sicht ein Gewinner ist. Das Leid hole jeden ein. Jeder müsse sich die Dringlichkeit der Forderungen des Papstes und vernünftiger Menschen eingestehen, „die Kämpfe zu beenden, den Eltern das Leid zu ersparen, ihre Kinder tot zu sehen, und die Ressourcen zu nutzen, die leider in den Krieg investiert werden“. Es gehe darum, diese Mittel zu nutzen, um in den armen Ländern eine Antwort zu finden, „die ihnen ein Minimum an Lebensbedingungen bietet, die das Leben erträglich macht und zu einer Freude statt zu einem Leid werden lässt“, so die Forderungen des Kardinals.
Von Mentalität der Angst zu Mentalität des Vertrauens
Die Notwendigkeit, neue Modelle für den Frieden zu finden, betont Kardinal Tomasi auch mit Blick auf den Nahen Osten. „Wir müssen über die Tatsache nachdenken, dass all die verschiedenen Ansätze, die in der Vergangenheit versucht wurden, nicht erfolgreich waren. Vielleicht sollten wir berücksichtigen, dass sowohl Muslime als auch Israelis Menschen sind, die an Gott glauben, und die wissen, dass der Bund zwischen Gott und den Menschen Treue zu diesem Bund und eine gute friedliche Beziehung erfordert“, so der Kardinal. Ein wichtiger erster Schritt für die Schaffung von Frieden sei dabei, von einer Mentalität der Angst zu einer Mentalität des Vertrauens überzugehen.
(vatican news – vn)
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