Missio: Frieden zwischen Äthiopien und Eritrea „historisch“
Christine Seuss- Vatikanstadt
Endlich einmal gute Nachrichten aus der Krisenregion Ostafrika: Nach dem überraschenden Friedensschluss zwischen den beiden verfeindeten Nachbarstaaten Äthiopien und Eritrea im Juli wurde nun am vergangenen Sonntag durch die Oberhäupter der beiden Länder im saudi-arabischen Dschidda ein „Freundschaftsvertrag“ unterzeichnet: ein weiterer Schritt hin zu einer Normalisierung der Beziehungen, die noch vor wenigen Monaten als unheilbar zerrüttet galten.
Wie historisch die Annäherung zwischen den beiden Ländern wirklich ist, das bestätigt uns im Gespräch der Ostafrika-Experte Hans-Peter Hecking. Er ist beim katholischen Hilfswerk Missio in Aachen für die ostafrikanische Region zuständig, unter anderem für die beiden Länder Eritrea und Äthiopien. „Alleine um sich klar zu machen, was dieser Friedensvertrag bedeutet, der ja wesentlich vom äthiopischen Präsidenten angestoßen wurde, muss man sich vor Augen führen, wie die Situation und das Verhältnis zwischen den beiden Ländern vorher war,“ betont er mit Blick auf die bewegte Vergangenheit.
Eritrea selbst war von 1890 bis 1941 eine italienische Kolonie, während nach dem 2. Weltkrieg von den Vereinten Nationen beschlossen wurde, dass das Land Teil der Äthiopischen Föderation werden sollte - dabei aber weitreichende Autonomie mit eigener Regierung, Verfassung und Flagge behalten durfte, führt der Fachmann aus. Doch unter Haile Selassi, dem äthiopischen Kaiser, wurde die Autonomie Eritreas immer weiter beschnitten, bis Eritrea im Jahr 1962 zu einer äthiopischen Provinz wurde, erinnert Hecking.
„Ich musste also etwas weiter ausholen, um deutlich zu machen, wie historisch dieser Friedensvertrag und das Zugehen aufeinander der beiden Länder wirklich ist und auch mit Recht so genannt wird!“ Als Eritrea äthiopische Provinz wurde, begann der bewaffnete Unabhängigkeitskampf. Dieser richtete sich ab 1974 auch gegen das kommunistische Regime, das sich mittlerweile in Äthiopien etabliert hatte und mündete 1993 in der Unabhängigkeit Eritreas.
„Dieser 30-jährige Unabhängigkeitskrieg forderte auf beiden Seiten mehr als eine Million Menschenleben und nur fünf Jahre danach, als Eritrea in die staatliche Eigenständigkeit ging, kam es zu Unstimmigkeiten über den Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern, so dass es 1998 zu einem erneuten, 2-jährigen Krieg kam, der auf brutalste Weise geführt wurde und 100.000 Menschenleben forderte,“ so der Missio-Experte. „Es kam zu einem hohen Maß an Zerstörung auf beiden Seiten der Grenze und die Zahl an Verletzten und Verwundeten war auch entsprechend hoch. Ich habe selten so viele amputierte und kriegsversehrte Menschen gesehen wie in der eritreischen Hauptstadt Asmara und man sprach von rund 1,3 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen entlang der Grenze.“
Diesem erneuten Gemetzel machte der Friedensvertrag von Algier im Jahr 2000 ein Ende – doch der Konflikt schwelte weiter, denn die damals festgelegte Grenze wurde insbesondere durch Äthiopien nicht anerkannt. Waren- und Grenzverkehr war zwischen beiden Länder nicht möglich – was unter anderem zu der absurden Situation führte, dass sich die Bischöfe beider Länder (die bis 2015 zu einer Bischofskonferenz zählten) gegenseitig nicht besuchen konnten, sondern zu Treffen auf Drittländer ausweichen mussten.
„Die Grenze zwischen beiden Ländern war eine der gefährlichsten überhaupt weltweit. Das eritreische Militär schoss auf die eigenen Bürger und Bürgerinnen, die über die Grenze nach Äthiopien flohen, weil die eritreische Regierung das Land immer mehr zu einem totalitären Unterdrückungsstaat machte.“
Die Wende kam im Juni 2018: Der neue Ministerpräsident Äthiopiens, Abiy Ahmed Ali, ging auf den historischen Erzfeind Eritrea zu und überraschte die Weltöffentlichkeit mit einem unglaublichen Zugeständnis: Die Anerkennung der umstrittenen Grenze zwischen den beiden Nachbarstaaten, ein Schritt, mit dem auch hoffnungsvolle Beobachter kaum gerechnet hätten. „Es kam also zu Treffen der beiden Staatsführer, sowohl in Asmara als auch in Addis Abeba. Ich war gerade während der Zeit da, als Afewerki (Präsident Eritreas, Anm.) in Addis Abeba war und habe hier noch eine äthiopische Zeitung vom 14. Juli vor mir liegen, als er hier war, überall sah man die Flaggen in den Straßen, also unvorstellbar noch vor wenigen Monaten.“
Doch danach ging es Schlag auf Schlag: innerhalb weniger Tage wurden Botschaften zwischen den beiden Ländern eröffnet, Telefonleitungen eingerichtet und der Güter- und Personenverkehr wieder zugelassen: ein „riesiger Fortschritt hin zu friedlichen Verhältnissen zwischen den beiden Nachbarstaaten und, was alle hoffen, auch zu mehr Stabilität in der ganzen Region am Horn von Afrika,“ so der Ost-Afrikaexperte. „Gerade erst erhielt ich von einem der vier katholischen Bischöfe in Eritrea die Nachricht, dass man durch die Grenzöffnung wieder Güter im Land kaufen kann, die es dort aufgrund der Mangelwirtschaft jahrelang nicht mehr zu kaufen gab. Er schrieb mir, dass die Öffnung der Grenze für alle eine unglaublich große Freude und Erleichterung ist.“
Die Entwicklungen hatten auch die Bischöfe der AMECEA, also des regionalen Zusammenschlusses der ostafrikanischen Bischofskonferenzen, bei ihrer jüngsten Vollversammlung in Addis Abeba (und überhaupt ersten in dieser Stadt) im vergangenen Juli gewürdigt: in ihrem Abschlussstatement gingen die Bischöfe eigens auf die neue Friedensinitiative zwischen den beiden Ländern ein. Eine besondere Mahnung hatten die Bischöfe dabei für die Politiker beider Länder in petto: diese müssten dafür sorgen, dass in den beiden Ländern gerechte und friedliche Strukturen eingeführt würden, unter Einbeziehung der Menschen, die dort leben, so die klare Stellungnahme der Bischöfe.
„Also auch wieder ein Hoffnungsschimmer für die ganze Region, nicht nur das Horn von Afrika, sondern die Bischöfe gehen darüber hinaus, indem sie sagen: diese Schritte, die die beiden Führer von Äthiopien und Eritrea aufeinander zugemacht haben, ganz klar zeigen, dass die Afrikaner klug genug sind, ihre eigenen Konflikte friedlich beizulegen. Unter dem Strich: die Menschen in den beiden Ländern sind tatsächlich überglücklich und niemand hätte gedacht, dass sich die bilateralen Verhältnisse so schnell verbessern könnten. Der Erzbischof von Asmara spricht uns gegenüber hier von einem Wunder.“
Ob dieser Frieden nun tatsächlich zu einem dauerhaften werde, hänge insbesondere davon ab, wie sich die innenpolitische Situation in den beiden Ländern selbst weiterentwickele, gibt Hecking zu bedenken: „Also inwieweit sowohl in Äthiopien als auch in Eritrea rechtsstaatliche Verhältnisse aufgebaut werden, inwieweit in Äthiopien auch die politische Opposition zu Wort kommt und im Blick auf Eritrea bedeutet es aus meiner Sicht, dass man grundlegende rechtsstaatliche Reformen einleiten muss.“ Kritisch sei aber auch die Lage ringsum: von den Krisenstaaten Sudan, Südsudan und Somalia könnten durchaus Störungen für den sich zaghaft entwickelnden Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien ausgehen. „Also da kann man nur hoffen, dass die internationale Gemeinschaft in diese Richtung stabilisierend wirken könnte.“
Missio arbeitet in Eritrea wie auch in Äthiopien eng mit der katholischen Kirche zusammen, wobei ein Hauptaugenmerk bei der Unterstützung der Flüchtlingspastoral liege, lenkt Hecking den Blick auf das oft unterschätzte Phänomen, dass Äthiopien weltweit eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge darstellt. Grundlegende körperliche Bedürfnisse der Flüchtlinge würden in der Regel durch die Hilfswerke der Vereinten Nationen gestillt, aber so Hecking, „der Mensch besteht nun einmal nicht nur aus Leib“: und hier greife Missio helfend ein, bei der seelsorglichen und psychopastoralen Betreuung der Menschen, die in ihren Heimatländern vor Gewalt, Krieg und Terror geflohen sind.
„Wir haben von uns aus hier bei Missio das Friedensabkommen zwischen Äthiopien und Eritrea unmittelbar begrüßt,“ betont Hecking. „Wir hoffen natürlich auch, dass sich dadurch die Situation der Flüchtlinge an der Binnengrenze verbessert, wie auch an den anderen Grenzen. Es ist bewundernswert, was die relativ kleine katholische Kirche in Äthiopien und Eritrea gerade in diesem Bereich der Flüchtlingspastoral und der Sorge um die Flüchtlinge, die ja zu den ärmsten der Armen weltweit gehören, tut. Und da wollen wir auch weiterhin hilfreich zur Seite stehen.“
(vatican news)
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