„Suffering in Silence“: 9 von 10 vergessenen Krisen in Afrika
2,4 Millionen Online-Meldungen ausgewertet
CARE ließ für seinen Bericht mehr als 2,4 Millionen Online-Meldungen in englischer, deutscher, französischer, spanischer und arabischer Sprache im Zeitraum von Januar bis November 2019 auswerten. Veröffentlicht wurde der Bericht „Suffering in Silence“ an diesem Dienstag in Berlin. Über die Ergebnisse hat Radio Vatikan mit Karl-Otto Zentel, dem Generalsekretär von CARE Deutschland, gesprochen.
Chronische Krisen verschwinden vom Radar
Zentel: Am allerwenigsten wurde berichtet über Madagaskar, das waren nur 612 Treffer, die wir für Madagaskar finden konnten, wo gleichzeitig Millionen von Menschen auf humanitäre Hilfe, auf Nahrungsmittelhilfe für das Überleben angewiesen sind. Wir haben andere Länder auf der Liste wie die Zentralafrikanische Republik, die Tschadsee-Region oder Burundi – und ich erwähne diese Länder, weil eben die Vereinten Nationen berichtet haben, dass in ihren Hilfsappellen seit dem Jahr 2000 etwa die Zentralafrikanische Republik 16 Mal vertreten ist, die Tschadsee-Region 15 Mal und Burundi elf Mal. Das heißt eine Verstetigung der Situationen in diesen Ländern. Gleichzeitig berichten die Vereinten Nationen auch, dass auf ihre Hilfsappelle im vergangenen Jahr die Ländern Tschad, Zentralafrikanische Republik und Äthiopien die wenigsten finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen haben vergleichen mit dem Appeal in Prozent von der Internationalen Gemeinschaft. Was für uns auch ein Indiz dafür ist, dass zum einen chronische Krisen sehr schnell aus dem Radar verschwinden und zum anderen, dass fehlende Öffentlichkeit auch verknüpft ist mit finanzieller Unterstützung für Katastrophen in Ländern.
Zentel: Soweit ich sehe, haben wir die höchsten Hilfsappelle für den Jemen und im Syrien-Kontext. Und diese Aufrufe der Vereinten Nationen wurden bislang auch relativ umfangreich bedient. Wir haben hier ein politisches Interesse und jetzt auch mediale Aufmerksamkeit – etwa inzwischen beim Jemen-Konflikt, der lange Zeit nicht im politischen Fokus stand. Es ist auch die Zahl der beteiligten Akteure, die da eine Rolle spielen. Beim Syrien-Konflikt ist ein starkes politisches Interesse vorhanden, hinzu kommt die ganze Flüchtlingsdiskussion, die wir haben.
Fast alle vergessenen Krisen in Afrika
Zentel: Im Moment können wir vermuten, dass es sich hier um eine Kombination handelt. Wir haben zum einen eine Verstetigung von Krisen, von sehr schweren Lebenssituation der Menschen in einem Land, wo sich eine schwierige Situation zu einer dramatischen entwickelt, was wenig Aufmerksamkeit erzeugt. Dann spielt weiter die Frage des Zugangs auf Sicherheitsgründen eine Rolle. Zum Beispiel kam es in der Zentralafrikanischen Republik im Jahr 2019 weltweit zu den meisten Übergriffen auf internationale Hilfsorganisationen. Auch die Tschadsee-Region ist nur sehr schwer zugänglich; auch andere Länder sind relativ geschlossen, das mag ein Grund sein. Dann: Ist das politische Interesse an diesen Ländern vorhanden? Spielen sie international eine Rolle? Ich glaube, das ist eine Kombination von mehreren Faktoren, die dazu führt, dass diese Länder nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen und wenig bis gar keine Aufmerksamkeit bekommen.
Klimatische Ereignisse mit verheerenden Folgen nehemen zu
Zentel: Der Zusammenhang zwischen einem einzelnen klimabedingten Ereignis und dem menschengemachten Klimawandel können wir noch nicht herstellen. Aber was wir sagen können: Dass in Ländern, die ohnehin immer wieder von klimatischen Ereignisse wie zum Beispiel Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen getroffen wurden, dass diese Ereignisse zugenommen haben. Wir haben also mehr und häufiger Dürren, wir haben länger anhaltende Dürren und wir haben kürzere Pausen zwischen diesen Ereignissen, die es auch den Menschen zunehmend schwieriger machen, sich wieder von dem Ereignis zu erholen und wieder Ressourcen aufzubauen, um gerüstet zu sein.
Zentel: Dem würde ich auf jeden Fall so zustimmen. Beim plötzlich Ereignis ist es ein Erschrecken, das Aufmerksamkeit erzeugt. Schleichende Veränderungen werden wesentlich weniger wahrgenommen...
Berichten, berichten, berichten
Zentel: Ich denke, der Weg führt da wirklich über Berichterstattung, darüber, Medien zu interessieren, um so etwas in die Öffentlichkeit zu bringen. Ansonsten gehen diese Krisen, wie wir an unserer Liste der zehn Länder sehen, im Alltag unter, können sich nicht durchsetzen gegen die plötzlichen Ereignisse, die politischen Veränderungen, den Brexit, andere Dinge, die – weil sie direkter betreffen – mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir sind hier alle gefordert. Es braucht hier Offenheit und ein Umdenken! Bei der Politik braucht es ein Umdenken, aber auch die Erkenntnis, dass Geld allein nicht die Lösung ist, sondern dass oftmals hier auch Rahmenbedingungen herrschen, die politisch angegangen werden müssen. Humanitäre Hilfe ist dann keine Lösung, sondern hat die Aufgabe, Menschenleben zu retten. Aber damit ist die Ursache nicht behoben.
Zentel: Wir von CARE haben uns zum Beispiel jetzt vorgenommen, über diese Länder in der Liste, in denen wir als Hilfsorganisation tätig sind, verstärkt zu berichten – durch Pressemitteilungen, Öffentlichkeitsarbeit, um damit die Menschen in Deutschland und anderen Ländern aufmerksamer zu machen und so die Voraussetzungen für Unterstützung der betroffenen Menschen in Not zu schaffen.
Die Fragen stellte Anne Preckel.
Hintergrund
Für die quantitative Untersuchung hat CARE das internationale Medienbeobachtungsunternehmen Meltwater mehr als 2,4 Millionen Online-Meldungen in englischer, deutscher, französischer, spanischer und arabischer Sprache im Zeitraum von 1. Januar bis 15. November 2019 auswerten lassen. Dafür wurden 40 Krisen und Katastrophen analysiert, die mehr als eine Million Menschen betreffen. Nach Anzahl ihrer Erwähnung in Online-Medien wurden daraus die zehn Krisen mit der geringsten medialen Präsenz ermittelt.
Der Report erscheint in diesem Jahr zum vierten Mal. Angeführt wird die „Top 10“-Liste der vergessenen Krisen von Madagskar, gefolgt von Zentralafrika, Sambia, Burundi, Eritrea, Nordkorea, Kenia, Burkina Faso, Äthiopien und der Tschadsee-Region. Laut den Vereinten Nationen werden im Jahr 2020 insgesamt rund 26 Milliarden Euro benötigt, um humanitäre Hilfe für knapp 109 Millionen Menschen, die in Krisenregionen weltweit leben, zu leisten.
(care/vatican news – pr)
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