Vatikanische Museen: Apollo erstrahlt in neuem Glanz
Paolo Ondarza und Christine Seuss - Vatikanstadt
An Weihnachten 2019 kam die alarmierende Nachricht: Messungen zeigten, dass der Apollo im Oktagon-Hof der Vatikanischen Museen sich kaum wahrnehmbar bewegte. Knall auf Fall musste die Statue deshalb mit einem Gerüst umgeben werden, die Museumsbesucher konnten sie während der intensiven Restaurierungsphase nicht besichtigen. Nun wurde in einer feierlichen Zeremonie vor Journalisten und Gästen der graue Vorhang gelüftet, der die Marmor-Statue abschirmte.
Das Meisterwerk, das 1489 in den Ruinen eines Domus auf dem römischen Hügel Viminal entdeckt wurde - wahrscheinlich im dort angesiedelten Garten der Ordensfrauen von San Lorenzo in Panisperna – wurde von Papst Julius II. im Vatikan als eine der Statuen aufgestellt, die die Kontinuität zwischen dem antiken Rom und seinem Pontifikat zelebrieren sollten. Julius II. ist Kunstliebhabern auch dafür bekannt, dass er die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle und die Stanzen des Raffael im Vatikanischen Palast in Auftrag gab, ebenso wegen seiner Entscheidung, den Petersdom an Stelle der Konstantinischen Basilika in seiner heutigen Form neu zu erreichten.
Die Marmor-Statue, Kopie einer Bronze-Statue des Gottes, die dem griechischen Bildhauer Leochares zugeschrieben wird, wurde in den vergangenen Jahren einer delikaten und sorgfältigen Restaurierung unterzogen, die das Ergebnis eines mutigen Zusammenspiels zwischen Technik und Philologie darstellt. Eine Operation, die zum Ausdruck bringe, „was wir uns von den Vatikanischen Museen heute wünschen“, sagte und die Museums-Direktorin Barbara Jatta am Rand des Journalistentermins. Es sei „ein wichtiger Tag, weil nach vielen Jahren endlich wieder der Apollo sichtbar ist, eine Ikone klassischer Schönheit, eine Ikone, die Michelangelo, viele Künstler, Literaten und Poeten inspiriert hat“.
Mut zu neuen Entscheidungen
Die Arbeit an der fragilen Statue sei letztlich auch Ausdruck dessen, „was die Aktivität des Museums des Papstes ist. Eine Aktivität, die den Dialog zwischen den verschiedenen Berufsgruppen nutzt, zwischen den verschiedenen Methodologien, ein Problem anzugehen“, erläutert Jatta, die eine Lanze für das Zusammenspiel zwischen Tradition und Innovation bricht. „Wir glauben fest an diese Methodologie, die die Tradition und Forschung mit Innovation verbindet. Die Tradition und Innovation nicht nur, was technologische Entscheidungen betrifft, sondern auch grundsätzlicher Art. Keine Angst davor zu haben, also den Mut zu haben, Entscheidungen zu treffen, wie den Austausch der Hand, aber auch die große Innovation in Verbindung mit der Karbonstange, dank derer die Statue sicher stehen kann und keine Statik-Probleme mehr hat, die ja dazu geführt hatten, dass wir sie für den Besuchsverkehr geschlossen haben.“
Die Bewegung der Statue
Es war am Heiligabend 2019, als eine Überwachungsmessung aufdeckte, dass sich die Statue auf unmerkliche Weise bewegte, erklärt uns Claudia Valeri, Kuratorin der Abteilung für griechische und römische Altertümer der Päpstlichen Sammlungen: „Das hat uns sofort alarmiert. Wir mussten unmittelbar eingreifen: Die Statue wurde mit einem Notfallsystem gesichert und leider für die Öffentlichkeit geschlossen. Wir mussten herausfinden, warum sie sich, wenn auch unmerklich, bewegte, und eine Strategie finden, die so wenig invasiv wie möglich war und im Grunde ein stabiles Gleichgewicht wiederherstellen konnte.“
Hauptaugenmerk der Restauratoren lag wegen der kritischen Statik sofort darauf, eine Lösung dafür zu finden, dass die Statue potentiell umsturzgefährdet war, berichtet Valerie weiter. Dabei habe man auch auf die Unterstützung externer Experten zurückgegriffen, die vor allem untersuchten, wie das Kräfteverhältnis an den Stellen wirkte, die durch die unmerklichen Schwingungen und die lange Lebensdauer der Statue brüchiger geworden waren:
„Wir prüften verschiedene Möglichkeiten und waren schließlich überzeugt, dass wir auf einen Trick zurückgreifen mussten, der bereits in der Vergangenheit angedacht worden war, nämlich der Skulptur zusätzlich zu den beiden Beinen eine dritte Stütze zu geben.“ Niemand anderes als der italienische neoklassizistische Bildhauer Antonio Canova stand für diese Lösung Pate, die dank einer von der Stiftung Patrons of the Arts finanzierten Untersuchung unter 15 möglichen Wegen ausgesucht wurde. „Das war eine wichtige Entscheidung. Wir waren uns bewusst, dass sich die Statue ästhetisch ein wenig verändern würde, aber es war notwendig, um ihre Erhaltung für die kommenden Jahre zu gewährleisten“, meint Valeri.
Die Lösung vereint somit Tradition und Innovation auf exemplarische Weise. Durch eine leicht gebogene Kohlefaserstange, die am Sockel befestigt und durch ein komplexes Spannsystem auf der Rückseite der Statue verankert wurde, konnte das Gewicht der Skulptur auf den kritischen Stellen um etwa 150 Kilogramm erleichtert werden. Dabei wurde großes Augenmerk daraufgelegt, dass der ästhetische Genuss der Skulptur, die seit jeher international geschätzt wird, keine Beeinträchtigungen erfahre, unterstreicht die Kuratorin. Selbst bei der Montage der Stützstange wurde darauf geachtet, bereits vorhandene Löcher im Marmor zu nutzen, um die Statue nicht weiter anzugreifen.
Bei dem langen und komplexen Restaurierungsprojekt habe es sich um „eine manuelle, aber auch eine intellektuelle Arbeit“ gehandelt, erklärt uns der Leiter des Labors für die Restaurierung von Steinmaterialien der Vatikanischen Museen, Guy Devreux. „Wir haben Ingenieure und Techniker konsultiert, und unter den verschiedenen Vorschlägen haben wir uns für einen Stab entschieden, eine elliptische Kurve aus Kohlefaser und Stahl, um die Skulptur zu stützen, aber wir haben das Werk praktisch nicht angefasst“.
Dank des von der Stange erzeugten Zugs wurde auch das Ungleichgewicht des durch den Mantel belasteten Schwerpunkts der Skulptur gemildert. Ursprünglich war die für ein Werk aus Marmor statisch gewagte Haltung des Bogenschützen Apollo letztlich ja für ein plastisches Werk aus Bronze konzipiert. Bei der Statue im Vatikan handelt es sich um eine römische Kopie des Originals von 330 v. Chr., das dem Athener Leochares zugeschrieben wird. Der Künstler nutzte die Leichtigkeit der Bronze, um die Pose der Gottheit unmittelbar nach dem Abschuss eines Pfeils zu gestalten.
Die Hand von Baia
„Ein Pfeil, der auf das Urteil der wissenschaftlichen Gemeinschaft abgeschossen wurde“, beschreibt Claudia Valeri metaphorisch ein weiteres mutiges Experiment an dem Werk, welches ‚vollständig umkehrbar‘ ist und der Statue seine ‚ursprüngliche‘ Hand wiedergegeben hat. Denn als der Apoll am Viminal-Hügel gefunden wurde, hatte er keine linke Hand, auch die Finger der rechten Hand fehlten, so dass die lange in den Museen sichtbare Version selbst das Ergebnis einer frühen Restaurierung war. Aufschluss über die ursprüngliche Konzipierung der Hand konnte einem partiellen Gipsabdruck der Bronzestatue entnommen werden, der in den 1950er Jahren in den Ruinen des kaiserlichen Palastes von Baia, nördlich von Neapel, gefunden wurde.
„Im Laufe der Restaurierung stellten wir fest, dass die im 16. Jahrhundert von Giovannangelo Montorsoli rekonstruierte Hand - wie schon andere in der Vergangenheit bemerkt hatten - ziemlich groß war und eine für einen Bogenschützen nicht gerade korrekte Haltung zeigte“, erklärt die Kuratorin weiter. „Vor allem hatten wir so die Gelegenheit, den Abguss der Hand von Baia am Apollo del Belvedere auszuprobieren. Die Geste wurde natürlicher, die Hand proportioniert und leicht“.
Während der Reinigungsphase wurde die Modellierung des Apollo weicher und die violette Polychromie, die die Vorbereitung für die Vergoldung der Kronen verrät, tauchte zwischen den Locken wieder auf. Auch für die Zukunft sind weitere Maßnahmen nicht ausgeschlossen, um die Langlebigkeit dieses international bekannten Besuchermagneten zu gewährleisten. Zu den verschiedenen Vorschlägen gehört auch der einer möglichen Abdeckung des Oktagon-Hofs, welche die durch Witterungseinflüsse verursachten Schäden an den Statuen begrenzen würde.
Die gelungene Restaurierung, die ausdrücklich auf das gute Zusammenspiel zwischen den verschiedenen beteiligten Teams zurückgeführt wird, musste auch mit dramatischen Momenten umgehen, so dass es für die Vatikanischen Museen eine besonders große Genugtuung sei, dieses Meisterwerk wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so Valeri abschließend: „Während dieser Jahre mussten wir während der Pandemie mehrere Monate lang pausieren. Heute sind wird eindeutig glücklich“. „Es ist ein Tag der Freude“, sagt auch Museums-Direktorin Barbara Jatta, „denn nach so vielen Jahren kehrt eine Ikone von klassischer Schönheit, die Generationen von Künstlern, Schriftstellern und Dichtern inspiriert hat, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zurück. Die Bewahrung zum Zwecke der Weitergabe ist das Markenzeichen unserer Institution“.
(vatican news)
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