Syrien: Lage in Aleppo ist „schlimmer als während der Belagerung“
Der Franziskanerpater Ibrahim Alsabagh ist Pfarrer der römisch-katholischen (im Nahen Osten sagt man: lateinischen) Gemeinde von Aleppo. Die einstige Wirtschaftsmetropole ist heute vor allem in ihrem Ostteil eine Ruinenlandschaft, die an bombardierte deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Längst wütet hier auch das Coronavirus: Mehr als 3.000 Menschen haben sich in der Stadt bislang infiziert, 160 sind gestorben. Auch die kleine, aus fünf Franziskanern bestehende Gemeinschaft von Aleppo hat schwer gelitten, wie Alsabagh uns in einem Interview sagt.
Zwei der fünf Franziskaner Aleppos an Corona gestorben
„Die Viruskrise hat uns sehr getroffen. Fast alle Brüder sind angesteckt worden; zwei Brüder sind an Corona gestorben, die anderen (angesteckten Brüder) sind schwer erkrankt. Ich bin als einziger verschont geblieben und konnte mich deshalb um die anderen kümmern.“
Nebenher muss der rührige Pfarrer, der auch während der Belagerung von Aleppo und der Bombardements 2012-2016 in der Stadt ausgeharrt hatte, das normale Pfarreileben aufrechterhalten und sich um die karitative Arbeit kümmern.
„Dabei sind die Gesundheitsstrukturen sehr, sehr beschädigt wegen des Krieges. Dazu kommen ausgesprochen hohe Preise, unauffindbare Medikamente, unerschwingliche Kosten für Benzin… und die meisten Menschen haben natürlich auch keine Arbeit, wie Sie sich sicher vorstellen können. Das ganze Leben ist vollkommen gelähmt!“
Es ist ja nicht nur der Virus, der den Menschen in der Stadt zwischen Euphrat und Mittelmeer zu schaffen macht, so Pfarrer Alsabagh: „Es sind viele Krisen, und sie kommen alle gleichzeitig, nach neun Jahren des Krieges. Das führt wirklich zu unmenschlichen Lebensbedingungen für die Leute.“
Familien und junge Leute, die es sich leisten konnten, haben die Stadt verlassen und leben jetzt in Europa oder Nordamerika. Zurückgeblieben sind vor allem die Älteren und Schwächeren. Wie man ihnen helfen kann? Vor allem, indem man dafür sorgt, dass sie sich nicht selbst aufgeben.
Alsabagh: „Das ist wirklich eine Herausforderung. Wir versuchen alles zu tun, was in unserer Macht steht: Wir zwingen die Leute geradezu, mal ins Krankenhaus zu einem Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen, und wir versuchen, ihnen die Medikamente zu bezahlen, auch die, die sehr teuer sind. Aber sie brauchen Vitamine, sie brauchen Antibiotika. Wir bemühen uns darum, dass die Leute alles bekommen, was sie brauchen, auch wenn das für uns nicht einfach ist. Ich hätte mir nie vorstellen können, eine so schwere Lage zu erleben, zu der auch noch die Viruskrise hinzukommt.“
Sanktionen verschlimmern das Leiden der einfachen Leute
Und die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft, die eigentlich das Assad-Regime in die Knie zwingen sollen, machen das Leben für die Menschen in Aleppo noch unerträglicher, urteilt der Pfarrer.
„Natürlich – denn die Sanktionen treffen nicht das politische System, sondern sie treffen die einfachen Leute. Die Sanktionen hindern sogar Krankenhäuser – und auch die privaten Kliniken – daran, an die Ausrüstung zu kommen, die sie brauchen, um die Kranken zu pflegen. Unsere Leiden haben viel mit den Sanktionen zu tun; sie verschärfen unsere Leiden sehr.“
Zu allem Überfluss 46 Grad Hitze
Hört man Pfarrer Alsabagh vom mühsamen Alltag in seiner Stadt erzählen, hat man den Eindruck, dass die Lage jetzt schlimmer ist als während der Belagerung der Stadt durch Rebellengruppen. Und tatsächlich sagt er:
„Ja, wirklich, das ist schlimmer. Denn im Krieg rechnet man damit, dass man von immer neuen Opfern hört oder dass dauernd der Strom ausfällt; man weiß, dass so etwas passiert. Wir haben sehr viele Krisen erlebt und Herausforderungen, aber jetzt kommt noch die Krise um das Virus dazu – in einem zerrissenen und sehr armen Land, in dem die Menschen keine Arbeit mehr haben. Übrigens, auch eine unerträgliche Hitze herrscht, wir sind bei 45 oder 46 Grad! Und viele Menschen, viele Familien sagen mir: Was wir jetzt durchmachen, ist schlimmer als das, was wir in neun Jahren Krieg an Leiden erlebt haben.“
Der lateinische Pfarrer von Aleppo versucht, das Leiden geistlich aufzufangen. „Ein paar Tage nach dem Fest Kreuzerhöhung haben wir eine Messe zur Erinnerung daran gefeiert, wie Franz von Assisi die Wundmale Jesu empfing. Wir sehen in ihm ein Beispiel dafür, wie wir unsere Kreuze auf unsere Schultern nehmen können. Wir versuchen als Kirche und als Volk, unser Kreuz mit innerem Frieden, mit Freude zu tragen. Das ist nicht leicht. Doch mit der Gnade unseres Herrn opfern wir unsere Leiden auf – nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Länder Europas, auf dass sie in Frieden leben. Wir versuchen, gemeinsam unser Kreuz zu tragen.“
Täglicher Kampf ums Überleben
Und sein Appell an die Menschen im Westen lautet so: „Ich bitte alle, für uns zu beten. Und uns zu helfen, dass wir unsere Arbeit weiter leisten können. Es geht gar nicht darum, das soziale Leben zu verbessern, es geht einfach darum, an Brot, Wasser, Medikamente zu kommen.“
(vatican news – sk)
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