Brand im Flüchtlingslager Moria: Europa in der Pflicht
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki rief zur Aufnahme von Flüchtlingen auf. Schon vor dem Feuer hätten die Familien und Kinder in dem Camp auf der Insel Lesbos unter menschenunwürdigen Bedingungen gelebt, sagte er in einem Video auf seinem Facebook-Kanal (Mittwoch). „Wir müssen eine Alternative anbieten für diese Menschen und sie aufnehmen in unseren europäischen Ländern", so der Kölner Erzbischof. „Europa ist jetzt hier gefragt und daran wird sich seine Menschlichkeit messen lassen müssen."
Aus Sicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat Europa es versäumt, sich auf einen gemeinsamen Weg in der Flüchtlingspolitik zu verständigen. „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft muss umgehend eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder finden. Wenn das nicht möglich ist, muss Deutschland mit den Ländern, die dazu bereit sind, vorangehen", forderte er in der „Passauer Neuen Presse". Wenn Europa sich auf gemeinsame christliche Grundwerte berufe, dann stehe das Abschotten gegen Menschen in Not in klarem Widerspruch dazu, so der EKD-Ratsvorsitzende.
Die Hilfswerke Diakonie Katastrophenhilfe und Brot für die Welt sagten, Deutschland trage als Inhaber der EU-Ratspräsidentschaft eine besondere Verantwortung. „Die Bundesregierung muss nun endlich und sofort dafür sorgen, dass alle überfüllten Lager in Griechenland planvoll geschlossen und die Flüchtlinge in Europa menschenwürdig untergebracht werden“, hieß es in einer Pressemitteilung der Hilfswerke.
Auch Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, appelliert an die EU-Mitgliedstaaten wie an das eigene Land, Lehren aus der Katastrophe zu ziehen und rasch zu helfen. Moria sei zum „Sinnbild eines beschämenden Umgangs Europas mit schutzsuchenden Menschen“ geworden, kritisierte Schwertner. Gemeinsam mit „Ärzte ohne Grenzen“ und dem Roten Kreuz forderte die Caritas Österreich die Bundesregierung am Mittwoch auf, Kinder, Kranke und besonders Schutzbedürftige nach Österreich zu holen.
„Was wir jetzt brauchen, ist ein Korridor der Menschlichkeit“, so der Tenor der Hilfsorganisationen. Nötig sei eine gemeinsame europäische Lösung und Solidarität mit den Menschen, „die seit Jahren in menschenunwürdigen Zuständen leben müssen“, mahnte Andreas Knapp, Generalsekretär für internationale Programme der Caritas Österreich.
Der Jesuitenflüchtlingsdienst sieht ebenso besonders Europa in der Pflicht. Es müsse die Migranten und Flüchtlinge sofort von der griechischen Insel evakuieren und auf die Mitgliedsstaaten verteilen. Dies sei zum Respekt der Menschenwürde und der Rechte von Migranten unabdingbar und auch für die Eindämmung des neuen Coronavirus geboten, teilte das „Centro Astalli“ am Mittwoch mit.
Auch die katholische Basisgemeinschaft Sant’Egidio richtete einen Appell an alle Länder der Europäischen Union, unverzüglich die Flüchtlinge aus dem abgebrannten Lager Moria aufzunehmen: „Wenn Europa noch auf der Höhe seiner Traditionen von Zivilisation und Menschlichkeit sein will, muss es sich in einem Akt von kollektiver Verantwortung um dieses Problem kümmern“, forderte Sant‘Egidio in einer Pressemitteilung (Mitwoch). Die Gemeinschaft erinnerte daran, dass viele der Bewohner des Flüchtlingslagers „sehr gefährliche Reisen auf der Flucht vor Krieg oder unerträglichen Zuständen“ zurückgelegt haben. Die große Mehrheit stamme aus Afghanistan. Es seien überwiegend Familien betroffen. Von den insgesamt rund 13.000 Personen seien 40 Prozent Minderjährige.
Österreich soll sich an der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem niedergebrannten griechischen Lager Moria beteiligen und die katholische Kirche will diese Maßnahme im eigenen Bereich aktiv unterstützen. Das hat die Österreichische Bischofskonferenz in einer gemeinsamen Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen auf Lesbos am Mittwoch erklärt. Darin danken die Bischöfe der Bundesregierung für die angekündigte großzügige Soforthilfe vor Ort, halten dies aber für nicht ausreichend. Die Bischofskonferenz empfiehlt daher der Bundesregierung nachdrücklich „die Aufnahme eines fairen Kontingents von Flüchtlingen“.
Neben der zugesagten Soforthilfe solle sich Österreich sowie andere europäische Länder auch an der Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria beteiligen. „Was hindert uns, dem Beispiel anderer Länder zu folgen? Europa hat die Kraft zur Solidarität - sie ist jetzt gefragt“, betonen die katholischen Bischöfe. Sie verweisen darauf, dass es zahlreiche Einzelpersonen und Institutionen in Österreich gibt, die zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit seien. „Selbstverständlich sind auch wir als katholische Kirche in Österreich wieder dazu bereit, ein angemessenes Kontingent von verzweifelten Menschen in unseren kirchlichen Einrichtungen und Räumen zu beherbergen“, hält die Bischofskonferenz fest. „Wir folgen damit auch dem Beispiel von Papst Franziskus und erinnern dankbar an die humanitären Aufnahmeprogramme aus den syrischen Elendslagern vor wenigen Jahren.“
Notunterkunft für Bruch-Teil der Migranten
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) berichtete am Mittwoch, das mehr als 4.000 Kindern und mehr als 400 unbegleitete Minderjährige nach dem Brand von Moria dringend Hilfe bräuchten. Rund 150 unbegleitete minderjährige habe das Hilfswerk in die nahegelegene Notunterkunft Tapuat bringen können. Es müsse „dringend einen EU-Migrationspakt“ geben, der auch die Rechte von Kindern berücksichtige.
EU-Kommissarin verspricht Hilfe für Flüchtlingskinder
Die Europäische Union hat nach den Bränden finanzielle Hilfe für minderjährige Flüchtlinge versprochen. Sie habe zugestimmt, die Kosten für den Transfer von rund 400 unbegleiteten Kindern und Jugendlichen auf das europäische Festland aus EU-Mitteln zu zahlen, erklärte die Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter. Sie stehe darüber bereits in Austausch mit den Verantwortlichen in Griechenland.
Hintergrund
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch brannten große Teile des griechischen Camps nieder, in dem zuletzt mehr als 12.000 Menschen lebten – mehr als das Vierfache der zugelassenen Kapazität, die bei ursprünglich 2.800 Plätzen lag. Wegen eines Corona-Falls war das Camp seit vergangener Woche unter Quarantäne. Tausende Menschen sollen sich laut Berichten vor den Flammen in Sicherheit gebracht haben; Berichte über Verletzte oder Tote gibt es noch nicht.
(kna/kap/pm/diverse - sst)
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