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Migranten auf Lesbos: „Sofort evakuieren und EU-Lösung finden"

Der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner erneuert den Ruf nach einer sofortigen Evakuierung der Migrantencamps auf Lesbos und den anderen Inseln in der Ägäis. Griechenland werde dazu die Hilfe der EU brauchen, so Schwertner, der dieser Tage das neue provisorische Lager Kara Tepe auf Lesbos besucht. Im Gespräch mit uns betont der Caritasmann zwei Dinge: Die Sache eilt, und leider fehlt es nicht nur an humanitärer Hilfe, sondern auch an politischem Willen, den Menschen zu helfen.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Schwertner hat zuletzt heftige Unwetter auf Lesbos miterlebt. Sturm und Regen waren so stark, „dass etliche Zelte einfach umgeblasen wurden und wie Kartenhäuser zusammengefallen sind und dutzende Zelte – Ärzte ohne Grenzen spricht von 80 Zelten - vollkommen überflutet worden sind“, so der Caritasdirektor. „Und wir stehen erst vor Beginn des Winters. Wie es in wenigen Wochen aussehen wird, ist unklar, aber in Wirklichkeit ist es schon wieder eine Katastrophe mit Anlauf.“

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Das Lager Kara Tepe ersetzt das abgebrannte Camp Moria, doch ein menschenwürdiges Leben ermöglicht auch das neue Zeltlager nicht, so Schwertner. „Auch wenn viele humanitäre Organisationen wie die Caritas, das Rote Kreuz und andere versuchen, wichtige Nothilfe zu leisten: Eine wirkliche Lösung wird es nur geben, wenn es zur Sofortevakuierung der geflüchteten Menschen von den griechischen Ägäis-Inseln kommt.“ Das betreffe nicht nur Lesbos, sondern auch Samos und Chios. Es sei „ein Gebot der Stunde, diese Menschen aufs griechische Festland zu evakuieren. Dabei wird Griechenland auch die Unterstützung der Europäischen Union brauchen. Manchmal hat man auch das Gefühl, wenn man im Camp steht wie wir das gestern und vorgestern sind, dass es hier nicht nur an humanitärer Hilfe mangelt, sondern auch am politischen Willen.“

Politik der Abschreckung

Immer noch halte Europa teils an einer „Politik der Abschreckung“ fest, „obwohl vollkommen klar ist, dass der EU-Türkei-Deal geplatzt ist, dass die Menschen weder zurück noch vor können. Hier braucht es endlich humane Lösungen, und die braucht es rasch, vor dem Winter.“ Dabei habe sich klar gezeigt, dass die Politik der Abschreckung nicht wirkt, referiert der österreichische Caritas-Mann. „Es kommen nach wie vor Menschen, die flüchten müssen. Solange Krieg und Verfolgung herrscht, solange es große Not gibt, werden sich Menschen auf den Weg machen und versuchen, nach Europa zu kommen. Es wird darum gehen, gleichzeitig Menschen zu schützen und Grenzen zu sichern. Beides muss gleichzeitig möglich sein. Es wird darum gehen, viel mehr Hilfe vor Ort zu leisten, auch in Drittländern. Dass es auch wieder eine Übereinkunft mit der Türkei gibt, aber auch mit den anderen Nachbarländern Syriens, dass Menschen sich gar nicht auf den Weg machen müssen, weil sie Perspektiven in den Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer haben und möglichst rasch auch wieder zurückkehren können.“

Klaus Schwertner und seine Kollegin Daniela Pamminger im Lager Kara Tepe auf Lesbos
Klaus Schwertner und seine Kollegin Daniela Pamminger im Lager Kara Tepe auf Lesbos

Europa brauche an diesem Punkt „rasche, qualitätsvolle Asylverfahren, sodass die Betroffenen wissen, ob sie hier bleiben können oder nicht, es braucht die entsprechenden Unterstützungen in den Herkunftsregionen, Abkommen auch mit Drittländern, und es wird eine gemeinsame europäische Solidarität geben.“ 2015/2016 hätten Österreich, Deutschland und Schweden den größten Teil der Verantwortung für Migranten und Flüchtlinge übernommen, heute seien es Griechenland, Italien und Spanien. Schwertner forderte europäische Solidarität bei der Aufnahme der Menschen. „Es wird nicht gehen, dass dieses Thema, diese Aufgabe nur von den Ländern an der EU-Außengrenze bewältigt werden kann, und wir brauchen hier eine gemeinsame europäische Solidarität.“

„Wir brauchen hier eine gemeinsame europäische Solidarität“

In Österreich habe die Bischofskonferenz an die Bundesregierung appelliert, sich der Menschen in den Lagern am Rand Europas anzunehmen. Auch viele Pfarrgemeinden, aber auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hätten sich zu Wort gemeldet und darauf hingewiesen, dass Österreich einen Beitrag leisten müsse, würdigte Schwertner das zivilgesellschaftliche Engagement.

Schwere Vorwürfe erhebt der Wiener Caritasdirektor aber gegen politische Verantwortungsträger in Europa. „Wenn man sieht, unter welchen Bedingungen hier Menschen, Familien mit kleinen Kindern, auf europäischem Boden leben müssen, wie das seit Monaten in Wirklichkeit seit Jahren hingenommen wird, dann muss man sich fragen, wird hier nicht gerade die Genfer Flüchtlingskonvention und auch die europäische Grundrechtecharta mit Füßen getreten, und wie können wir dazu zurückkommen, dass wir entsprechend unserer Werte, die wir so oft betonen, handeln.“

(vatican news)

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16. Oktober 2020, 08:10