Lampedusa: Syndrom der Angst bedroht Aufnahmetradition
Mario Galgano und Claudia Zeisel – Vatikanstadt/Agrigent
Sommerzeit auf Lampedusa bedeutet für die Insel, die vor allem von der Fischerei lebt, Sonne, Strand und Urlauber. Doch die Insel hat auch eine lange Tradition der Aufnahme von Hilfesuchenden aus Afrika, wie der Erzbischof von Agrigent betont:
„Die Aufnahme bei uns ist etwas Selbstverständliches. Lampedusa befindet sich ja näher zu Afrika als zu Sizilien. Die Menschen auf jener Insel sind es seit jeher gewohnt, dass man bei ihnen an die Tür klopft. Es war schon immer üblich, algerische Fischer Zuhause auf Lampedusa zu empfangen. Die Aufnahme von Flüchtlingen in jüngster Zeit finde ich deshalb so interessant, weil man über 10.000 Migranten aufgenommen hat, obwohl auf der Insel nur rund 5.000 Menschen leben.“
Eine Tradition der Aufnahme
Wer keinen Platz bei sich zuhause bieten konnte, brachte Thermosflaschen mit Kaffee oder Tee für die Durstigen. Für jene, die Hunger hatten, wurden und werden Mittagessen vorbereitet, so Kardinal Montenegro.
„Doch in jüngster Zeit hat sich doch etwas verändert. Denn die Politik, die derzeit betrieben wird, hinterlässt auch auf Lampedusa ihre Spuren. Viele sind jetzt von dem Syndrom der Angst befallen. Und weil Politiker immer von Angst sprechen oder von Terroristen reden, hat das dazu geführt, dass jetzt etliche ihre Türe verschließen, insbesondere die Tore ihres Herzens.“
Der sizilianische Kardinal prangert die Desinformationskampagnen an, die gezielt falsche Meldungen über Flüchtlinge verbreiteten. Das schüre neue Ängste bei den Bürgern. Es sei auch schwieriger geworden, nachzuprüfen, ob die Meldungen stimmen oder nicht, erläutert Kardinal Montenegro.
„Als Christen haben wir die Pflicht, die Realität mit den Augen des Evangeliums zu betrachten. Ich kann als Mann der Kirche die Flüchtlingsfrage nicht mit den Augen der Politik betrachten. Politiker haben ihre Interessen und Machenschaften.“
Man dürfe auch nicht außer Acht lassen, dass Italien bei der Aufnahme von Flüchtlingen alleine gelassen wurde. Kardinal Montenegro hofft, dass das frischgewählte EU-Parlament und die neue EU-Führung sich dem Thema mit „guten Lösungen“ widmen werden:
„Was wir erwarten ist das, was wir schon seit längerer Zeit hoffen und bisher nicht geschehen ist: ich war ja schon Gast im EU-Parlament und konnte mich mit der EU-Führung darüber unterhalten, aber man sagte mir ganz offen, dass es unmöglich sei, Lösungen zu finden, wenn nicht alle Ländern Europas dieselbe Linie verfolgen. Was ich aber noch schlimmer finde, ist die Tatsache, dass sich Europa darauf geeinigt hat, Wirtschaft und Finanzen als Hauptthemen zu fördern. Da ist nicht der Mensch im Mittelpunkt. Für mich bedeutet die Abkürzung ,EU´ somit ,Egoisten-Union´. Doch wenn man Egoisten zusammenführt, dann heißt das noch lange nicht, dass sie eine Gemeinschaft bilden.“
Das Problem sei nicht die Migration, führt der sizilianische Kardinal weiter aus. Es sei die soziale Ungerechtigkeit, die man bekämpfe solle.
„Europa ist dafür verantwortlich, wie es Afrika geht. Wenn es Afrika schlecht geht, dann fliehen die Menschen von dort. Europa hat zu lange mit den Ressourcen Afrikas ,gespielt´, um nicht zu sagen diese geplündert. Wenn ich Politiker höre, dann höre ich nur, dass es Schwarze und Weiße gibt. Die Tatsache, dass es weltweit 245 Millionen Migranten gibt – und einige bezeichnen dies als sechsten Kontinent – ist doch nicht darauf zurückzuführen, dass es Schwarze und Weiße gibt, sondern dass es Mechanismen in der Welt gibt, die nicht funktionieren. Und wir müssen uns alle fragen, welche Zukunft wird es in den Ländern geben, wo alle Jugendlichen auswandern?“
(weltkirche.de/vatican news)
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