Frankreich/Ö: Gesetz zu künstlicher Befruchtung ist „Rückschritt für Kindeswohl"
Im Kern geht es bei dem am Freitag in Paris in zweiter und damit abschließender Lesung verabschiedeten Gesetz darum, dass nun in Frankreich alle Frauen bis zum Alter von 43 Jahren eine künstliche Befruchtung als Kassenleistung geltend machen können. Das Verfahren steht auch Single-Frauen und lesbischen Paaren offen. Darüber hinaus erlaubt Frankreich das sogenannte „social egg freezing“, bei dem Frauen auf Vorrat ihre Eizellen auf Kassenkosten einfrieren lassen können, um sie später für eine künstliche Befruchtung zu nutzen.
Auch ist es in Zukunft möglich, ein Kind mittels fremden Ei- und Samenzellen herzustellen. Das bedeutet, wie Susanne Kummer im Gespräch mit uns erläutert, „dass in diesem Fall das Kind bis zu vier verschiedene Elternteile hat: zwei genetische, von denen das Kind nichts weiß, und zwei soziale, die das Kind aufziehen. Das Verfahren ähnelt sehr der Leihmutterschaft, die allerdings vorerst verboten bleibt.“
In Frankreich setze sich damit eine Entwicklung fort, die zwei Dinge außer Acht lasse, analysiert die Bioethikerin: „Das eine ist das Kindeswohl. Das Kindswohl muss vor dem Kinderwunsch Vorrang haben. Auch wenn Paare in eine existenzielle Krise geraten können, weil sie einen unerfüllten Kinderwunsch haben, darf das nicht in ein Anspruchsrecht kippen. Das haben die Bischöfe Frankreichs mehrfach betont. Es gibt kein individuelles Recht auf ein Kind. Nicht Eltern haben ein Recht auf ein Kind, sondern Kinder ein Recht auf Eltern.“
Komplett ausgeblendet bleiben bei dem neuen Gesetz die nicht wenigen Schattenseiten der Reproduktionsmedizin und die gesundheitlichen Risiken für Frauen und Kinder, so Kummer weiter. „Wir wissen heute aus Studien, dass Frauen bei einer Schwangerschaft mit Eizellspende ein bis zu fünffach höheres Risiko für schwere gesundheitliche Komplikationen haben als Frauen nach spontaner Schwangerschaft. Und wir sehen auch, dass durch dieses Gesetz unrealistische Hoffnungen geschürt werden. 95 Prozent der Frauen mit 43 Jahren, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, und zwar mehrfach, gehen ohne Kind nach Hause. Das sind hohe seelische Belastungen, aber auch hohe finanzielle Ausgaben aus Sicht der Public-health-Perspektive, die wir da auch einnehmen müssen.“
Politisches Versprechen
Die Regierung von Präsident Emmanuel Macron, der mit der IVF-Öffnung ein Wahlversprechen umgesetzt hat, rechtfertigt die neuen Maßnahmen mit einer zunehmenden Pluralität der Familienmodelle. Die Nationalversammlung hatte über 2.700 Abänderungsanträge zu entscheiden, die seit Herbst 2019 zum Entwurf eines neuen Bioethik-Gesetzes eingegangen waren.
Scharfe Kirchenkritik
Vehement gegen das Vorhaben hatte sich zuvor auch Frankreichs katholische Kirche gestellt. Der Bioethik-Beauftragte der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Pierre d'Ornellas, erklärte in einer ersten Reaktion am Wochenende, mit dem Gesetz wollten die Abgeordneten „den Vater vollständig aus dem Akt der Empfängnis streichen". Parlamentarier dürften sich jedoch „nicht in die Intimität der Familie einmischen und Gesetze über die Liebe erlassen". Ihre Aufgabe sei, Gesetze „auf Grundlage der Achtung der Menschenwürde und den daraus resultierenden ethischen Werten zu beschließen, darunter den Schutz der Schwächsten".
Der Erzbischof führte aus, die Abgeordneten suchten erklärtermaßen ein „Gleichgewicht". Es sei aber fraglich, ob man von einem Gleichgewicht sprechen könne, wenn das Gesetz Kindern „effektiv verbietet, einen Vater zu haben, und in der Praxis zu unfairer Diskriminierung zwischen ihnen führt", befand er.
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