Sizilianischer Kardinal: Globalisierung ist nicht nur Geld, sondern auch Mensch
Jeweils am 20. Juni begeht die Weltgemeinschaft den Weltflüchtlingstag, um des Schicksals der Menschen zu gedenken, die aus den verschiedensten Gründen beschließen, ihre Heimat zu verlassen, um woanders ein Leben in Würde und Frieden zu beginnen. Insbesondere im Süden Italiens kommen nach einer schrecklichen Odyssee in lecken Booten viele verzweifelte Flüchtlinge an. Doch immer wieder geschieht es, dass die Boote mitten auf See einfach untergehen – und unter den Opfern sind mittlerweile so viele Frauen und Kinder wie nie zuvor.
„Das sind Zahlen, die zu denken geben, denn sie sind groß. Und ein Prozent bedeutet nicht nur eine Handvoll Leute. Wir haben vielleicht den Sinn für die Zahlen verloren, aber jede Zahl bedeutet auch ein Leben,“ kommentiert im Gespräch mit Radio Vatikan Kardinal Francesco Montenegro, Erzbischof der sizilianischen Diözese Agrigent, mit Blick auf den Global Trends Report. 80 Millionen Menschen sind demnach weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung, doppelt so viele wie noch im Jahr 2010, und immer noch rund 20 Millionen mehr als im Jahr 2015, das vielen noch als das „Flüchtlingsjahr“ in Erinnerung ist. Insgesamt bedeuten diese Zahlen, dass weltweit ein Mensch von 97 auf der Flucht ist.
„Wir entscheiden über das Schicksal der anderen, wir schauen zu und vergessen, dass das Menschen sind, die leben wollen. Mein Kommentar ist durchzogen von Traurigkeit, weil die Nummern noch weiter steigen werden. Die Teilnahmslosigkeit so vieler Menschen, die oft eine Art von Egoismus ist, und um die eigene Haut zu retten denkt man nicht an die anderen, macht uns einsamer. Viele Menschen fühlen sich immer mehr allein.“
40 Prozent der Flüchtenden, so besagt es der Report, sind Minderjährig. Doch, so gibt der Kardinal zu bedenken, wie viele der ehemals Minderjährigen sind mittlerweile erwachsen geworden und befinden sich immer noch in derselben Situation? „Es braucht wirklich ein Nachdenken, das uns die Augen öffnet und uns keine Ausflüchte lässt. Jetzt erkennen wir, wie klein die Welt eigentlich ist, dazu brauchte es nur die Pandemie, die alle betroffen hat. Wenn die Welt so klein ist, sollten wir wirklich die Art und Weise unserer Berechnungen und Urteile ändern.“
Die Pandemie, auch das geht aus dem Bericht hervor, hat die Situation der Flüchtlinge weltweit nochmals dramatisch verschlimmert. Während in Nordeuropa die Situation unter Kontrolle scheint, kommen im Süden Europas zahlreiche Menschen unter verzweifelten Umständen an. Erst vor wenigen Stunden wurden im Hafen von Lampedusa 49 Flüchtlinge an Land gelassen, während die Sea Watch nachts weitere 165 Migranten auf See aufgelesen hat. Ein weiteres Boot mit Migranten wird derzeit vermisst... „Wenn wir uns an den Strand setzen, werden wir jeden Tag Migranten ankommen sehen, jetzt, wo das Wetter gut ist“, kommentiert der Kardinal der sizilianischen Küstenstadt Agrigent. „Das passiert seit 30 Jahren, und jedes Mal wundern wir uns, aber man tut nichts, damit das nicht passiert.“
Bis jetzt habe die Europäische Union zwar auf einigen Ebenen versucht, etwas zu unternehmen, doch viele Fragen seien noch offen, so der Kardinal angesichts der Maßnahmen, mit der die EU die Migrationsflüsse steuern will. „Ich will kein Pessimist sein. Aber wenn die EU an die Zukunft denkt, ohne Integration und Aufnahme in Betracht zu ziehen, und nur an die eigenen Interessen denkt... was für eine Europäische Union wird das dann sein? Ich sehe keine farbenfrohe Zukunft...“
Auch eine Änderung des Abkommens von Dublin, wie vor allem von Erstaufnahmeländern wie Italien immer wieder gefordert, sei schwierig, gibt der Kardinal zu bedenken: „Aber das war es auch gestern und wird es auch morgen sein. Wenn das Ich siegt, wird es immer schwierig sein, Lösungen zu finden. Vielleicht wäre es korrekter zu sagen, dass wir die Lösung nicht finden wollen, denn es sind ja die anderen, die sterben.“
Sein Wunsch, so schließt der Kardinal, wäre es, tatsächlich im Sinn der Globalisierung zu denken und zu handeln. „Diese Kontinente, diese Länder, diese Armen sind Menschen, mit denen wir zu tun haben müssen. Globalisierung ist nicht nur Geld, sondern auch Mensch. Ich wünsche mir wirklcih, dass die verschiedenen Staaten sich an einen Tisch setzen um ernsthaft nachzudenken, wie man das Problem lösen kann. Bis jetzt haben sie nicht gezeigt, dass sie das tun.“
(vatican news - cs)
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