Die Schlichtheit von Weihnachten - eine Meditation
Kardinal Carlo Maria Martini SJ (1927-2012)
Die Krippe ist etwas sehr Einfaches, das alle Kinder verstehen. Sie ist vielleicht aus vielen verschiedenen, unterschiedlich großen Figuren zusammengesetzt: das Wesentliche ist jedoch, dass sie alle irgendwie auf einen Punkt ausgerichtet sind, auf einen Punkt blicken, auf die Hütte nämlich, wo Maria und Josef, mit Ochs und Esel, der Geburt Jesu harren, ihn in den ersten Momenten nach seiner Geburt anbeten.
Wie die Krippe, ist das ganze Geheimnis der Weihnacht, der Geburt Jesu in Bethlehem, ausgesprochen schlicht, und deshalb ist es auch von Armut und von Freude begleitet. Es ist nicht einfach, verstandesmäßig zu erklären, wie diese drei Dinge zusammenpassen. Aber wir wollen es zumindest versuchen.
Das Geheimnis der Armut und der Verarmung
Das Geheimnis der Weihnacht ist sicherlich ein Geheimnis der Armut und der Verarmung: Christus, der reich war, ist für uns zum Armen geworden, um uns zu gleichen; aus Liebe zu uns und vor allem aus Liebe zu den Ärmsten. Alles dort ist arm, einfach und schlicht, und deshalb ist es für den, der das Auge des Glaubens hat, auch nicht schwer zu begreifen: den Glauben der Kinder, derer das Himmelreich ist. Wie Jesus gesagt hat: „Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein“ (Mt 6, 22). Die Schlichtheit des Glaubens erleuchtet das ganze Leben und lässt uns fügsam die großen Dinge Gottes annehmen. Der Glaube wird aus der Liebe geboren, ist die neue Fähigkeit des Sehens, die dann entsteht, wenn wir uns von Gott so sehr geliebt fühlen.
Auf den Punkt bringt all das der Evangelist Johannes in seinem ersten Brief, wo er die Erfahrung beschreibt, die Maria und Josef in der Krippe machten: „Was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben [...] das Wort des Lebens. Denn das Leben wurde offenbart.“ Und all das geschah, damit unsere Freude vollkommen sei. Es ist also alles für unsere Freude, für eine vollkommene Freude (vgl. 1Joh 1, 1-3). Diese Freude war nicht nur die der Zeitgenossen Jesu, sondern ist auch die unsrige: auch heute macht sich dieses Wort des Lebens in unserem täglichen Leben sicht- und greifbar, in unserem Nächsten, den wir lieben sollen, auf dem Weg des Kreuzes, im Gebet und in der Eucharistie, ganz besonders in der Eucharistie zu Weihnachten, und erfüllt uns mit Freude.
Armut, Schlichtheit, Freude: das sind schlichte, grundlegende Worte, aber auch Worte, die uns Angst, ja fast schon Scham einflößen. Uns scheint, dass das mit der vollkommenen Freude nicht so recht klappen will, weil es immer so vieles gibt, was uns Sorgen macht, wir mit so vielen falschen, ungerechten Situationen konfrontiert sind. Wie sollen wir angesichts all dessen wahre Freude empfinden? Aber auch das mit der Einfachheit will nicht so recht klappen: es gibt so vieles, dem wir misstrauen müssen, schwierige, schwer zu verstehende Dinge; das Leben wirft so viele Rätsel auf: wie sollen wir angesichts dessen in den Genuss der Gabe der Einfachheit kommen? Und ist die Armut vielleicht nicht eine Befindlichkeit, die es zu bekämpfen, vom Angesicht der Erde zu tilgen gilt?
Doch vollkommene Freude bedeutet nicht, dass man den Schmerz über die Ungerechtigkeit, den Hunger auf der Welt, so viel menschliches Leid, nicht teilt. Es bedeutet einfach nur, Gott zu vertrauen, zu wissen, dass Gott diese Dinge weiß, er sich um uns kümmert, in uns und den anderen jene Gaben weckt, die die Geschichte erforderlich macht. Und so wird der Geist der Armut geboren: indem man in allem auf Gott vertraut. In ihm kommen wir in den Genuss einer vollkommenen Freude, weil wir das Wort des Lebens berührt haben, das von jeder Krankheit, von Armut, Ungerechtigkeit und Tod heilt.
Zum Glauben sind Herz und Mund genug
Wenn alles in irgendeiner Weise so einfach ist, muss es auch einfach sein können, daran zu glauben. Man hört heute oft sagen, dass es in einer solchen Welt schwer geworden ist, zu glauben. Dass der Glaube riskiert, im Meer der Gleichgültigkeit und des heutigen Relativismus unterzugehen, von den hochtrabenden wissenschaftlichen Reden über den Menschen und den Kosmos ausgegrenzt zu werden droht. Man kann nicht leugnen, dass es heute, in einer solchen Welt, mühevoller sein kann, mit rationalen Argumenten zu beweisen, dass es dennoch möglich ist, zu glauben.
Aber wir dürfen nicht vergessen, was der heilige Paulus gesagt hat: zum Glauben sind Herz und Mund genug. Wenn das Herz – angerührt vom Heiligen Geist, der im Überfluss in unsere Herzen gegossen wurde (vgl. Röm 5, 5; Joh 3, 34) – glaubt, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat und das der Mund kundtut, sind wir gerettet (vgl. Röm 10, 8-12). Alle Komplikationen, alle Vertiefungen, die uns manchmal verwirren; alles, was durch das östliche und westliche Denken, durch Theologie und Philosophie hinzugefügt wurde, sind gute Reflexionen, die uns aber nicht vergessen lassen dürfen, dass glauben im Grunde eine einfache Geste ist, eine Geste des Herzens, das sich bedingungslos ergibt, und ein Wort, das verkündet: Jesus ist auferstanden, Jesus ist der Herr! Es ist eine so einfache Geste, dass sie nicht zwischen Gelehrten und Ungebildeten unterscheidet, zwischen Personen, die einen Weg der Läuterung hinter sich haben oder diesen noch beenden müssen. Der Herr ist unser aller, er ist voll der Liebe für alle, die ihn anrufen.
Die kleinen Zeichen, nicht die großen Abhandlungen
Zu Recht versuchen wir, das Geheimnis des Glaubens zu ergründen, es auf allen Seiten der Heiligen Schrift zu lesen. Wir haben es zu definieren versucht, manchmal auch auf recht verschlungenen Pfaden. Aber der Glaube ist – ich wiederhole – einfach; er ist ein Akt der Hingabe, des Vertrauens, und zu dieser Einfachheit müssen wir wieder zurückfinden. Er erleuchtet alles und lässt uns die Schwierigkeiten des Lebens ohne allzu viele Sorgen und Ängste angehen.
Zum Glauben braucht man nicht viel. Man braucht die Gabe des Heiligen Geistes, an der dieser es unseren Herzen nicht mangeln läaat; wir selbst wiederum müssen auf die wenigen, deutlichen Zeichen achten. Denken wir an das, was sich neben dem leeren Grab Jesu ereignet hat: Maria Magdalena stieß schluchzend hervor: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat.“ Petrus betrat das Grab, sah die Leinenbinden und das Schweißtuch säuberlich zusammengefaltet in einer Ecke liegen, und verstand noch immer nicht. Der andere Jünger aber – der, den Jesus liebte, intuitiver und einfacher –, der verstand. Er „sah und glaubte“, wie es im Evangelium heißt, weil die kleinen, im Grab vorhandenen Zeichen in ihm die Gewissheit erwachsen ließen, dass der Herr auferstanden war. Er brauchte keine theologische Abhandlung, hat nicht Tausende von Seiten darüber geschrieben. Er hat kleine Zeichen gesehen, klein wie die Krippe, aber das genügte, dass sein Herz bereits darauf vorbereitet war, das Geheimnis der unendlichen Liebe Gottes zu verstehen.
Schon wenig kann genügen...
Manchmal sind wir auf der Suche nach komplizierten Zeichen, und das ist auch recht so. Aber schon wenig kann genügen, um zu glauben, wenn das Herz bereit ist und man dem Geist lauscht, der uns Zuversicht und Freude am Glauben einflößt, ein Gefühl der Befriedigung und der Fülle. Wenn wir so einfach und so bereit sind für die Gnade, gehören wir zur Gruppe jener, denen es gegeben ist, die grundlegenden Wahrheiten zu verkünden. Wahrheiten, die es uns ermöglichen, das vom fleischgewordenen Wort aufgezeigte Geheimnis mit Händen zu „greifen“. Wir erfahren dann, wie die vollkommene Freude auch in dieser Welt möglich ist, trotz allen Leids und aller Schmerzen, die wir Tag für Tag erleben müssen.
Jerusalem, Dezember 2006
(vatican news – sk)
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