IFAD und COVID-19: Die Gesundheitskrise, die zur Hungerkrise wird
Annette Seidel sitzt für die Bundesrepublik Deutschland im Exekutivrat des International Fund for Agricultural Development IFAD. Die vergangenen Tage hat sie im Exekutivrat über die Einrichtung, Ziele und Finanzierung des neuen COVID-19-Fonds diskutiert. Wir haben sie gefragt, was den neuen Fonds gegenüber der regulären Arbeit des IFAD unterscheidet.
„Eigentlich gar nichts! IFAD ist ja eine UN-Organisation und hat 177 Mitgliedstaaten. Die sitzen auch alle mit am Tisch und dazu gehören dann auch die Länder, die von von COVID-19 ganz besonders beeinträchtigt werden. Wir arbeiten zu Gunsten von kleinbäuerlichen Strukturen, also von Dörfern und Familienbetrieben, und das vor allen Dingen in Afrika. Da geht es dann tatsächlich um die Ärmsten der Armen, denen man dabei helfen will, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das heißt, sich mit ihren Produkten, die sie auf kleinen Äckern weit entfernt von der Stadt anbauen, tatsächlich ernähren zu können..“
Weltweit leben etwa 80 Prozent der ärmsten Menschen, die von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht sind, in ruralen Gebieten. Bereits vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hungerten 820 Millionen Menschen. Doch angesichts der volkswirtschaftlichen Folgen, die Corona mit sich bringt, könnten in Zukunft zusätzlich Millionen von Menschen, auch in wohlhabenderen Ländern, in die Armut abrutschen. Die Zahl der Menschen, die dabei von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, wird laut einer WFP-Prognose aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 im Jahr 2020 auf 265 Millionen ansteigen, während es im Vorjahr „nur“ 135 Millionen waren. Die Schätzung wurde zusammen mit der Veröffentlichung des Globalen Berichts über Nahrungsmittelkrisen mitgeteilt, der vom WFP und 15 weiteren humanitären und Entwicklungspartnern erstellt worden ist. IFAD hat in diesem Zusammenhang bereits dringende Soforthilfe-Anfragen von rund 70 Ländern erhalten; auf dem Spiel stehen nicht nur die globale Stabilität und Wohlfahrt, sondern auch die Erfolge, die bei der Erreichung des Nachhaltigkeitszieles 2 der Vereinten Nationen, die weltweite Abschaffung von Hunger, in den vergangenen Jahren erzielt worden sind.
IFAD hilft beispielsweise durch eine Sicherstellung der Lieferketten, das heißt, dass die Farmer, die ihre Produkte teils weit von den Märkten entfernt anbauen, diese auch tatsächlich bei den Händlern platzieren können: „Es geht auch darum, dass die Leute auf dem Land bleiben und nicht in die Stadt ziehen, um da ein wirklich armseliges Leben zu führen“, erläutert die IFAD-Expertin Seidel. Ebenso gehören die Bereitstellung von Saatgut, Maschinen und Werkzeugen für kleinbäuerliche Betriebe und Ausbildungsprogrammen zu den durch IFAD finanzierten Initiativen. IFAD habe nun angesichts von COVID-19 eine eigene Anfrage in seinen Programmbüros geschaltet, um die Bedürfnisse zu ermitteln, die die weltweite Krise mit sich bringt. 100 Büros hätten mit Notwendigkeiten und Vorschlägen geantwortet, was zu tun sei, damit die Erfolge der vergangenen Jahre nicht wieder zunichte gemacht würden.
Die Sorge, dass Lieferketten zerrissen werden
„Natürlich ist COVID-19 eigentlich eine Gesundheits-Problematik, also es geht um Viren, und IFAD arbeitet im kleinbäuerlichen Bereich. Was hat das eine also mit dem anderen zu tun? Das ist vielleicht gar nicht so naheliegend. Aber wenn man sich anschaut, dass Bauern zu bestimmten Zeiten ihre Produkte anbauen und transportieren müssen, ist die Sorge, die wir alle miteinander teilen, dass diese Lieferketten, an denen wir uns entlang bewegen, zerrissen werden.“
Im Exekutivrat der vergangenen Tage sei es darum gegangen, wie die Situation der Kleinbauern und Farmer, deren Existenz aufgrund von COVID-19 teils ernsthaft bedroht ist, verbessert werden könne, erläutert Seidel weiter.
„Also erstens, den Bauern fehlen jetzt die Grundlagen für ihr bäuerliches Tun. Bauern sind ja angewiesen auf Zeiten für Aussaat, Düngen und Ernte. Unter Einfluss dieses Lockdowns, den wir ja selbst erleben, gibt es viele Schwierigkeiten, die wir ja auch selbst erleben. Indien und Kenia haben dazu beispielsweise erzählt, dass Straßen unterbrochen sind und das Saatgut, Pestizide und Setzlinge, aber auch Arbeitskräfte und Maschinen beispielsweise nicht mehr zu den Bauern gelangen.“
Ein Vier-Punkte-Plan
Die Antwort, mit der IFAD auf diese Schwierigkeiten reagieren wolle, sei sehr differenziert, gibt Seidel Einblick in die Diskussionen. So wolle man beispielsweise Transporte zertifizieren und Zuschüsse an Haushalte auszahlen, damit die dringend benötigten Güter auch genau zur richtigen Zeit beim Empfänger eintreffen könnten. „Und die richtige Zeit ist jetzt, in der Monsumphase! Von daher haben wir große Zeitnot und IFAD möchte sofort damit starten. Im Mai sollen die ersten Maßnahmen anlaufen.“
Zweites Aktionsfeld: Trotz der momentanen Einschränkungen den Zugang zum Markt sicherzustellen, um zu vermeiden, dass verderbliche Güter zu lange an Passierstellen aufgehalten werden. Hier sei man dabei, mit Hilfe von Farmergenossenschaften dezentralisierte Sammelstellen einzurichten, aus denen heraus die Waren auch verkauft werden können.
„Der dritte große Bereich sind dann Finanzsystemleistungen, da geht es darum, dass Farmer Darlehen erhalten können, um Saatgut zu kaufen, und das dann erst viel später, bei der Ernte, zurückzahlen. Dabei will IFAD mit Banken zusammenarbeiten und ihnen Sicherheiten zur Verfügung stellen.“
Ein vierter Bereich betreffe digitale Dienste, über die IFAD den Farmern wichtige Informationen zu COVID-19, aber auch über Produktionsbedingungen wie Saat und Ernte, genauso wie über die neuen Sammelstellen und ähnliche Initiativen zu Verfügung stellen will.
All dies kostet Geld: der neue Fonds, den IFAD an diesem Montag aufgelegt hat, wird zunächst einmal mit 40 Millionen US-Dollar aus Eigenmitteln bestückt, mindestens weitere 200 Millionen Dollar erhofft sich IFAD von Geberländern, den Vereinten Nationen und anderen Institutionen. Ein schwieriges Unterfangen, leiden doch auch die klassischen Geberländer in COVID-19-Zeiten unter wirtschaftlichen Schwierigkeiten und drohender Rezession... „Von daher schauen wir uns etwas etwas sorgenvoll in die Augen und überlegen, wie das nun weitergehen kann. Gleichzeitig ist uns allen klar, dass diese Pandemie eine globale ist, und dass die Situation in Afrika tatsächlich auch uns betreffen wird. Sei es über Migration, über Infektionsketten, die wir nicht unterbrechen können, und über eine Not, der wir tatsächlich nicht zuschauen wollen.“
Dieser neue IFAD-Fonds sei Teil einer großen internationalen Mobilisation, um der Pandemie und ihren Folgen zu begegnen. Sie jedenfalls habe große Sorgen, dass die Pandemie in fragilen Ländern, die bereits durch andere Epidemien wie Malaria, Tuberkolose und HIV hart getroffen waren, „schreckliche wirtschaftliche Folgen haben könnte“, gesteht Seidel ein.
„Und das betrifft auch Länder, die viel weiter entwickelt sind, wie Mexiko, Argentinien, Brasilien, Indien, China. Es besteht die Sorge, dass die Welt in eine Verschuldungskrise hineinschlittert. Das sind große Entwicklungen und dieser Fonds ist ein Bestandteil davon. Unsere Soge bei IFAD ist es, dass die Bauern, die in Not geraten und und sich selbst nicht mehr zu helfen wissen, in der Not ihr Produktivvermögen verkaufen, also ihren Pflug oder ihren Ochsen oder ihre Schaufeln, die Dinge, mit denen sie tatsächlich ihr Leben bestreiten und finanzieren.
Die Sorge ist, dass sie diese Dinge verkaufen, um ihre Familie zu ernähren und anschließend vor dem Nichts stehen und wir damit dann tatsächlich in eine ganz ernsthafte Hungerkrise selbst in solchen Staaten hineingeraten, die jetzt schon auf wirklich gutem Wege waren. Das sind die wirklich schrecklichen Sorgen, die wir in den vergangenen 18 Stunden miteinander erörtert haben [das Interview wurde am Freitag geführt, Anm. d. R.] und ich fand, wir haben jedenfalls das Bestmögliche getan, also diesen Fonds aufgesetzt und IFAD auf einen guten Weg gebracht. Von daher bin ich optimistisch, dass diese Finanzierung, die jetzt läuft, tatsächlich erfolgreich sein wird.“
(vatican news - cs)
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