Tansania: Ein österreichischer Missionar erzählt
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Vatican News: Hans Humer, seit zehn Jahren besteht die Diözese Kayanga in Tansania, in der Sie wirken – was hat sich in der Zeit entwickelt?
Hans Humer: „Die Zahl der Gläubigen hat sich vervielfacht. Die Leute sind offen und gläubig, auch die Arbeit der Priester und Katechisten und anderen Laienmitarbeiter, die haben sehr gute Arbeit geleistet, die Menschen sind gestärkt in ihrem Glauben und Leben.“
Vatican News: Treten die Menschen von anderen Religionen über, oder haben sie so viele Kinder, die für das Wachstum der Kirche sorgen?
Hans Humer: „Der Großteil sind Nachkommen, das stärkt die Anzahl, aber es gibt auch welche, die Übertreten aus anderen Glaubensrichtungen, wir haben sehr unterschiedliche, auch innerhalb des christlichen Bereichs, wir haben hier die katholische, evangelische, anglikanische Kirche, verschiedenstes Untergruppierungen, die evangelikalen Kirchen, die dann durchaus auch Sekten sind, wo man die Menschen fast traktiert, dass sie den Glauben annehmen und ihnen folgen, weil das ihr Vorsitzender so will.“
Vatican News: Was sind die größten Herausforderungen für die Menschen im Alltag, wo ihnen der Glaube helfen kann?
Hans Humer: „Der Alltag ist sehr geprägt vom Leben bzw. Überleben. Das ist die Grundfrage jeder Familie: Wie kann ich überleben? Kayanga ist eine große Stadt mittlerweile mit vielen Jobs, aber viele leben von einem Tag auf den anderen. Gottseidank ist die Gegend einigermaßen fruchtbar, aber es ist auch abhängig von Regenfällen, heuer war es trocken. Aber die Fruchtbarkeit bringt genug Früchte hervor, die dann verkauft werden können, damit auch Schulgeld erwirtschaftet werden kann, weil viele hier sehr kämpfen. Kirche muss hier ansetzen, bis hin zu: wie geht es mit der Ausbildung? Wie geht es, wenn ich krank bin, wenn Operationen anstehen? Man versucht kleine Versicherungen einzuführen, aber die meisten Menschen sind nicht versichert. Wenn Notsituationen sind helfen sich auch die Familienclans untereinander, das ist noch eine tragende Struktur, aber je weiter Kinder wegziehen nach Daressalaam oder ins Ausland, da wird es immer schwieriger.“
Vatican News: Wenn wir von Europa nach Afrika schauen, ist für uns ein großes Thema oft Migration. Wie haben meist die Migration von Afrika nach Europa im Blick, viel weniger die Migration innerhalb Afrikas, obwohl die weitaus massiver ist. Wie steht es in Tansania mit Migration? Hat das Land viele Migranten aufgenommen?
Hans Humer: „Ich bin im Grenzgebiet zu Ruanda, Uganda und Burundi, die Gegend hat vor zehn bis 20 Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen. Es waren riesige Lager mit bis zu 300.000 Menschen auf einem Gebiet zusammenlebend in Zelten oder im Freien. Da wurden auch viele Konflikte mit hereingetragen, etwa in Ruanda der Konflikt zwischen Hutus und Tutsis, der wurde mit ins Land gebracht; daher wurde versucht, die Menschen dann zurückzusiedeln. Momentan ist die Lage in der Region offen und gut, und wir hoffen, dass nicht neue Konflikte aufbrechen, etwa in Uganda. In Ruanda und Burundi versuchen die Regierungen alles unter Druck zu halten, und man nicht weiß, wie lange die Menschen das noch aushalten. Irgendwann kann es wie in der Kelomat-Situation dazu kommen, dass der Deckel wegfliegt und wieder etwas Schlimmes passieren könnte.“
Vatican News: Wie steht es umgekehrt mit Auswanderung aus Tansania? Ist das ein großes Thema unter den Jugendlichen?
Hans Humer: „Im Praktischen eher nicht. In den Köpfen ist es aber drin, manche fragen mich sogar selber: kann ich einmal mit dir mitkommen? Was müsste ich tun, um nach Europa zu kommen und dort zu arbeiten? Und ein besseres Leben zu beginnen? Das schwebt in den Köpfen herum. Grundsätzlich sage ich den jungen Leuten immer: Ihr wisst oft gar nicht, was ihr hier trotzdem an Gutem im Leben habt. Manche glauben an das Paradies in Europa.“
Vatican News: Die Menschen in Tansania sind arm, aber niemand verhungert, es gibt einen gewissen Mindeststandard. In anderen afrikanischen Ländern denken junge Menschen in einer solchen Lage viel häufiger ans Auswandern, um sich etwas im Leben aufzubauen. Warum ist Auswandern Richtung Europa in Tansania de facto noch kein so großes Thema?
Hans Humer: „Es hängt immer von der Regierung ab, was sie fördert und wo die Leute Hoffnung haben, es kann gut weitergehen, die Kinder gehen in die Schule und es gibt Krankenhäuser; früher gab es viel Korruption, wenn man eine Dienstleistung brauchte, musste man Geld vorstrecken, bevor sie etwas tun…“
Vatican News: Und das geschieht immer noch?
Hans Humer: „Vereinzelt ja. Aber insgesamt wurde das vom jetzigen Präsidenten, der streng ist, abgeschafft. Er verbessert die Strukturen, gerade im staatlichen Krankenhausbereich.“
Vatican News: Wenn ich das zusammenfassen kann: die Tatsache, dass es in Tansania bescheidene, aber erkennbare Fortschritte im Sozialen gibt, macht, dass die Leute nur entfernt an Auswanderung denken…
Hans Humer: „Ja, das hilft, wenn die Grundelemente des Lebens da sind, wie Ausbildung, Krankenversorgung und Arbeit – Arbeit ist ein großes Problem, viele leben von täglichem kleinen Einkommen und können nichts sparen. Gottseidank sind sie sehr gelassen. Wir als Europäer würden mehr an die Zukunft denken, und fragen, wenn was passiert, was tu ich dann? Sie haben hier Gelassenheit und Glauben – Gott wird mir schon helfen!“
Vatican News: Sie sind 19 Jahren in Tansania und sagen, es würde Ihnen schwerfallen, nach Österreich zurückzukommen. Was ist schön an Ihrer Arbeit als Priester dort?
Hans Humer: „Die große Gastfreundschaft, der Familiensinn, der Zusammenhalt, gerade im ländlichen Bereich noch sehr massiv. Und die Offenheit und das Entgegenkommen der Leute.“
Vatican News: Wie ist die Stimmung in der Kirche? Wenn wir nach Deutschland oder Österreich schauen, ist manchmal viel Nörgelei dabei. Ist das bei Ihnen anders?
Hans Humer: „Es ist eine positive Einstellung gegenüber dem Glauben und der Kirche da. Die Strukturen stehen nicht im Vordergrund, sondern eher die kleinen christlichen Gemeinschaften, die Katechisten und Laien, die den Glauben voranbringen, oft mit gefühlsbetonten Momenten. Kirche ist nicht eine Struktur, oder der Vatikan, oder einige Bischöfe, Kirche sind wir an der Basis.“
Vatican News: Das heißt, ohne Laien geht es nicht in Ihrer Ortskirche?
Hans Humer: „Nein, ohne Laien geht es nicht. Die haben auch die Kirche in schwierigen Zeiten mit Priestermangel – ein Priester für ein großes Gebiet – durchgetragen. Dieses Modell ist entwickelt worden nach dem II. Vatikanum und hat sich gut entwickelt, zumindest wie ich es in Kayanga erlebt habe.“
Vatican News: Was genau machen die Laien in Ihren Pfarreien?
Hans Humer: „Katecheten und Katechistinnen sind verantwortlich für Gruppen, die durchaus die Größe einer Pfarrei haben können. Sie koordinieren die Arbeit der kleinen christlichen Gemeinschaften. Jede kleine christliche Gemeinschaft hat ihre Leute, die verschiedene Bereiche, Dienste, übernehmen. Der erste Dienst, der wird immer vorangestellt, ist der Vorbeter. Dann kommt erst der Vorsitzende und der Stellvertreter, die haben verschiedenste Dienste im Bereich Jugend- und Kinderarbeit, Familie, Alte und Kranke, auch Zusammenhalt. Manche fühlen sich weniger berufen, andere mehr, sie werden aber gewählt. Wenn man sie fördert innerhalb der Pfarrei, kann der Priester, der das koordiniert, immer wieder Fortschritte entdecken.“
(Vatican News – gs)
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