Expertin: Vorwürfe gegen Mutter Teresa-Schwestern in Indien „extrem aufgebauscht“
Anne Preckel – Vatikanstadt
Unter anderen Umständen wäre der Fall „vielleicht einen Zweizeiler in der indischen Presse wert gewesen“, jetzt aber wird er „extrem aufgebauscht“, beobachtet Elisabeth Bially vom bischöflichen katholischen Hilfswerk Misereor. In Indien finden in diesen Monaten in mehreren Bundesstaaten Regionalwahlen und im kommenden Jahr Parlamentswahlen statt, bei denen der indische Premier Narenda Modi seine indische Volkspartei BJP erneut zum Sieg führen will. Da liege „die Vermutung schon nahe, dass in Anbetracht dieser Wahlen die Ressentiments gegenüber religiösen Minderheiten nochmal geschürt werden“, so Bially im Interview mit Vatican News. Der aktuelle Fall biete dazu einen „willkommenen Anlass“, sagt die Abteilungsleiterin für Asien bei dem Hilfswerk.
Ausgerechnet die „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im Visier
Die Expertin geht darauf ein, wie in Indien über die Vorwürfe gegen die Mutter Teresa-Schwestern berichtet wird. Im Zuge der Untersuchung des Falls hatte die Regierung eine Überprüfung aller nicht-staatlicher Kinderheime im Land angeordnet. Kinderhandel und illegale Adoption sind in Indien ein Massenphänomen, fast 63.000 Kinder sollen landesweit allein im Jahr 2015 verschwunden sein, schätzt die Hilfsorganisation Child Rights and You aufgrund von Daten des Innenministeriums.
Dass sich der Blick der Öffentlichkeit bei dem Thema jetzt ausgerechnet auf den Mutter Teresa-Orden verengt, findet Bially schon auffällig. Schließlich seien Untersuchungen „in allen privaten wie nichtstaatlichen Einrichtungen“ angeordnet worden. Darüber sprächen die indischen Medien aber nur wenig: „Also man fokussiert sich sehr stark auf diesen einen Vorfall in einer katholischen Ordensgemeinschaft und erwähnt nur am Rande, dass die jetzt zu ergreifenden Maßnahmen viel umfassender sind“, sagt die Misereor-Frau.
Auch das Phänomen der so genannten Fakenews, bei dem ungeprüfte Informationen oder falsche Nachrichten sich in Windeseile über die sozialen Netzwekre verbreiteten, trage seinen Teil dazu bei, dass der gesamte Orden in Indien derzeit am Pranger stehe, ergänzt sie.
Die Missionarinnen der Nächstenliebe hatten die gegen sie gerichteten Vorwürfe zurückgewiesen. In einer Erklärung aus Kalkutta sprach die Generaloberin von „Mythen“ und „falschen Nachrichten“. Schwester Mary Prema Pierick habe sich „wirklich entsetzt gezeigt ob dieser Anschuldigungen“ und „ganz deutlich auch gesagt, dass Kinderhandel im absoluten Gegensatz zur moralischen Überzeugung des Ordens steht und dass sie auf eine transparente Untersuchung des Vorfalls hofft, die seitens des Ordens auch unterstützt wird“, referiert Bially.
Indiens Kirche wünscht Aufklärung in dem Fall
Indiens Kirche wünscht Aufklärung in dem Fall. Doch im Zuge der aktuellen Maßnahmen gegen den Mutter Teresa-Orden beklagen Kirchenvertreter im Land eine regelrechte Hexenjagd. Im BJP-regierten Bundesstaat Jharkhand, wo Christen starken Zulauf haben, waren nicht nur Schwesternheime gefilzt, sondern auch Kinder aus einer Einrichtung der Missionarinnen in eine staatliche Einrichtung überführt worden. Die Polizei hatte die Regierung aufgefordert, die gesamten Konten des Ordens in Indien einzufrieren.
Der traditionsreiche Verband katholischer Laien in Indien sieht eine Kampagne gegen Orden der Missionarinnen der Nächstenliebe in Gang. Bially zitiert den Sprecher der 18 Millionen Mitglieder umfassenden Einrichtung: „Er sagte in diesen Tagen: Hier soll offensichtlich den christlichen Gemeinschaften eine Lektion erteilt werden. Hier soll posthum die in Indien wirklich sehr verehrte Ikone, die heilige Mutter Teresa, kriminalisiert werden und mit ihr der ganze Orden.“ Auch die Chefministerin des Bundeslandes Bengalen, Mamata Banerjee, hatte auf Twitter von dem „schändlichen Versuch“ gesprochen, den Orden „zu beschmutzen“.
Solche und ähnliche Klagen sind in Indien in den letzten Jahren öfter zu hören. Hinsichtlich des aktuellen Falls sei die Besorgnis unter Kirchenvertretern in Indien groß, so Bially. Die christlichen Gemeinschaften gingen mit den Vorwürfen allerdings „sehr selbstbewusst“ um, „positionieren sich und scheuen nicht die Auseinandersetzung mit dem Staat und mit der Regierung“.
Anfeindungen gegen religiöse Minderheiten haben zugenommen
De facto hätten Anfeindungen gegen religiöse Minderheiten in Indien in den letzten Jahren zugenommen, hält die Expertin fest. Das könne Misereor auf Grundlage von Berichten der kirchlichen Partner vor Ort, „aber auch von anderen“, bestätigen: „Es ist offensichtlich, dass seit Beginn der Regierung Modi, die ja einen hindunationalen Staat in Indien aufbauen will, vermehrt Angriffe und Vorwürfe gegen Christen und Muslime zu beobachten sind.“ Nicht allein gegen Christen, sondern allgemein gegen die beiden religiösen Minderheiten, ist Bially wichtig zu betonen: „Das kann man feststellen, weil es auch belegbar ist, weil es Tatsachen sind. Es geht dabei um eine Diskreditierung von Christen wie Muslimen.“
Dass in einer solchen Atmosphäre auch handfeste Übergriffe auf religiöse Minderheiten vorstellbar sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Im August jährt sich das verheerende Massaker an Christen im indischen Bundesstaat Orissa zum zehnten Mal. Aus der Luft gegriffene Vorwürfe gegen die religiöse Minderheit waren es damals gewesen, die die Tötungen und Vertreibungen auslösten. Wie man heute weiß, waren sie von einem hinduistischen Netzwerk sorgfältig geplant worden. Wie wahrscheinlich ist es, dass es auch heute in Indien zu solchen Aggressionen kommt? Dazu will und kann Bially keine Prognosen abgeben.
Forderung nach fairer Aufklärung des Falls
Hinsichtlich der Vorwürfe gegen die Mutter Teresa-Schwestern in Indien hofft die Misereor-Expertin jedenfalls auf eine faire Aufklärung. Diese ist von Kirchenvertretern und dem Orden selbst erwünscht; auch will man sich damit gegen die „Schikanen“ durch die Behörden zur Wehr setzen.
„Bislang gibt es in Indien ein gut funktionierendes, unabhängiges Justizwesen. Insofern darf man davon ausgehen, dass dieser Fall jetzt vor Gericht jetzt auch fair und transparent aufgeklärt wird“, denkt Bially: „Das ist das, was man bislang feststellen kann und muss. Und wie sich das dann weiter entwickelt und welche nächsten Ereignisse anstehen, die das Ganze entweder auflösen oder weiter eskalieren lassen, das wird man sehen.“
Die Vorwürfe gegen den Mutter Teresa-Orden beziehen sich auf das Verschwinden eines Kleinkindes aus einer Einrichtung der Missionarinnen in Ranchi: Wegen des Verdachts auf Kinderhandel waren eine Ordensschwester und eine Angestellte in der vergangenen Woche verhaftet worden; sie sollen das Neugeborene an ein kinderloses Paar verkauft haben; die Polizei ermittelt.
(vatican news/misereor/faz – pr)
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