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Héctor Fabio Henao Gaviria Héctor Fabio Henao Gaviria 

Kolumbien: „Versöhnung ohne Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ist unmöglich“

Mittlerweile zum dritten Mal begeht Kolumbien an diesem 3. Mai den Tag der nationalen Versöhnung, der nach dem Besuch des Papstes in dem Land, das unter den Folgen eines jahrzehntelangen bewaffneten Konfliktes leidet, eingerichtet wurde. Die Bischöfe des Landes rufen anlässlich des Tages alle Bürger dazu auf, als Friedensstifter zu wirken und auf dem Weg der Vergebung, Wahrheit und Gerechtigkeit weiterzugehen.

„Versöhnung ist möglich!“ Diese Worte des Papstes, die er während seiner Apostolischen Reise nach Kolumbien ausgesprochen hatte, hallen noch stark in der Erinnerung des kolumbianischen Volkes nach. Es war der 8. September 2017, als Papst Franziskus in Villavicencio ein Gebetstreffen für die nationale Versöhnung abhielt – auch zahlreiche Opfer des Bürgerkrieges waren dabei. Dabei sparte der Papst nicht mit ermutigenden Worten, er wandte sich als „Bruder“ an die Menschen und bat sie darum, ihr Herz zu öffnen, um Versöhnung möglich zu machen. Sie sollten weder die Wahrheit noch die Gerechtigkeit fürchten, und sich nicht gegen die Versöhnung sperren, so die eindringliche Bitte des Papstes. In der Zwischenzeit hat der Friedensprozess einige Schritte vorwärts, aber auch wieder rückwärts gemacht. 

Vor allem in jüngster Zeit hätten die Angriffe gegen Bauern und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit wieder zugenommen, beklagen die Bischöfe des Landes. Mit ein Grund für das ungestörte Agieren der Angreifer ist die Isolierung, unter der auch die Kolumbianer wegen der Corona-Pandemie stehen. Bislang gab es 300 Tote bei etwas mehr als 7000 bestätigten Ansteckungen zu beklagen. Doch die Kirche zeigt sich kämpferisch: Wie der Erzbischof von Bogota an diesem Wochenende betonte, seien die Vertreter der Kirche bereit, ihr Leben zu geben, wenn dies nötig sei, „um unsere Leute zu begleiten, die leiden.“

„Eine Botschaft der Versöhnung war nötig“

Der Priester Héctor Fabio Henao leitet die bei der kolumbianischen Caritas angesiedelte Sozialpastoral. Im Gespräch mit Radio Vatikan bestätigt er, dass seit dem Besuch des Papstes zwar vieles getan – eine nationale Versöhnung aber leider immer noch nicht erreicht worden sei. Die Begegnung mit dem Heiligen Vater vor drei Jahren sei ein großer Moment des Vertrauens gewesen, betont er: „Eine Botschaft der Versöhnung war nötig, eine Botschaft, die dem kolumbianischen Volk eine neue Möglichkeit eröffnet hat, sich wiederzufinden und sich in Richtung dieser friedlichen Gesellschaft aufzumachen, die wir schon seit Jahren anstreben.“ Der Papst habe sie auf einzigartige Weise dazu ermutigt, sich die Hände schmutzig zu machen, während man für Gerechtigkeit und wahre Menschenwürde arbeite. Und dies nicht nur im Respekt für all diejenigen, die unter dem Krieg gelitten hatten, sondern auch ohne denjenigen die Tür zu verschließen, die sich „auf der Seite der Gewalt befinden“, so der Priester.

„Der Papst hat uns gezeigt, dass Versöhnung möglich ist, und das ist die Schlüsselbotschaft des Apostolischen Besuches“

 

„Die Begegnung der Opfer mit dem Papst in Villavicencio war ein Moment einer sehr tiefen Reflexion. […] Heute denke ich, dass viele Schritte seit diesem Besuch des Papstes gemacht wurden, sehr viele auch öffentliche Gesten geschahen, was die Versöhnung zwischen Opfern und Angreifern angeht, und das ist ein wichtiges Zeichen.“ Und dennoch, so schränkt Héctor Fabio Henao ein, sei noch vieles zu tun: „Wir sind noch keine wirklich versöhnte Gesellschaft. Es herrscht noch ein tiefer Schmerz, ein Leiden, das nicht aufhört, und es ist noch viel dabei zu tun, denjenigen ihre Würde wiederzugeben, die während des Krieges alles verloren haben. Aber ich denke, dass der Anstoß des Papstes, den ersten Schritt zu tun und sich auf die Straße der Versöhnung zu begeben, wirklich unglaubliche Ergebnisse gezeitigt hat. Der Papst hat uns gezeigt, dass Versöhnung möglich ist, und das ist die Schlüsselbotschaft des Apostolischen Besuches: Versöhnung ist möglich, wenn wir alle den guten Willen, unsere Herzen und unsere Anstrengungen einbringen.“

Gerechtigkeit nicht nur als Strafe, sondern für die Wiederherstellung der Würde aller Beteiligter

Ein Rezept, das der Papst für diese Anstrengungen parat hatte, war es, „Barmherzigkeit und Gerechtigkeit“ zu vereinen – eine „echte Herausforderung“, wie uns Héctor Fabio Henao bestätigt, der selbst seit vielen Jahren in den Prozess der nationalen Versöhnung eingebunden ist. „Nach dem Friedensabkommen (mit der Guerilla-Gruppe FARC, Anm. d. R.) hat man sich sofort die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt. Es wurde eine eigene Gerechtigkeitsinstanz für den Frieden geschaffen und man hat dafür gearbeitet, eine ,transnationale‘ Lösung zu finden, das heißt, eine Gerechtigkeit, die die Vergangenheit in den Blick nimmt, aber auch die Zukunft, um zu verhindern, dass die Gräueltaten der Vergangenheit sich wiederholen können: Es ist also nötig, Bedingungen zu schaffen, die das garantieren. Eine Gerechtigkeit, die nicht nur als Strafe gedacht ist, sondern auch für die Wiedererlangung der Würde, nicht nur des Einzelnen, sondern der Gemeinschaft, der Territorien und der Bevölkerung, die gelitten hat.“

„Wir sind in eine sehr komplexe Phase des kolumbianischen Konfliktes eingetreten“

 

Eine derartige Gerechtigkeit zu verstehen, sei nicht leicht, wolle man doch instinktiv eine strenge Strafe für diejenigen, die Verbrechen begangen hätten, gesteht der Priester ein. Aus diesem Grund werde diese Lösung nach wie vor heftig diskutiert. Der nun begangene dritte Tag der nationalen Versöhnung stelle in diesem Zusammenhang eine Einladung dar, sich vor Christus zu stellen und über den Krieg nachzudenken, der immer weiter zerstöre und das Abbild Christi in den Ärmsten und verlassensten verstümmele: „Wir sind in eine sehr komplexe Phase des kolumbianischen Konfliktes eingetreten, wir wissen, dass seitens des Staates viele Dinge getan werden und wir wollen, dass diese Aktionen für einen wahren Schutz aller Gemeinschaften verstärkt werden.“

 

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03. Mai 2020, 11:18