Jesuit Samir: Europa fehlt Plan für Integration von Muslimen
Europa müsse alles daran setzen, Flüchtlinge aus muslimischen Ländern nach deren Aufnahme auch kulturell zu integrieren, betonte der langjährige Professor am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom P. Samir Khalil Samir (80) im Interview mit „Kathpress“ am Wochenende.
Bisher erscheine ihm Europa „planlos“ bei der Eingliederung muslimischer Migranten in die Gesellschaft, so der Orient-Experte. Dieser Aufgabe müsse man sich jedoch dringlich stellen, da die Menschen ohne vollkommene Integration „immer am Rand der Gesellschaft“ leben würden. Neben Unterkunft und Nahrung sei vor allem das Erlernen der Landessprache notwendig, die erst den Austausch und Zugang zu würdevoller Arbeit ermögliche, so Samir. Dazu gehöre auch die Verpflichtung auf die Normen und Werte des Landes: „Wir müssen sagen: Wenn du hier bist, so läuft es hier bei uns ab, das sind die mindestens 20 wichtigen Punkte. Das ist nicht gegen die Muslime gerichtet, sondern das soll ihnen helfen“, so Samir.
Verständnis für Gleichberechtigung fördern
Grund dafür sei, dass Europa eben anders „ticke“ als muslimische Länder - „die Gesetze sind nicht unbedingt besser, aber sie sind eben anders“, so der Orientalist. Unabkömmlich sei volles Verständnis und Akzeptanz seitens muslimischer Migranten etwa dafür, dass Mann und Frau freie und gleichberechtigte Partner seien oder dass unverhüllte Frauen ihre Schönheit zeigen können, ohne deshalb Prostituierte zu sein. Die Anpassung von Muslimen sei durch Bildung und Erziehung möglich, betonte P. Samir. Wesentlich könne Europa als „positives Muster“ dem Islam, der sich momentan in einer großen Krise befinde, zu innerem Wandel und zu einer nötigen „Öffnung“ verhelfen.
Als besonders notwendig erachtet Samir diese Entwicklung mit Blick auf den zunehmenden religiösen Fanatismus, der den „echten Islam“ nur als dessen radikale Ausprägung betrachte. Islamisten wollten wortwörtlich Vorgaben erfüllen, die im 7. Jahrhundert Gültigkeit hatten, doch seien „die wenigsten Muslime froh“ über diese Entwicklung.
P. Samir fordert diese Mentalität zu überwinden. „Wenn ein Christ sagt: Wir müssen so leben wie im 1. Jahrhundert, dann würde ich antworten: Bist du dumm? Wir leben im 21. Jahrhundert!“ Zwar seien die ethischen Prinzipien der Religion zeitlos, die Umsetzung müsse sich jedoch anpassen.
Al-Sisi ein Hoffnungsträger
In den arabischen Staaten im Nahen Osten habe der „Arabische Frühling“ ab Ende 2010 viele Hoffnungen auf einen Wandel geweckt, doch bald hätten sich wieder die alten Kräfte durchgesetzt und man sei meist zur früheren Situation zurückgekehrt, berichtete P. Samir. Dennoch beurteilte er die Rolle des Islams in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich.
In seiner Heimat Ägypten sähen viele den amtierenden Präsident Abdel Fatah Al-Sisi weiter als Hoffnungsträger, gab Samir zu verstehen. Die 1971 in den Verfassungsrang gehobene Scharia stelle im Land am Nil ein „Unrecht“ dar, unter dem besonders die Christen stark litten. So sei es extrem schwierig, Kirchenbauten zu errichten, da Ansuchen darum gar nicht an den darüber entscheidenden Präsidenten weitergeleitet würden. „Dass Präsident Al-Sisi jüngst weitere illegale christliche Kirchengebäude anerkannt hat, ist wichtig - denn bisher diente der ungeklärte Rechtsstatus muslimischen Fanatikern immer wieder als Vorwand, um Kirchen zu zerstören“, erklärte der Ordensmann. Das islamische Recht wirke sich auch negativ für die Erbschaften von Frauen aus.
Grundsätzlich seien die Christen mit der Amtsführung Al-Sisis sehr zufrieden, da er sich um „Ausgleich“ bemühe. „Was wir wünschen, ist eine neutrale Politik ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Gruppen. Al-Sisi ist darum bemüht, doch sind die Gesetze weiterhin islamisch.“ Ein Ausweg wäre, den zweiten Verfassungsartikel, der das islamische Recht verbindlich macht, zu streichen und somit den Zustand vor 1971 wiederherzustellen.
Syrien: Gespanntes Verhältnis
Als besonders angespannt und konfliktreich bezeichnete P. Samir das Verhältnis zwischen den Religionen in Syrien, wo nun bereits seit Jahren Krieg herrscht. Das Land mit sunnitischer Mehrheit (70 Prozent), in dem zehn Prozent Christen und eine Minderheit Alawiten sind (darunter u.a. der Assad-Clan), ist laizistisch; Religion habe früher keine Rolle gespielt. Heute hätten die unter Präsident Bashar al-Assad regierenden Alawiten und andere religiöse Minderheiten Angst vor der Rache der Sunniten, die von Saudi-Arabien unterstützt würden. Assad schaffe mit harter Linie Ordnung, löse damit jedoch Gewaltreaktionen seitens der Opposition aus.
Freiheit auch für Nichtmuslime nötig
Verhalten positiv äußerte sich der Jesuit über die Entwicklung in Saudi-Arabien. Unter Prinz Mohammed Bin Salman gebe es zaghafte Versuche einer „beschränkten Öffnung“, etwa für Frauen. Zahlreiche starke Ungerechtigkeiten würden jedoch weiterbestehen - darunter, „dass Millionen Philippinos als Sklaven in arabischen Ländern arbeiten und keine Recht haben“, so P. Samir. Dass massenweise katholische Gastarbeiter ins Land geholt wurden, für diese jedoch keine Kirche errichtet werden darf, sei schlichtweg „unmenschlich“ und müsse auch Muslimen zu denken geben. Christen würden vom saudischen Königreich „als Sklaven oder als Geldgeber" gebraucht.
Eine Entwicklung Saudi-Arabiens hin zu einem „normalen Staat" müsse auch die Freiheit der muslimischen Mehrheit einschließen, forderte der kirchliche Experte. „Ein Muslim muss auch sagen können: Ich will kein Muslim mehr sein. Denn Gott hat dem Menschen zuerst die Freiheit gegeben, die ihn von den Tieren unterscheidet; die Religion kommt mit der Erkenntnis Gottes erst in Folge dessen." Saudi-Arabien behandle seine Bewohner jedoch so, "als ob sie Tiere wären", so das strenge Urteil des Islamexperten.
(kap - ck)
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