Eine Überlebende des Menschenhandels erzählt
Von Teresa Roelcke - Vatikanstadt
„Ich bin eine Überlebende – und bin mir dessen sehr bewusst: eine Überlebende zu sein.“ Mit diesen Worten beginnt uns Blessing Okoedion ihre Geschichte zu erzählen. Sie stammt aus Nigeria, einem Land, aus dem viele Opfer von Menschenhandel kommen.
Wenn man sie fragt, würden die meisten jungen Frauen sagen: Natürlich wüssten sie von der Gefahr durch Menschenhandel, erzählt Blessing Okoedion. Aber keine der jungen Frauen würde damit rechnen, selbst Opfer davon zu werden.
Vom eigenen Computerladen in Benin...
Genauso ist es ihr ergangen. Blessing Okoedion hat in Nigeria studiert und einen Abschluss in Informatik gemacht. Sie begann zu arbeiten und eröffnete bald ihren eigenen Laden, in Benin City. Dort gab es eine Kundin, die häufig vorbeikam. Eine Mutterfigur sei diese Frau geradezu geworden. So großes Vertrauen habe Blessing Okoedion in diese Person gefasst, erzählt sie.
Nach einigen Jahren habe die Frau ihr von ihrem Bruder erzählt. Er sei in Europa und habe auch einen Computerladen, in dem auch Blessing Okoedion arbeiten könnte. Okoedion sah ihre große Chance gekommen. Sie dachte nach, besprach die Pläne mit ihren Eltern. Und sagte zu. Die Frau kündigte an, sich um alles zu kümmern.
Als die Nachricht kam, dass das Visum ausgestellt sei, war Blessing Okoedion glücklich. Ein Arbeitsvisum sollte es sein, für zwei Jahre. So kam Okoedion 2013, mit 26 Jahren nach Europa. Zunächst nach Spanien. Dort angekommen, klingelte ihr Telefon: die Frau aus Nigeria teilte Okoedion mit, dass sie weiterreisen müsse nach Italien. Weil sie der Frau so sehr vertraute, kamen ihr weiter keine Zweifel.
...in die Prostitution in Italien
In Italien dann realisierte Blessing Okoedion, dass sie in eine Falle geraten war. Gleich bei der Ankunft nahmen ihr die Menschenhändler all ihre Dokumente und ihr Handy ab. Außerdem teilte man ihr mit, sie sei mit 65.000 Euro verschuldet und müsse diese Schuld nun abarbeiten: Nicht durch die angekündigte gute Arbeit im Computerladen, sondern durch Prostitution auf der Straße, als Sexsklavin. Was sollte sie machen?
Zusätzlich zu der krassen Abhängigkeit, in die sie ohne Dokumente und durch ihre vermeintliche Verschuldung gekommen war, konnte sie weder die italienische Sprache noch kannte sie sich irgendwie in dem Land aus, in das sie geraten war.
Sie schämte sich, Opfer geworden zu sein. Und natürlich hatte sie Angst vor der Skrupellosigkeit ihrer Händler, denen sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Die anderen Frauen, die gezwungen waren, gemeinsam mit ihr auf den Straßenstrich zu gehen, sagten ihr, auch sie würde sich daran gewöhnen. Sich an diese absolute Entwertung zu gewöhnen, als Sklavin, als Verkaufsprodukt – für Blessing Okoedion war das keine Option.
Hilfe durch die Uruslinenschwestern
Schließlich gelang es ihr, Mut zu fassen und zur Polizei zur gehen. Die brachte sie nach Caserta, zu den Ursulinenschwestern und der Gemeinschaft Casa Rut, die schon mehreren hunderten Frauen geholfen haben, ihren Zuhältern und der Sklaverei zu entkommen. Die Schwestern halfen auch Blessing Okoedion - sich wieder überhaupt als menschliche Person zu fühlen und etwas von ihrer Würde zurückzugewinnen.
Inzwischen ist sie eine prominente Kämpferin gegen den Menschenhandel geworden. Sie hat ein Buch geschrieben und fährt immer wieder nach Nigeria, um mit jungen Frauen über die Gefahren des Menschenhandels zu sprechen. Ihre eindringliche Stimme ist auch jenseits des Atlantiks hörbar. Von US-Außenminister Mike Pompeo wurde sie 2018 als „Heldin“ in der Arbeit gegen Menschenhandel ausgezeichnet.
Man kann davon ausgehen, dass Blessing Okoedion weitermachen wird: Dass sie weiter gegen Menschenhandel und Sexsklaverei kämpfen wird, dass sie andere ermutigen wird, mit ihr zu kämpfen. Und dass sie denjenigen, die sie ausgebeutet haben, weiter zeigen wird, dass sie weit mehr ist, als ein Opfer: eine Überlebende.
(vaticannews)
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