Nach einem Luftangriff auf Ariha (Idlib): Helfer suchen in den Ruinen nach Opfern Nach einem Luftangriff auf Ariha (Idlib): Helfer suchen in den Ruinen nach Opfern 

Syrien: Bis zum Frieden ist es noch ein weiter Weg

Der Krieg in Syrien ist alles andere als vorbei. Vor allem in der Provinz Idlib wird noch heftig gekämpft. Sie ist die letzte Enklave, die noch vollständig in der Hand von Aufständischen ist.

Assads Armee und ihre russischen Verbündeten führen seit einigen Monaten massive Luftschläge in Idlib durch; dabei werden oft auch Krankenhäuser und Gesundheitsstationen getroffen.

Vincent Gelot, Projektchef beim französischen Hilfswerk „Oeuvre d’Orient“, war gerade in der Provinz Idlib. Er berichtet uns: „Diese Zone wird von mehreren Rebellengruppen kontrolliert, vor allem von der früheren syrischen Variante von al-Quaida. Etwa zwei Millionen Menschen sollen sich in dieser Zone aufhalten – das sind sehr viele Zivilisten. Man merkt, dass sich die Kämpfe in den letzten Monaten intensiviert haben; man sieht sehr viele Binnenflüchtlinge, die angesichts der Kämpfe in die von der Armee kontrollierte Zone überwechseln, das sind Hunderttausende von Menschen.“

„Die Kämpfe sind hart, und die Zivilisten sind die ersten Opfer“

Jedesmal, wenn Assad und seine Verbündeten in den letzten Jahren einen militärischen Sieg eingefahren haben (in Aleppo zum Beispiel), gingen die meisten der besiegten Aufständischen in die Provinz Idlib – und mit ihnen viele Zivilisten. Darum fällt das syrische Regime jetzt über Idlib her.

„Ich habe zwei christliche Dörfer besucht, die unser Hilfswerk fördert und die jetzt genau auf der Frontlinie liegen. Dort hört man ständig Schüsse, Menschen sterben, viele Gebäude sind eingestürzt, man sieht viele arme Menschen, viel Durcheinander – die Lage ist schwer zu meistern. Die Kämpfe sind hart, und die Zivilisten sind die ersten Opfer.“

Zum Nachhören

Die Ideologie des IS hat überlebt

Natürlich ist die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ weitgehend besiegt. Doch Gelot stellt fest, dass ihr Denken überlebt hat. „Diese Ideologie hat tiefe Wurzeln. Sie ist ja nicht erst gestern entstanden oder irgendwie durch Magie. Natürlich hat sie viele Menschen in Syrien, die eine Weile im sogenannten Kalifat gelebt haben, stark geprägt. Das trägt dazu bei, dass die arabischen Einwohner – Sunniten und Christen – im syrischen Mesopotamien, dem Nordosten, die kurdische Besatzung nur schwer ertragen. Die Kurden haben sich zwar wacker gegen Daesh geschlagen, spielen sich jetzt aber im eroberten Terrain als Herren auf. Da hört man einige Leute tatsächlich sagen, dass sie dem Islamischen Staat nachtrauern…“

Für Gelot ist das nichts Überraschendes. „Das erinnert mich an Afghanistan und an den Irak. Wenn man eine so schlimme Diktatur erlebt hat, aber gleich danach das Chaos, dann fangen die Menschen an, die schlimme Vergangenheit zu verklären, sie sagen: Damals herrschte wenigstens Ordnung… Das wird jedenfalls noch jahrzehntelang Spuren hinterlassen, soviel ist sicher.“

„Die Leute haben durchschnittlich nur fünfzig Dollar im Monat in der Hand“

In weiten Teilen Syriens haben die Kämpfe aufgehört. Das Regime hat gewonnen, dank seiner Moskau-Connection. „Also, die Sicherheitslage hat sich schon verbessert. Man lebt in Damaskus oder Aleppo nicht mehr wie vor zwei oder drei Jahren in ständiger Angst vor Raketenangriffen – aber die Wirtschaftslage ist katastrophal. Die Währung ist eingekracht, sie ist seit Kriegsbeginn um das Zwölffache abgewertet worden; es gibt kaum Gas, darum können die Leute sich fast nichts kochen, das ist wirklich hart. Die Leute haben durchschnittlich nur fünfzig Dollar im Monat in der Hand, damit kann man nichts machen. Das Land ist stark verarmt, die Industrien sind geschlossen, der öffentliche Dienst ist in einigen Gebieten, etwa Ost-Aleppo, noch nicht wiederhergestellt. Homs ist heute eine Geisterstadt, in die niemand zurückkehren kann: Kilometer um Kilometer nur Ruinen.“

Trotzdem ist Gelot vorsichtig optimistisch, dass Syrien – sobald erst mal Frieden herrscht – wieder auf die Beine kommen wird. Auch wenn das Jahrzehnte dauern dürfte.

Die Syrer haben noch innere Ressourcen...

„Also, im Vergleich zum Irak oder sogar zum Libanon hat Syrien doch eine gewisse Tradition des starken Staates, und darum ist das Gefühl, Syrer zu sein, das Nationalbewusstsein doch sehr stark. Die Leute sagen einem zuerst: Ich bin Syrer!, und danach erwähnen sie erst ihre Konfession. Im Irak wäre das nicht der Fall; das ist schon wichtig. Natürlich hat es in diesem Krieg immer wieder Versuche gegeben, eine Gruppe gegen die andere aufzuhetzen; aber ich spüre in Syrien heute nicht so starke Animositäten wie zum Beispiel in Mossul (Irak).“

Natürlich sei noch viel Wiederaufbau zu leisten: „Nicht nur materieller, auch menschlicher, und Versöhnungsarbeit. Es ist nicht leicht, die Gemeinschaften von innen wieder aufzubauen… Trotzdem hat es während des Krieges zwischen den Gemeinschaften doch viele schöne Initiativen gegeben, um wieder in Kontakt zu kommen und alles allmählich gemeinsam wieder aufzubauen. Die Syrer haben noch innere Ressourcen; darauf kann man zählen, um Schritt für Schritt in die Zukunft zu kommen.“

(vatican news – sk)
 

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17. Juli 2019, 11:57