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Das Vatikangericht Das Vatikangericht 

Urteilsbegründung im London-Prozess hinterlegt

Auf mehr als 700 Seiten hat das Vatikan-Gericht die Gründe für sein im Dezember 2023 veröffentlichtes Urteil erläutert. Erklärt wurde auch, dass die Angeklagten ein faires Verfahren mit allen Garantien hatten.

Die Investition, die Mincione im Jahr 2014 in den Hochrisikofonds getätigt hatte, sei ein Wagnis gewesen, das gegen die von den Vorschriften geforderte Vorsicht verstieß; bei Torzis Verhalten dem Staatssekretariat gegenüber habe es sich um schweren Betrug und Erpressung gehandelt. Auch dass Becciu 600.000 Euro an Cecilia Marogna übergeben habe, wird als schwerwiegend bezeichnet. Der Zeuge Perlasca wurde für unzuverlässig erklärt.

Ein komplexes Verfahren

Insgesamt handelte es sich um eine komplexe Untersuchung, in der mehrere Ermittlungsstränge miteinander verwoben wurden. Der umfassende Prozess, der sich über 86 Verhandlungstermine hinzog, konnte nur mit einem ebenso komplexen Urteil enden. Dieses wurde am Dienstag, 29. Oktober 2024, in seinen Einzelheiten hinterlegt und bestätigt die Entscheidungen des von Giuseppe Pignatone geleiteten Gerichts, das im Dezember 2023 fast alle Angeklagten für einige Vergehen verurteilte, während es sie für andere freisprach: Kardinal Giovanni Angelo Becciu und Raffaele Mincione wurden der Veruntreuung für schuldig befunden; Enrico Crasso wegen des Vergehens der Geldwäsche; Gianluigi Torzi und Nicola Squillace wegen schweren Betrugs und Torzi auch wegen Erpressung im Komplott mit Fabrizio Tirabassi; Tirabassi selbst wegen Geldtwäsche. Becciu und Cecilia Marogna wurden des schweren Betrugs für schuldig befunden.

Schutzmaßnahmen für die Angeklagten

Das Urteil hebt zunächst die zahlreichen gesetzlichen Neuerungen hervor, die seit 2010 in der vatikanischen Gesetzgebung eingeführt wurden, um sich an „internationale Modelle und bewährte Praktiken“ anzupassen, die auf eine größere interne Transparenz abzielen, um zu verhindern, dass „Verbrechen ungestraft begangen werden“ durch diejenigen, die im Staat und am Heiligen Stuhl tätig sind. Der Gerichtshof geht dann Punkt für Punkt auf die Vorwürfe der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention ein und erklärt, dass „das vatikanische Rechtssystem den Grundsatz eines ordnungsgemäßen Verfahrens anerkennt, den Grundsatz der Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung, die in der Tat in den geltenden Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind“.

In der Begründung heißt es weiter, das Gericht habe sich „in der Überzeugung, dass das Kreuzverhör zwischen den Parteien die beste Methode ist, um die Verfahrenswahrheit zu erlangen“ und konkrete Erkenntnisse zu gewinnen, „stets bemüht, unter Ausnutzung der Spielräume, die der geltende Rechtsrahmen (…) bietet, Auslegungen und praktische Vorgehensweisen zu wählen, die die Wirksamkeit des Kreuzverhörs gewährleisten und den Parteien und insbesondere der Verteidigung den größtmöglichen Raum geben“. Rechtmäßig gewesen sei auch die Entscheidung des Kirchenanwaltes, nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Whatsapp-Nachrichten zu hinterlegen, da sie mit anderen Straftaten und anderen Ermittlungssträngen in Verbindung standen, so die Urteilsbegründung.

Klärung der Veruntreuung und der Rolle von Perlasca

Eine weitere wichtige Passage klärt das Wesen des Straftatbestands der Veruntreuung, der auch dann vorliege, wenn der Angeklagte kein Geld in die eigene Tasche gesteckt habe: Der italienische Kassationsgerichtshof identifiziert ihn in dem Fall, in dem der öffentliche Verwalter „die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, anstatt sie für die vorgesehenen Zwecke zu investieren, dazu verwendet, unter Verstoß gegen das Gesetz und die Satzung Anteile an Spekulationsfonds zu erwerben“. Daher bleibt die Straftat bestehen, auch wenn kein persönliches und direktes Interesse der Person besteht, die das Wagnis der Investition einer großen Summe in einen hochspekulativen Fonds genehmigt hat. Aus dem Dokument geht auch hervor, dass das Gericht Alberto Perlasca als unzuverlässig erachtete. Seine Aussagen seien „ohne autonome Beweiskraft für die Zwecke dieses Prozesses“ gewesen, während die gerichtliche Entscheidung „einzig und allein auf die Tatsachen stützte“, die als beweiskräftig eingestuft wurden.

Die 200-Millionen-Investition mit Mincione

Ein großer Teil des Urteils rekonstruiert minutiös die Übernahme der Operation Falcon Oil und die Zeichnung von Aktien des Athena Capital Commodities Fund und des Global Opportunities Fund (GOF) durch das Staatssekretariat unter Beteiligung von Raffaele Mincione mit der Zahlung von 200 Millionen Dollar (was etwa einem Drittel der dem Staatssekretariat damals zur Verfügung stehenden Mittel entsprach), wofür Mincione selbst, Kardinal Becciu, Crasso und Tirabassi wegen Veruntreuung verurteilt wurden.

Das Vergehen wurde bestätigt, weil sich herausstellte, dass „die Bereitschaft bestand, das Vermögen gegen die Interessen“ des Heiligen Stuhls zu verwenden. „Es kann nicht geleugnet werden“, heißt es in der Urteilsbegründung, ‚dass die illegale Verwendung von Kircheneigentum zu einem offensichtlichen und bedeutenden Vorteil für Mincione und seine Mitarbeiter als unmittelbare Folge des unbefugten Verhaltens“ von Kardinal Becciu geführt habe, „so dass es keine Rolle spielt, dass er nicht in der Absicht gehandelt hat, Gewinn zu erzielen, oder dass er keinen Vorteil erlangt hat“.

Die geltenden Vorschriften verlangten nämlich eine „umsichtige Verwaltung, die vor allem auf die Erhaltung des Vermögens abzielt, auch wenn sie versucht, es zu vermehren, indem sie die Gewinnchancen abwägt, auch wenn sie gegen eine mögliche und in jedem Fall überschaubare Verlustmöglichkeit abgewogen werden“. Daher seien der Risikoquotient, der Umfang des investierten Vermögens und die Möglichkeit, ein gewisses Maß an Kontrolle über die Verwaltung zu behalten, sowie die Kosten der Maßnahme zu berücksichtigen. In Anbetracht dieser Parameter habe die Investition in den von Raffaele Mincione verwalteten Fonds „zweifellos eine unerlaubte Verwendung“ der öffentlichen kirchlichen Vermögenswerte dargestellt, über die der damalige Substitut Becciu aufgrund seines Amtes verfügen konnte und deren Art und folglich auch die damit verbundenen rechtlichen Grenzen der Verwendung ihm sehr wohl bekannt waren“.

Die Rolle des Substituten Becciu

In dem Urteil wird hervorgehoben, dass der „General Partner“ Mincione „keine Verpflichtung eingegangen ist und weder eine Garantie für die Rendite der Investition noch für das Risiko des Verlusts des gesamten investierten Kapitals gegeben hat“ und „der Investor in Gestalt des Staatssekretariats keine Kontrollbefugnis hatte“. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass es nicht stimme, dass diese leichtfertige Verwendung der Gelder des Heiligen Stuhls von den beiden aufeinander folgenden Kardinalstaatssekretären (Tarcisio Bertone und Pietro Parolin) gebilligt worden sei.

Kardinal Becciu, so heißt es in dem Urteil, habe zugegeben, „dass er es war, der dem Amt aufgrund seiner früheren Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Geschäftsmann Mosquito die Angola-Operation vorschlug“, aus der später die Investition in Minciones Fonds wurde. Becciu war an der Operation sehr interessiert und persönlich involviert, so sehr, dass er direkten Kontakt zu Crasso aufnahm, was zuvor noch nie geschehen war. Der Kardinal selbst räumte ein, dass „es noch nie vorgekommen war, dass eine so große Summe einer einzigen Person anvertraut wurde“.

In dem Urteil wird auch festgestellt, dass es „einer Person mit der Erfahrung und den Fähigkeiten, über die der damalige Substitut Becciu anerkanntermaßen verfügte, sicherlich nicht entgangen sein kann“, wer Mincione war, sei es aus Presseberichten oder den Informationen der Gendarmerie des Vatikans, die von Geschäften mit ihm abgeraten hatte. „Es bleibt daher unerklärlich, dass keiner der in diese schwerwiegende Affäre verwickelten Beamten zumindest versucht hat, nach der endgültigen Beendigung der Falcon Oil-Operation die Beziehung zu Mincione durch einen ,Ausstieg‘ aus dem GOF-Fonds zu beenden“.

Der Beitrag von Mincione

„Raffaele Mincione“, so der Gerichtshof, „hat durch sein Verhalten entscheidend zur Begehung der hier zu prüfenden Veruntreuungshandlung beigetragen, deren Hauptnutznießer er im Übrigen war.“ Der Finanzier habe gewusst, dass ihm Gelder des Heiligen Stuhls anvertraut worden seien. Außerdem habe er immer direkt mit dem Staatssekretariat gesprochen, weshalb er sehr wohl gewusst haben müsse, dass er sich „nach den Regeln des vatikanischen Rechts“ zu verantworten habe.

Darüber hinaus „ist es schwer zu verstehen, warum Raffaele Mincione, der als umsichtiger Unternehmer in allen an der Operation Falcon Oil - GOF beteiligten Bereichen von Fachleuten auf höchstem Niveau und insbesondere von Anwaltskanzleien unterstützt wurde, die sich besonders gut mit dem englischen Recht, dem luxemburgischen Recht und dem Recht der Europäischen Union auskannten, es nicht für nötig hielt, das Gleiche für das vatikanische System zu tun, das, wie er sehr wohl wusste, die Tätigkeit der Einrichtung (Staatssekretariat) regelt, die ihm so hohe Summen zahlte“.

Die angebliche Unkenntnis der im Vatikan geltenden könne also nicht als Entschuldigung angeführt werden.

Torzi und der Kauf des Londoner Gebäudes

Der andere wichtige Punkt, auf den sich das Urteil bezieht, ist die zweite Phase der im November 2018 abgeschlossenen Londoner Transaktion, bei der Torzi 30.000 (von 31.000) Aktien von GUTT, also der Gesellschaft, die die Kontrolle und indirekt das Eigentum am 60 Sloane Avenue Building erworben hatte, an das Staatssekretariat übertragen hat. Die 1.000 Aktien, die Torzi verblieben, waren jedoch die einzigen mit Stimmrecht, so dass das Staatssekretariat trotz des Verkaufs der GOF-Aktien und der Auszahlung von 40 Millionen Pfund nicht die Kontrolle über das Gebäude erworben hatte, das im Wesentlichen von Raffaele Mincione auf Gianluigi Torzi überging.

Nach einer detaillierten Rekonstruktion der Ereignisse und der konkreten Rolle, die jeder der Angeklagten spielte, befand das Gericht Gianluigi Torzi und Nicola Squillace des schweren Betrugs schuldig. Es wird aufgezeigt, wie der neue Substitut Edgar Peña Parra, der sofort Zweifel an der Operation geäußert hatte, getäuscht wurde und seine Ratifizierung der von Perlasca und Tirabassi getroffenen Vereinbarungen erfolgte, weil er durch die Zusicherungen des Anwalts Squillace getäuscht wurde. Dieser fungierte im Übrigen „auch als Anwalt des Staatssekretariats selbst“ und überzeugte „die oberste Leitung des Dikasteriums davon, dass mit den Londoner Vereinbarungen die selbst gesteckten Ziele erreicht wurden, also dass das Staatssekretariat der einzige wirtschaftliche Nutznießer von GUTT war und dass es über GUTT eine wesentliche Kontrolle über das Eigentum hatte“. Dies entsprach jedoch nicht den Tatsachen.

Dieser schwere Betrug war auch mit dem Straftatbestand der Erpressung verbunden, was der Gerichtshof bestätigt, indem er „eine gefestigte Rechtsprechung des italienischen Kassationsgerichtshofs anführt, die sich auf den im juristischen Jargon als ‚Cavallo di ritorno‘ bekannten Begriff stützt“. Dabei handelt es sich um Erpressung, bei der dem rechtmäßigen Besitzer eines entzogenen Gegenstandes die Möglichkeit gegeben wird, diesen gegen Zahlung einer gewissen Summe wiederzuerlangen. Durch diese Situation, die „von Beginn an unrechtmäßig war“, sei das Staatssekretariat gezwungen gewesen, Torzi „eine unangemessene Gegenleistung zu zahlen, die einen ungerechtfertigten Gewinn darstellt“. Das Gericht verurteilte auch Fabrizio Tirabassi wegen des Verbrechens der Erpressung und stellte fest, dass er entscheidend dazu beigetragen hatte, dass Torzi sein Ziel erreichte.

Das Geld an Marogna

Ein weiteres wichtiges Kapitel sind die 600.000 Euro, die Cecilia Marogna auf Geheiß von Becciu erhalten hat. Damit sollte die Freilassung einer in Mali entführten kolumbianischen Nonne ermöglicht werden, aber das Geld des Staatssekretariats wurde von Marogna stattdessen für Hotels, Kleidung und Möbel sowie Luxusgüter ausgegeben. Das Urteil untersucht die Affäre und unterteilt sie in zwei verschiedene Phasen: In der ersten Phase wandten sich Becciu und Marogna an eine britische Agentur, Inkerman, die auf Entführungsfälle spezialisiert ist, „an die der Gesamtbetrag von 575.000 Euro in zwei Raten zwischen Februar und April 2018 vom Staatssekretariat gezahlt wurde.“

In einer zweiten Phase, von Dezember 2018 bis April 2019, wurde stattdessen „ein Betrag in gleicher Höhe mittels neun Banküberweisungen an ein slowenisches Unternehmen, LOGSIC, gezahlt“, „welches am Tag vor der ersten Zahlung ad hoc gegründet wurde und sich im alleinigen Besitz von Cecilia Marogna befindet. Darüber hinaus hatte S.E. Becciu der Frau im September 2019 auch Bargeldbeträge in geringerer Höhe (ca. 14.000 EUR) übergeben“. Das heißt, während die ersten Zahlungen an Inkerman „tatsächlich für eine Person bestimmt waren, die mit der Durchführung von Aktivitäten humanitärer Art beauftragt war“, sei festgestellt worden, dass die zusätzlichen etwa 600.000 Euro, die an Marogna gezahlt wurden, „in keinerlei Zusammenhang mit den vorgenannten Zwecken standen“, so dass Kardinal Becciu den Namen Marognas gegenüber seinen Vorgesetzten auch nie erwähnt habe. Im Urteil wird detailliert der Versuch des Kardinals rekonstruiert, einen Brief des Papstes zu erhalten, der ihn entlasten sollte, ebenso wie die aufsehenerregende Episode des aufgezeichneten Telefongesprächs mit dem Papst. Kardinal Becciu und Maria Luisa Zambrano hatten das Gespräch, das Becciu mit Franziskus kurz nach dessen Operation mit Krankenhausaufenthalt geführt hatte, mitgeschnitten und die Aufnahme dann an andere Personen weitergegeben.

Aus elektronischen Mitteilungen, die später in einer Untersuchung der italienischen Justiz landeten, geht hervor, dass der Kardinal weiterhin „freundschaftliche Beziehungen, wenn nicht sogar echte Vertrautheit“ mit Marogna pflegte und sich sogar mit ihr traf, nachdem er „ein vollständiges und endgültiges Bewusstsein für die völlig unrechtmäßige Art und Weise“ entwickelt hatte, auf welche die Frau die vom Staatssekretariat an Logsic gezahlten Gelder verwendet hatte (im Urteil wird das Firmenkonstrukt als „leere Schachtel“ definiert, die „nicht existiert“). Aus den Mitteilungen geht weiters hervor, dass Marogna auch „mehr als herzliche Beziehungen zu anderen Verwandten des Angeklagten“ unterhält. Und es wird darauf hingewiesen, dass Becciu keine Beschwerde, keine Anzeige oder ein Exposé gegen Marogna eingereicht hat, obwohl er wusste, wie sie die Gelder des Heiligen Stuhls verwendet hatte.

Die Genossenschaft des Bruders

Schließlich untersucht das Urteil das Kapitel der Gelder, die das Staatssekretariat der Genossenschaft von Beccius Bruder Antonino zukommen ließ, und bestätigt, dass es sich um Veruntreuung handelte. Dies nicht aus dem Grund, weil das Geld für andere als karitative Zwecke verwendet oder von jemandem unrechtmäßig in die eigene Tasche gesteckt worden sei, sondern schlichtweg deswegen, weil sowohl Artikel 176 des Strafgesetzbuches des Vatikans, als auch der Kanon 1298 im kanonischen Bereich besagen, dass „kirchliches Eigentum, sofern es sich nicht um eine Angelegenheit von geringster Bedeutung handelt, ohne besondere schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde weder an seine Verwalter noch an deren Verwandte bis zum vierten Grad der Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft verkauft oder verpachtet werden darf“. Doch die Zahlung, die das Staatssekretariat mit seinem Substituten Becciu an die von seinen Verwandten verwaltete Genossenschaft geleistet hat, erfolgte „ohne jegliche schriftliche Genehmigung“ der zuständigen Behörde.

(vatican news)

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30. Oktober 2024, 14:43