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Jakobsweg steht wieder offen: „Freude und Dankbarkeit“

Nach vier Monaten Corona-Schließung ist der Jakobsweg wieder gangbar. Die Kathedrale von Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens hat an diesem 1. Juli ihre Pforten wieder geöffnet. Wir sprachen mit Rudolf Hagmann, der als Pfarrer in Tettnang sowie als Pilgerseelsorger in Santiago wirkt.

Radio Vatikan: Santiago de Compostela ist einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas. Was bedeutet das geistlich, wenn die Jakobskathedrale und der Jakobsweg nach vier Monaten Corona-Lockdown wieder offen stehen?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Das ist natürlich zunächst Grund tiefer Freude und Dankbarkeit. Was es im Einzelnen heißt, kann ich momentan nicht sagen. Öffnung heißt sicher nicht Rückkehr zur bisher gewohnten Normalität. Ich kann mir vorstellen, dass nach wie vor gewisse Hygienevorschriften einzuhalten sind in der Kathedrale und den Herbergen. Ich finde wichtig, dass die Pilgerschaft wieder mit Leben gefüllt wird, dass viele Menschen sich auf den Weg machen, vielleicht aus ganz unterschiedlichen Motiven, aber nach Santiago ans Grab des Heiligen Apostels Jakob pilgern, um dort Kraft zu schöpfen für den eigenen Lebens- und Glaubensweg. Neu sich zu orientieren, neu sich ausrichten zu lassen auf das eigentliche Ziel der Wallfahrt, nämlich zu erfahren, dass Jesus Christus unsre Weg ist uns unser Ziel. Ich betone immer, dass nicht der Weg das Ziel ist, sondern dass dieser Weg ein Ziel hat, und dass Jesus Christus unser Weg ist.

Hier zum Hören:

Radio Vatikan: In Santiago liegen der Überlieferung nach die sterblichen Überreste des Apostels Jakob, Ziel der Wallfahrten. Was sagt uns der heilige Jakob heute zur Corona-Pandemie und ihren Folgen, zu der damit verbundenen Krise?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Ich glaube, gerade das würde der Apostel uns allen, die wir von der Corona-Pandemie betroffen sind, immer wieder neu bestätigen und uns daran erinnern: dass wir diese Orientierung in unserem Leben nicht verlieren dürfen. Dass einfach deutlich wird, dass es nicht darum geht, möglichst viel für sich zu haben und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern zu lernen und zu begreifen, dass unser Weg immer ein Weg des Teilens ist, ein Weg der Hingabe, ein Weg des von uns selbst Absehens. Sicher würde der Apostel uns auch bestärken, gerade in diesen bedrohlichen Zeiten unser tiefes Vertrauen und unseren Glauben an Gott nicht zu verlieren, uns daran festzuhalten, dass Gott mit uns auf dem Weg ist.

 

Radio Vatikan: Was raten Sie deutschen Pilgern und Pilgerinnen, die für diesen Sommer geplant hatten, den Jakobsweg zu gehen?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Wenn sich jetzt Pilger und Pilgerinnen auf den Weg machen, sollten sie sich gut informieren über die Situation in den Herbergen, wie sie aufgenommen werden können, welche Hygienevorschriften einzuhalten sind, undsoweiter. Es ist nicht möglich, einfach den Rucksack zu packen und loszuziehen, sondern diese Informationen muss man vorher einholen.

Radio Vatikan: Der Erfolg des Jakobswegs heute, in einem säkularisierten Europa, ist eine Geschichte aus der Kategorie unglaublich, aber wahr. Wie ordnen Sie es als Pilgerseelsorger ein, dass Abertausende pro Jahr, viele davon gar nicht aus religiösen Gründen, sich zu Fuß auf den Weg nach Santiago machen?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Für mich ist der Boom des Pilgerns, was Jahr für Jahr zugenommen hat, diese große Pilgerbewegung, Ausdruck einer starken Sehnsucht. Die Motive sind unterschiedlich, aus denen Menschen sich auf den Weg machen. Aber ich habe nicht wenige getroffen, die mir immer wieder auch freudestrahlend erzählen, ja, ich bin als Wanderer, als Sportler aufgebrochen, aber als Pilger angekommen. Es ist ein Weg, der nicht spurlos an den Menschen vorbeigeht.

„Ich habe nicht wenige getroffen, die mir immer wieder auch freudestrahlend erzählen, ja, ich bin als Wanderer, als Sportler aufgebrochen, aber als Pilger angekommen“

Radio Vatikan: Was genau ist das, was aus Ihrer Erfahrung viele Pilgernde auf dem Jakobsweg erfahren?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Das ist die große Chance dieses Weges: dass viele Menschen aus ihrem täglichen Hamsterrad aussteigen und zu einer neuen Langsamkeit, aber eben auch zu einer neuen Innerlichkeit finden und plötzlich entdecken, dass es da Fragen gibt, für die sie sich bisher zu wenig Zeit genommen haben. Fragen nach dem eigenen Sinn, nach dem eigenen Weg und auch die Frage nach Gott. Viele brechen auf, aufgelöst durch eine Krise, eine Lebenswende, viele machen sich auf den Weg, um gerade an solchen Bruchstellen sich nochmal neu zu vergewissern.

Radio Vatikan: Inwiefern steht die große Anziehungskraft des Jakobswegs vielleicht auch in gewisser Weise für unsere Zeit?

Pfarrer Rudolf Hagmann: Irgendwie ist dieser Jakobusweg in dem, was er in den einzelnen Menschen auslöst, ein Spiegel für unsere moderne, säkularisierte Welt. Menschen erfahren, dass man ganz wenig braucht, um erfüllt zu sein. Zu Hause haben sie vielleicht unendlich gefüllte Keller und Vorratsräume, und plötzlich reicht ein Stück Brot und ein Schluck Wein. Oder das langsame Gehen: zu entdecken, dass vieles im Leben besser geht, wenn man Schritt für Schritt vorangeht. Der Ausstieg aus einer gnadenlosen Hektik und Leistungsorientierung, vielleicht auch die Öffnung der Augen und der Sinne für das, was Gott geschaffen hat.

Die Fragen stellte Gudrun Sailer.

(vatican news - gs)

 

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01. Juli 2020, 10:21