Venezuela: „Es ist nicht fair, dass Kinder wegen Politik leiden“
Mario Galgano – Vatikanstadt
Der Leiter des weltweiten Jesuitenordens ist selbst Venezolaner. Er stellte sich bei einem Pressegespräch am Freitag in Wien Fragen zu seinem Heimatland wie auch den internationalen Entwicklungen im Jesuitenorden. Die Jesuiten versuchten vor allem mit ihrem Netzwerk von rund 200 Schulen in Venezuela Nothilfe zu leisten, sagte Sosa. So würden die Schüler verköstigt „und bekommen so zumindest einmal am Tag eine warme Mahlzeit“.
Das einst reiche Land leidet unter einer schweren Versorgungskrise. Aufgrund von Devisenmangel können kaum noch Lebensmittel, Medikamente und Dinge des täglichen Bedarfs eingeführt werden. Millionen Venezolaner sind bereits ins Ausland geflohen. Wenn nicht einmal die Grundbedürfnisse der Menschen mehr gestillt werden können, könne es keine Lösung für das Land geben, so P. Sosa. Der Jesuitenorden und die Venezolanische Bischofskonferenz verträten im Einsatz für eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft eine gemeinsame Linie, betont er.
Pater Domingo Díaz, ein Salvatorianer-Missionar aus Venezuela, erzählt uns im Interview hingegen von der Arbeit, die sein Orden leistet, und erläutert die Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftskrise des Landes entstehen.
„Jeder weiß, dass wir Ordensleute die Unterstützung der Gemeinde für Sozialarbeit haben. Aber die Menschen haben es schwer, und deshalb sind unsere Sozialwerke ziemlich schwer zu tragen, denn es wird immer schwieriger, Nahrung für die Kinder zu bekommen, es wird immer schwieriger, medizinische Versorgung zu bekommen, die Lehrer wandern in den Süden Lateinamerikas aus, und deshalb ist auch die Bildung schwierig. Die Menschen leiden sehr unter dem Mangel an dem, was sie zum Leben brauchen, den Grundlagen.“
Unter den Schulen der Salvatorianer-Missionare ist die Schule „La Constancia“ mit 700 Schülern, zusammen mit anderen kleineren Schulen gesehen gibt es dort etwa 1.500 Schüler, erläutert Pater Díaz. Er erzählt uns auch von den Kinder- und Jugendheimen in dieser armen Gegend von Caracas und erklärt: „Der Staat will nicht, dass es Pflegehäuser gibt, weil das bedeuten würde, zuzugeben, dass es Straßenkinder gibt. Andererseits ist das Regime jedoch dafür dankbar, dass diese Realität dank des Beitrags und der Zusammenarbeit der Menschen guten Herzens und Willens, die den Missionaren helfen, erhalten bleibt.“
„Unsagbare Wahrheiten“ erschweren das Leben zusätzlich
Diese „unsagbaren Wahrheiten“ machten ihm zu schaffen. Es sei nicht fair, dass vor allem Kinder von der politischen Krise am meisten betroffen seien, so der Missionar. Auch das Wechselbad der Gefühle, das der selbsternannte Interimspräsident Guaido mit seinem Schritt ausgelöst hatte, habe die Situation nicht verbessert.
„Es gibt zwar Hoffnung, doch die Leute werden müde. Das liegt daran, weil es zunächst Momente der Euphorie gibt, da jemand kommt, der sie ermutigt und motiviert. Aber dann sinkt diese Hoffnung wieder. Im Moment liegen die Leute zwischen ,Ich weiß nicht, was ich tun soll´, ,Ich warte mal ab´ und ,Da bin ich und kann nicht anders´. Und diejenigen, die keine Hoffnung haben, verlassen das Land. Mehr als vier Millionen haben Venezuela verlassen, weil sie hier ihren Sinn für das Leben nicht mehr finden, und sie ziehen es vor, woanders hinzugehen, wo es nicht darum geht, dass sie – wie es das Regime sagt - ,ausgezeichnet´ sind, aber wo sie zumindest besser leben können.“
Erschwert wird die ohnehin schon prekäre Situation durch die Hyperinflation, die das Land seit Ausbruch der Krise fest im Griff hat, betont der Missionar, die die Auswirkungen der Geldpolitik täglich mit eigenen Augen sieht.
„Viele Millionen Bolivars – also unserer Währung – kommen durch Überweisungen an die Leute, die Geld schicken. Das ist jedoch nicht genug, denn die Inflation ist so hoch, dass nur diejenigen, die in Dollar oder anderen Währungen verdienen, hier überleben können.“
Und das führe letztlich dazu, dass eine ganze Generation verloren gehe:
„Was mich am meisten beunruhigt, ist nicht das wirtschaftliche Problem, das irgendwann gelöst werden kann, sondern das emotionale und psychologische Problem. Die Leute, die mit dir reden, sind voller Wut. Andere haben gemischte Gefühle, weil sie an die Kinder denken, die in andere Länder geflüchtet sind. In meinem Fall sind wir vier Brüder und drei von uns sind außerhalb des Landes. Emotionale Menschen leiden, und das bringt eine weitere Konsequenz mit sich, nämlich die körperliche Gesundheit. Nicht gut aufgelegt zu sein, wirkt sich auf den Körper aus, und deshalb haben wir gesehen, dass es viele Menschen mit Depressionen gibt. Das sind Menschen, die dazu neigen, entmutigt zu werden, die sogar Selbstmord begehen. Diese Krise hat die Lebensqualität der Menschen stark beeinträchtigt. Menschlich liegt das Land auf dem Boden. Die Wunden, die Narben, die es hinterlässt, haben viele Menschen geprägt, und es ist eine Generation, die verloren geht. Das sind 15 Jahre Krise! Und ich kenne junge Menschen, die ihr ganzes Leben lang so gelebt haben und nichts anderes kennen.“
Mehr internationale Unterstützung nötig
Wie Jesuitenpater Sosa sagte, brauche Venezuela dringend mehr internationale Unterstützung, wobei er auch auf noch mehr Unterstützung von Seiten der EU hofft. Erst am Mittwoch ist UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet zu einem mehrtägigen Besuch in dem südamerikanischen Krisenstaat eingetroffen.
Erst im Mai hatte die katholische Kirche nach heftigen Auseinandersetzungen die Sicherheitskräfte und die regierungsnahen paramilitärischen „Colectivos“ aufgefordert, die Menschenrechte zu respektieren und die Gewalt gegen regierungskritische Demonstranten zu stoppen. In der seit Jahren herrschenden schweren politischen und humanitären Krise in Venezuela lieferten sich zuletzt der sozialistische Staatspräsident Nicolas Maduro und sein Herausforderer Juan Guaido einen erbitterten Machtkampf, wobei zahlreiche westliche Staaten, darunter Deutschland und Österreich, Guaido als Übergangspräsident anerkannt haben.
(kap/vatican news)
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