St. Paul vor den Mauern: Letzte Heilige Pforte in Rom geöffnet
Silvia Kritzenberger - Vatikanstadt
Heilige Jahr werden in der Regel alle 25 Jahre gefeiert. Und in diesen Heiligen Jahren können Gläubige einen Ablass ihrer Sünden erlangen, beispielsweise durch eine Wallfahrt nach Rom und das Durchschreiten Heiliger Pforten. In Rom sind das die Portale der vier Papstbasiliken St. Peter, St. Johannes im Lateran, Santa Maria Maggiore und Sankt Paul vor den Mauern. Mit Blick auf das Heilige Jahr, das unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ steht, war es Franziskus ein Anliegen, mit einer eigens in einem römischen Gefängnis eingerichteten „Heiligen Pforte“ für dieses Festjahr ein ganz besonderes Zeichen der Hoffnung setzen.
Die Papstbasilika Sankt Paul vor den Mauern ist seit dem Abschluss der Lateranverträge eine exterritoriale Besitzung des Heiligen Stuhls und eine der sieben Pilgerkirchen von Rom. Sankt Paul vor den Mauern wurde von Kaiser Konstantin zu Beginn des 4. Jahrhunderts errichtet. Der Überlieferung nach wurde das Gotteshaus an der Stelle gebaut, wo der Völkerapostel Paulus nach seiner Enthauptung im Jahr 67 begraben worden sein soll.
Am Vormittag des 5. Januar ist in Rom die letzte Heilige Pforte geöffnet worden. Vorgenommen wurde die feierliche Zeremonie nicht von Papst Franziskus selbst, sondern vom Erzpriester der zweitgrößten Basilika Roms, Kardinal Michael Kardinal Harvey, der auch der anschließenden Messfeier vorstand.
Lesen Sie hier die Predigt von Kardinal Harvey in deutscher Übersetzung:
„Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des HERRN wollen wir gehen. Schon stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem“ (Psalm 122).
Brüder und Schwestern in Christus,
mit diesem Psalmwort geht die Kirche einen weiteren entscheidenden Schritt in ihrer jahrtausendealten Geschichte. Es sind Worte, mit denen der Psalmist die heilige Stadt Jerusalem besingt. Nun aber singt sie die Liturgie für die Weltkirche und für jedes ihrer Glieder. Mit der Öffnung der Heiligen Pforte der päpstlichen Basilika St. Paul vor den Mauern, einem ebenso einfachen wie eindrucksvollen Ritus, haben wir heute morgen mit großer Freude die Schwelle dieses Gotteshauses – und damit sinnbildlich das Tor zur Hoffnung – durchschritten.
Freude und Hoffnung: Das ist das Wortpaar, das den aktuellen liturgischen Ritus kennzeichnet. Freude, weil uns der Erlöser geboren ist. Hoffnung, weil Christus unsere Hoffnung ist! Diese Freude, die die Weihnachtszeit kennzeichnet, in der die christliche Welt den außergewöhnlichen Plan Gottes betrachtet und mit folgendem Wort des Apostels Paulus an die Epheser Dank sagt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“, denn er hat uns dazu bestimmt, seine Kinder zu werden durch Jesus Christus. Genau das nämlich ist der Zweck der Menschwerdung: Gottes eingeborener Sohn ist Mensch geworden, nicht nur, um unter uns zu wohnen, sondern um einer von uns zu sein; nicht nur, um bewundert oder als Weggefährte willkommen geheißen zu werden, sondern um uns in eine innige Beziehung zu Gott einzuführen. In Jesus erlangen wir die Gotteskindschaft, und damit verleiht er uns eine außergewöhnliche Würde. Er führt uns in eine unübertreffliche Fülle des Lebens ein. Und so kann Johannes im Evangelium ja auch verkünden: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade“ (Joh 1,16).
Freude ist auch das Gefühl, das wir über das Geschenk der Erlösung durch Jesus Christus empfinden. Gottvater, reich an Erbarmen, hat seinen Sohn gesandt, um uns zu retten. Der Sohn Gottes hat sich selbst erniedrigt, indem er bereitwillig den Tod am Kreuz auf sich nahm, um hinwegzunehmen die Sünden der Welt, und uns durch diese Heilstat die Perspektive der „seligen Hoffnung“ zu eröffnen, Verheißung eines Lebens ohne Ende.
Die Öffnung der Heiligen Pforte markiert den Weg des Heils, den uns Christus mit seiner Menschwerdung, seinem Tod und seiner Auferstehung eröffnet hat, und der alle Gläubigen dazu einlädt, sich mit Gott und ihrem Nächsten zu versöhnen. Wenn wir die Schwelle dieser Basilika im Glauben überschreiten, treten wir in die Zeit der Barmherzigkeit und der Vergebung ein, damit – wie es unser Schutzpatron Paulus so treffend ausdrückt – jeder Frau und jedem Mann der Weg der Hoffnung aufgetan wird, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5,5).
Wie sehr brauchen wir gerade jetzt die Hoffnung! In dieser Zeit nach der Pandemie, die leider von Tragödien, Kriegen und Krisen aller Art heimgesucht wird, wird die Hoffnung, die doch zweifellos mit der Zukunft verbunden ist, auch in der Gegenwart gebraucht. In seiner Enzyklika Spe salvi hat Papst Benedikt XVI. aufgezeigt, dass uns die christliche Hoffnung eine originelle Perspektive für die Beziehung zwischen Gegenwart und Zukunft eröffnet. Mit der Erlösung durch Jesus Christus, so schreibt der Papst, „wurde uns eine verlässliche Hoffnung geschenkt, von der her wir unsere Gegenwart bewältigen können: Gegenwart, auch mühsame Gegenwart, kann gelebt und angenommen werden, wenn sie auf ein Ziel zuführt und wenn wir dieses Ziels gewiss sein können; wenn dieses Ziel so groß ist, dass es die Anstrengung des Weges rechtfertigt“ (....). „Erst wenn Zukunft als positive Realität gewiss ist, wird auch die Gegenwart lebbar.“ Die „Frohe Botschaft“, die christliche Botschaft, ist die Verkündigung dieser vollendeten Wirklichkeit: Jesus Christus, gestorben, auferstanden und verherrlicht, ist unsere Hoffnung. „Die dunkle Tür der Zeit, der Zukunft, ist aufgesprengt. Wer Hoffnung hat, lebt anders; ihm ist ein neues Leben geschenkt worden“ (Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, Nr. 1-2).
Und Papst Franziskus hat dieses Thema erst unlängst bei seiner Mittwochs-Generalaudienz wie folgt formuliert: „Die Hoffnung ist kein leeres Wort und nicht unser vager Wunsch, dass alles aufs Beste gelingen möge: Die Hoffnung ist eine Gewissheit, weil sie auf der Treue Gottes und auf seinen Verheißungen gründet. Und darum wird sie als »göttliche Tugend« bezeichnet: weil sie von Gott eingegossen ist und Gott zum Garanten hat. Sie ist keine passive Tugend, die sich darauf beschränkt abzuwarten, dass die Dinge geschehen“ (Generalaudienz, Mittwoch, 11. Dezember 2024). Wie das? Die Hoffnung ist eine übernatürliche Tugend: „Der Heilige Geist ist der immer sprudelnde Quell der christlichen Hoffnung. Der heilige Paulus hat uns diese kostbaren Worte hinterlassen: »Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes« (Röm 15,13).
„Wenn die Kirche ein Boot ist“ – so der Papst weiter –, „dann ist der Heilige Geist das Segel, das es antreibt und es im Meer der Geschichte vorankommen lässt, heute wie in der Vergangenheit!“ (ebd.).
Das Jubiläum 2025 lädt uns wie jedes Heilige Jahr ein, Pilger zu werden. Und das bedeutet, dass wir uns als Teil einer Gemeinschaft fühlen, die seit zweitausend Jahren auf den Straßen dieser Welt unterwegs ist, um die Auferstehung des Herrn Jesus zu verkünden. Die Ewige Stadt bereitet sich wieder einmal darauf vor, Pilger aus aller Welt aufzunehmen. Auch wir in Rom sind Teil dieser großen Gemeinschaft von Gläubigen. Wir wiederholen Gesten und Erfahrungen, die die Geschichte der Heiligen Jahre gekennzeichnet haben, und leben dieses Fest als ein besonderes Geschenk der Gnade, der Buße, der Umkehr und der Vergebung der Sünden. Durch diese Erfahrung lädt die Kirche die Pilger ein, sich auf eine spirituelle Reise auf den Spuren des Glaubens zu begeben, in dem Wunsch, dass er die Fackel der Hoffnung in ihren Herzen neu entfachen möge.
Die christliche Hoffnung gibt uns Halt auf unserer Pilgerreise. „Sie ist in der Tat die Tugend, die uns erlaubt, unseren Zustand als Wanderer besser zu verstehen. Ein Pilger zu sein bedeutet, ein Ziel zu haben, das es zu erreichen gilt. Die Hoffnung macht die Reise des Lebens zu einer wahren Pilgerfahrt, denn sie lässt uns die Müdigkeit ertragen und verleiht uns ein Gefühl der Freude und Gelassenheit, das gerade der Fähigkeit erwächst, die Gegenwart als wahre Voraussetzung für die Zukunft zu betrachten“ (vgl. Rino Fisichella Sperare per tutti, S. 28).
Liebe Brüder und Schwestern,
über dem Tympanon der gewaltigen Mosaikfassade dieser Basilika, in der die sterblichen Überreste des Apostels und Märtyrers Paulus ruhen, erhebt sich ein imposantes Kreuz. Darunter stehen zwei lateinische Worte: „Spes unica“. Und das bedeutet, dass das Kreuz Christi, das glorreiche Symbol des Sieges über Sünde und Tod, unsere einzige Hoffnung ist.
Lasst uns im Geiste echter Pilger, die sozusagen mit dem Kreuz in der Hand unterwegs sind, mit Freude dem Aufruf nachkommen, den Papst Franziskus zu diesem gerade begonnenen Heiligen Jahr an die gesamte Kirche gerichtet hat. Dem zugleich eindringlichen und herausfordernden Appell, „sich nicht nur damit zu begnügen, Hoffnung zu haben, sondern auch Hoffnung auszustrahlen, Sämänner der Hoffnung zu sein. Denn die Hoffnung ist das schönste Geschenk, das die Kirche der ganzen Menschheit machen kann, vor allem in diesem Augenblick ihrer Geschichte“ (vgl. Generalaudienz vom Mittwoch, 11. Dezember 2024).
Möge der Heilige Geist mit seiner immerwährenden Gegenwart auf dem Weg der Kirche unsere Schritte auf dieser Pilgerreise des Glaubens begleiten, an der Hoffnung festhaltend, die nicht enttäuscht.
(vaticannews - skr)
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