Aleppo: „Noch kein Aufschwung, aber Hoffnungszeichen“
Das sagte der chaldäisch-katholische Bischof Antoine Audo bei einem Besuch beim französischen Hilfswerk „Oeuvre d’Orient“ zur Lage in der einstigen Wirtschaftsmetropole im nördlichen Syrien. Ein Hoffnungszeichen sei auch, dass die zerstörte maronitische Kathedrale von Aleppo wieder aufgebaut wird.
Am dringendsten notwendig sei in Aleppo der Wiederaufbau des Gesundheitswesens, sagte Bischof Audo. Es gebe viele kranke und alte Menschen, die dringend der Hilfe bedürfen. Der Krieg habe das Niveau des Gesundheitszustands der Bevölkerung drastisch gesenkt, „sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht“. Die Hoffnung auf konkrete Hilfe gelte den internationalen Hilfsorganisationen und den Kirchen.
„Die Herausforderung besteht im Überleben“
Als Bischof habe er in den letzten achteinhalb Jahren äußerst harte Momente erlebt, berichtete der Bischof. Gemeinsam mit den anderen Bischöfen der Stadt und der Mehrheit der Christen liege es ihm am Herzen, für Gegenwart und Zukunft der Kirchen in einer der ältesten Städte der Menschheit einzutreten: „Das hat für uns eine ganz tiefe Bedeutung. Die Herausforderung besteht im Überleben, in der lebendigen Präsenz trotz der Emigration so vieler Christen, die sich über die ganze Welt verteilt haben. Wir müssen die Kontinuität sichern, indem wir Brücken bauen zwischen denen, die geblieben sind, und denen, die weggegangen sind“.
„Wir Christen glauben an die Zukunft Syriens“, betonte Bischof Audo. Der Friede müsse hergestellt werden, um die Stabilität zu sichern, damit die Arbeit wieder beginnen kann. Unter den Christen gebe es diese tiefe Überzeugung.
„Wir waren überrascht über die Auswirkungen der Sanktionen“
Der maronitische Erzbischof von Aleppo, Yousef Tobji, hat derweil bei einer Begegnung mit der italienischen Sektion des internationalen Hilfswerks „Kirche in Not“ betont, dass sich die Sicherheitslage in Aleppo sehr verbessert hat, auch wenn es am Stadtrand immer wieder Angriffe aus dem unter lockerer türkischer Kontrolle von radikalislamistischen Milizen beherrschten Gebiet von Idlib gebe.
Viel schlimmer sei der „Wirtschaftskrieg“. Ende 2016 hätten in Aleppo viele geglaubt, dass es bald wieder Arbeit für alle geben würde und der Wiederaufbau der Stadt zügig vorangehen werde. „Wir waren überrascht über die Auswirkungen des Embargos und der Sanktionen, die uns jetzt in noch härterer Weise treffen“, stellte Erzbischof Tobji fest: „Dazu kommen die Schwierigkeiten bei der Elektrizitätsversorgung, die galoppierende Inflation, die Korruption, die ein Rekordniveau erreicht hat“.
„Emigranten haben paradiesische Vorstellungen vom Westen“
Die Menschen in Aleppo seien heute demotiviert, bedauerte der maronitische Erzbischof. Deshalb würden viele weggehen: „Die Emigration ist für uns eine offene Wunde“. Die Leute hätten paradiesische Vorstellungen von der westlichen Welt. Tobji: „Wenn sie dann hinkommen, erleben sie oft eine Realität, die anders aussieht als sie sich erwartet haben. Dann sind sie überrascht und enttäuscht. Das ist eine große Tragödie. 2016 hatten die meisten noch Hoffnung, jetzt geben viele der Verzweiflung nach.“
Durch die Emigration gebe es in der christlichen Gemeinschaft eine Tendenz zur Überalterung. Die Kirche versuche aber, auch die älteren Gemeindemitglieder im sozialen und pastoralen Bereich zu unterstützen, bei der Versorgung mit Medikamenten, Lebensmitteln, Wohnmöglichkeiten, psycho-sozialer Betreuung. Fazit des Erzbischofs über die Situation der Christen von Aleppo: „Wir müssen den Glauben der Menschen stärken, sie in diesem Land verankern und sie ermutigen, Zeugen Christi zu sein, Salz der Erde und Licht der Welt. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Präsenz hier unbedeutend wird“.
Kleine Basketballer glauben an „schöneres“ Aleppo
Dass es auch in der ganz jungen Generation der Christen in Aleppo Hoffnung gibt, schildert die italienische katholische Nachrichtenagentur SIR in einer Reportage über das Jugend-Sportzentrum „Al Yarmouk“ im christlich geprägten Vorstadtbezirk Al-Zizieh. „Al Yarmouk“ wurde 1925 von armenischen Überlebenden des vom jungtürkischen „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (Ittihad ve Terakki) inszenierten Völkermords an den Christen Anatoliens als Fußballklub gegründet, später konzentrierte sich der Klub auch auf Basketball und Athletik. Die italienische Sektion von „Kirche in Not“ finanzierte den Wiederaufbau des vor drei Jahren durch die Bomben in einen Trümmerhaufen verwandelten Sportzentrums, das vor 2011 von mehr als 800 jugendlichen Christen frequentiert wurde.
Der Mailänder Erzbischof Mario Delpini hat vor kurzem das Sportzentrum besucht, wo sich jetzt wieder viele Jugendliche einfinden, um sich sportlich zu betätigen. Im Gespräch mit dem ihm versicherten die 11- bis 14-jährigen: „Wir wollen in Syrien bleiben und weiterhin in unserer Stadt leben. Aleppo wird schöner als früher wieder aufgebaut werden“.
Die Kinder und Jugendlichen durften jahrelang nur wenig ins Freie, weil die Eltern wegen der Bomben, Raketen und Heckenschützen Angst um sie hatten. Auch der Schulbesuch spielte sich oft im Keller der Schulgebäude ab. Jetzt präsentierten sie sich vor den Gästen aus Italien fröhlich und unternehmungslustig – und auf dem aktuellen Stand der Dinge, was die internationale – und vor allem US-amerikanische – Basketball-Szene betrifft. Die Studien- und Berufspläne reichen vom Ingenieur und Architekten („um die Stadt wiederaufzubauen“) bis zum Mediziner („weil es jetzt so wenig Ärzte hier gibt“).
(pro oriente – sk)
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