Expertin zu Notre-Dame: „Von Wiederaufbau kann noch keine Rede sein“
DOMRADIO.DE: Wie ist der Stand der Wiederaufbauarbeiten?
Prof. Barbara Schock-Werner (Ehemalige Kölner Dombaumeisterin): Von Wiederaufbau kann noch überhaupt keine Rede sein. In Paris ist man immer noch mit Sicherungsarbeiten beschäftigt. Es darf noch immer keiner unter die Gewölbe, weil der Architekt Philippe Villeneuve noch immer Teileinstürze befürchtet. Er hat jetzt ein Dach über dem Chor errichtet, auf großem Leimbinder, weil er die Auflast braucht.
DOMRADIO.DE: Die Einsturzgefahr ist nach wie vor ein riesiges Problem in Notre-Dame. Eine große Anzahl Fenster musste deshalb ausgebaut werden. Können Sie Details schildern?
Schock-Werner: Sie haben jetzt 37 Fenster in Kisten verpackt, die noch nie restauriert wurden. Sie stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und somit nicht aus dem Mittelalter. Sie sind aber so verdreckt, dass man sie alle wird restaurieren müssen, bevor man sie wieder einbaut. Und bevor man 37 Fenster restauriert hat, dauert es eine Weile. Die, die wir uns bis jetzt angeguckt haben, haben oben Sprünge durch die Hitze und sind dreckig.
DOMRADIO.DE: Es herrschte ja große Erleichterung darüber, dass die Orgel gerettet werden konnte. Aber das scheint jetzt doch nicht so zu sein. Können Sie das erklären?
Schock-Werner: Sie haben jetzt einige der Orgelpfeifen in den Untersuchungswerkstätten näher geprüft. Dabei wurde festgestellt, dass Bleistaub und Bleibröckchen, winzige Bröckchen wie Salzkristalle oder sowas, eben auch in den Orgelpfeifen stecken.
DOMRADIO.DE: Das Blei in Notre-Dame ist ein großes Problem. Die Dachhaut der Kathedrale über dem Holzgebälk war aus Blei. Und das ist beim Brand geschmolzen und in die Kirche getropft. Und das hat natürlich viel verschmutzt, oder?
Schock-Werner: Dieses Blei ist durch die Hitze zum Teil verbrannt, offenbar auch runtergetropft. Aber es hängt auch in Teilen im Strebewerk, wo ein Brocken runtergefallen ist. Es gibt aber eben auch kristall- oder plättchenförmige Teile, die jetzt überall auf Wänden, Fenstern und Möbeln sind. Das ist ein Schadensfall, den man in der Restaurierung nicht hatte. Deshalb muss erstmal untersucht werden, wie man damit umgeht.
DOMRADIO.DE: In den Teilen der Kathedrale, die man zurzeit schon begehen kann, werden immer noch Reinigungsarbeiten durchgeführt. Welche Rolle spielte das Löschwasser, das sicher auch Schaden angerichtet hat?
Schock-Werner: Das ganze Gebäude ist nass durch die ganzen Löscharbeiten. Gelöscht wurde mit Wasser aus der Seine und dem Grundwasser. Das heißt, es war kein sauberes Wasser und das Salz und die Mikroorganismen, die da drin waren, hängen jetzt im Mauerwerk. Die muss man auch erst einmal wieder raus kriegen. Und bis es wieder normal getrocknet ist, veranschlagt der Direktor dieser Untersuchungswerkstätten zehn Jahre.
DOMRADIO.DE: Sie koordinieren für Deutschland die Hilfe zum Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame. Welche Hilfe kann denn von deutscher Seite konkret geleistet werden, wenn wir als ein Beispiel jetzt mal die vielen Fenster nehmen, von denen sie zu Beginn gesprochen haben und die natürlich auch verdreckt sind und zum Teil auch gesprungen sind?
Schock-Werner: Es gibt auch deutsche Werkstätten, die vielleicht zehn oder 15 restaurieren können. Die sind in Kisten, die kann man transportieren, das ist kein Problem.
Oder aber wenn die Reinigungsmethode der Wände festgelegt ist, kann man sagen, dass wir auch deutsche Steinrestauratoren haben, die auf Kosten der Bundesrepublik einspringen könnten.
DOMRADIO.DE: Ist es da vielleicht auch denkbar, dass dann Kirchenfenster von Notre-Dame nach Köln transportiert und dann in der Dombauhütte restauriert werden. Wäre da eine konkrete Hilfe möglich?
Schock-Werner: Es ist ja auch bei uns Geld gesammelt worden und dann könnte man sagen: Aus diesem Topf werden die Unkosten bezahlt und deutsche Restauratoren hier in Köln oder in Erfurt, wo die andere große Werkstatt ist, übernehmen Reinigungsarbeiten.
Das Interview führte Johannes Schröer.
(domradio)
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