Krise in der Orthodoxie: Eine Einordnung
Johannes Oeldemann ist Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und selbst im ökumenischen Dialog aktiv. Wir haben den Orthodoxie-Experten gefragt, was diese Ansagen zu bedeuten haben.
Oeldemann: In meinen Augen ist diese Aussage der verzweifelte Versuch, Patriarch Bartholomaios doch noch davon abzuhalten, am kommenden 6. Januar der neuen orthodoxen Kirche der Ukraine wie angekündigt den Tomos zu überreichen, also die Urkunde, mit dem diese Kirche als autokephal, das heißt eigenständig erklärt wird. Moskau hat schon zuvor die Kommuniongemeinschaft mit Konstantinopel aufgekündigt. Das beudeutet, Gläubige des Patriarchats von Moskau dürfen nicht mehr bei Priestern des Patriarchats von Konstantinopel die Sakramente empfangen und Priester und Bischöfe nicht mehr mit den anderen Priestern und Bischöfen von Konstantinopel konzelebrieren. Damit ist de facto schon ein Bruch zwischen Konstantinopel und Moskau gegeben, der damit noch verschärft wird, indem man jetzt sagt, der ökumenische Patriarch verspielt seine Funktion als Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirche, wenn eben alle Gläubigen des Moskauer Patriarchats (und das sind immerhin etwa die Hälfte aller orthodoxer Gläubigen weltweit) nicht mehr in Gemeinschaft mit ihm stehen.
Vatican News: Es war ja eigentlich abzusehen, dass eine Anerkennung einer eigenständigen ukrainisch-orthodoxen Kirche durch Konstantinopel zu einer Eskalation mit dem Patriarchat von Moskau führen würde. Was hat den Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios, denn überhaupt bewogen, in dieses Wespennest zu stoßen?
Oeldemann: Ich denke, es waren in erster Linie Appelle, die ihn von Gläubigen aus der ukrainischen Kirche, aber auch aus der ukrainischen Diaspora erreicht haben, endlich eine Lösung für die schwierige Situation zu finden, in der sich die Orthodoxie in der Ukraine seit fast 30 Jahren befindet. Es gab eine Aufspaltung zwischen der kanonischen ukrainischen orthodoxen Kirche, die zum Moskauer Patriarchat zählt, und zwei unkanonischen, schismatischen Gruppierungen, dem Kiewer Patriarchat und der ukrainischen autokephalen orthodoxen Kirche. Man wollte dieses Schisma irgendwie bereinigen. Die große Hoffnung, die man in Konstantinopel hegte, war, dass sich die ukrainischen orthodoxen Gläubigen und Bischöfe in einer neuen, wiedervereinten Kirche zusammenfinden würden.
Vatican News: Nur ist diese Hoffnung leider nicht aufgegangen....
Oeldemann: Genau, sondern es ist de facto dazu gekommen, dass nur die beiden bisher schismatischen Gruppen sich vereinigt haben, während die Diözesen des Moskauer Patriarchats dem Prozess ferngeblieben sind, so dass der Name „Vereinigungs-Konzil“, den man für diese Versammlung am 15. Dezember 2018 in der Kiewer Sophienkathedrale gefunden hat, eben auch nicht ganz die Realität widerspiegelt. Die gute Absicht, zur Einheit der orthodoxen Kirche in der Ukraine beizutragen, ist damit eigentlich ins Gegenteil umgeschlagen und hat eher zu einer vertieften Spaltung geführt - nur nicht zwischen einer kanonischen und zwei unkanonischen, sondern zwischen einer kanonischen Kirche des Moskauer Patriarchat und einer anderen des Patriarchats von Konstantinopel.
Vatican News: Also können wir jetzt tatsächlich davon sprechen, dass es für die Bereinigung eines „kleinen“ Schismas zu einem „großen Schisma“ in der Orthodoxie gekommen ist?
Oeldemann: Das kann man jetzt noch nicht absehen. Das wird sehr davon abhängen, wie sich jetzt auch die anderen orthodoxen Patriarchate dazu verhalten. Bislang ist es ja nur so, dass das Moskauer Patriarchat einseitig die Kommuniongemeinschaft mit Konstantinopel aufgekündigt hat. Umgekehrt ist das bislang nicht der Fall, und ob jetzt die Patriarchate von Rumänien, Bulgarien, Serbien und so weiter sich der einen oder anderen Seite anschließen werden, oder, wie es sich derzeit eher andeutet, versuchen werden, die Gemeinschaft mit beiden aufrecht zu erhalten, das ist eben die große Frage. Solange die anderen Patriarchate sowohl mit Moskau als auch mit Konstantinopel in Gemeinschaft stehen, kann man eigentlich nicht von einem Schisma in der orthodoxen Kirche sprechen. Das wäre erst der Fall, wenn drei vier Kirchen sich auf die Seite von Moskau schlagen und wieder andere drei, vier sich Konstantinopel anschließen würden.
Vatican News: Das ist ja eine sehr unübersichtliche und komplizierte Situation derzeit, unter anderem auch für den Dialog mit der Orthodoxie. Müssen denn beispielsweise jetzt Gremien doppelt gegründet werden, damit man mit beiden Kirchen in einem konstruktiven Dialog bleiben kann?
Oeldemann: Das glaube ich nicht, es gibt ja durchaus Kontakte sowohl mit Konstantinopel als auch mit Moskau und ich glaube es wäre aus katholischer Sicht wichtig, den Dialog mit beiden Patriarchaten auf jeden Fall fortzuführen und sich nicht einseitig auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Denn das würde dann die innerorthodoxe Spaltung nur noch vertiefen. Von daher denke ich, ist es der beste Weg, von katholischer Seite mit beiden Seiten den Dialog aufrecht zu erhalten in der Hoffnung, dass es innerorthodox gelingen wird, diese Spannungen zu überwinden und dann letztlich wieder den Dialog mit beiden oder mit allen orthodoxen Kirchen gemeinsam fortführen zu können.
Vatican News: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sich diese beiden wichtigsten orthodoxen Kirchen wieder aufeinander zubewegen?
Oeldemann: Im Moment, kurzfristig, ist das sicherlich kaum denkbar, weil die Fronten leider inzwischen sehr verhärtet sind. Auf lange Sicht könnte ich mir vorstellen, dass das Bemühen, wieder aufeinander zuzugehen, eher von unten her wächst. Also ich denke jetzt an die Gläubigen in der Ukraine. Ganz praktisch, wenn dann ein Mann, der zum Beispiel zu einer Gemeinde des Moskauer Patriarchats gehört, eine Frau heiraten will, die zu der orthodoxen Kirche der Ukraine gehört, die wiederum zu Konstantinopel zählt, dass es dann vielleicht das Bedürfnis gibt, dass man Priester beider Kirchen bei der Zeremonie dabeihat und sich so die Frage stellt, wie man das mit der Konzelebration anstellen kann. Oder wenn man ein Kind taufen will und Ähnliches. Bei Umfragen in der Ukraine hat immer eine große Zahl der Gläubigen, mehr als ein Drittel, auf die Frage, zu welcher Kirche sie sich zugehörig fühlen, geantwortet, dass sie sich einfach orthodox fühlen und sich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen wollen. Die Frage der Jurisdiktion ist etwas, was für die Menschen eher von sekundärer Bedeutung ist. Ich denke, für sie ist eher wichtig, wie man in der Pastoral damit umgeht.
(vatican news - cs)
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