Israel: Oberstes Gericht annulliert Siedlungs-Gesetz
Der Richterspruch fällt zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung Netanjahu sich anschickt, ab Juli mit der Annexion von Teilen des Westjordanlandes zu beginnen. Zum weiteren Kontext gehören der Trump-Plan für den Nahen Osten und, auf der anderen Seite, das Beharren der Palästinenser auf den Plänen zu einem eigenen Staat.
Der italienische Journalist Giorgio Bernardelli ist ein guter Kenner der nahöstlichen Gemengelage. „Die Entscheidung des Obersten Gerichts betrifft eine sehr spezifische Situation, und man hatte mit ihr gerechnet“, sagt er im Gespräch mit Radio Vatikan. „Das betrifft einige Siedlungen, die sogar für Israel aus rechtlicher Sicht gewissermaßen illegal waren. Es gibt nämlich ein früheres Gesetz aus den siebziger Jahren, das festlegt: Man darf keine Siedlungen auf Land bauen, das nachgewiesenermaßen in palästinensischem Privatbesitz ist.“
Soweit die Rechtslage – allerdings habe man im Lauf der Jahrzehnte in dieser Hinsicht in Israel immer wieder ein Auge zugedrückt. So sei immer wieder Palästinenserland konfisziert worden, offiziell aus Sicherheitsgründen – doch dann seien genau dort neue Siedlungen entstanden. Deren Rechtsstatus sei, so der Experte, immer „widersprüchlich“ gewesen. „Darum war es ziemlich sicher, dass das Oberste Gericht das Gesetz von 2017 verwerfen würde... Keine überraschende Entscheidung also. Übrigens wurde sie von den Richtern nahezu einstimmig gefällt.“
Das Gesetz von 2017 sei eine Art „Amnestie“ gewesen, sagt Bernardelli. Der Staat habe dafür sorgen wollen, dass kein Richter den Abriss der illegal entstandenen Siedlungen verfügen würde. „Jetzt aber stellt sich mit diesem Urteil das Problem von neuem. Theoretisch müsste die Regierung jetzt intervenieren und sie räumen.“
Schnell annektieren, bevor sich der Wind aus Washington dreht?
Theoretisch – aber in Wirklichkeit hat Netanjahu ganz anderes, ja Gegenteiliges vor. Er will im Juli ankündigen, wie er zur Annexion von Teilen des palästinensischen Westjordanlandes schreiten will. Zahlreiche bisher illegale Siedlungen würden damit legal. Die Gelegenheit für den gewieften Machtpolitiker in Tel Aviv ist günstig, denn Trumps Deal ist für Israel so günstig wie noch kein Friedensvorschlag, der jemals aus Washington kam.
„Es ist gar nicht der Trump-Plan, der dieses Datum 1. Juli vorsieht!“, sagt Bernardelli dazu. „Das ist Netanjahu – er hat dieses Datum mit solcher Bedeutung aufgeladen, um noch vor dem Sommer und vor allem vor dem November einen Schritt in der Frage der Siedlungen zu tun. Im Rennen auf das Weiße Haus denkt nämlich der demokratische Kandidat Biden da ganz anders als Trump; er hat gesagt, dass er den Trump-Plan nicht anerkennt.“
Überraschender Widerstand gegen Netanjahus Plan auf der Rechten
Aus Netanjahus Sicht komme aber noch etwas ganz anderes hinzu. „Er stößt ausgerechnet auf der Rechten auf eine sehr starke Opposition. Da gibt es viele, die gegen eine unilaterale Annexion sind, wie der Ministerpräsident sie plant – und zwar, weil sie, wenn man sie mit dem Trump-Plan zusammenliest, eben doch implizit die Entstehung eines palästinensischen Staates erlaubt. Also trotz aller Einschränkungen, trotz des Neins der Palästinenser und der internationalen Gemeinschaft zum Trump-Plan: doch eine Zwei-Staaten-Lösung!“
Bernardelli glaubt, dass Netanjahu Anfang Juli vor einem richtiggehenden Annexionsplan zurückschrecken wird. Viel eher rechnet er mit der Annexion einiger besonders wichtiger Siedlungen. „Aber bei einer solchen Annexion bliebe zum Beispiel das Jordantal außen vor; das wäre der vielleicht heikelste Aspekt bei dieser ganzen Sache gewesen.“
Palästinenser wollen Nahost-Quartett wiederbeleben
Die palästinensische Autonomiebehörde hat einen Gegenvorschlag vorgelegt. „Das politisch wichtige Element daran ist, dass dieser Vorschlag dem Nahost-Quartett vorgelegt wurde, dass also außer den USA von neuem die EU, die UNO und Russland mit einbezogen werden sollen. Die Palästinenser wollen also die Chancen für einen breiteren Nahost-Friedensprozess wieder erhöhen. Und sie wollen, wie sich aus ihrem Vorschlag ergibt, zurück zu den früheren Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung.“
(vatican news – sk)
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