Malteser: „Große Herausforderungen durch Corona“
Stefan von Kempis - Vatikanstadt
„Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt ja im Bereich der Medizin und sozialer Hilfen – und überall dort spielt die Corona-Pandemie eine Riesenrolle. In den Krankenhäusern mussten (wie überall) Therapien oder Therapieplätze umdisponiert und neue Hygiene-Maßnahmen eingeführt werden. Allerdings ist das seit dem Frühjahr ganz gut eingespielt; wir hoffen, dass die Zahl der Intensivpatienten nicht so stark steigt, dass es da zu großen Komplikationen kommt.“
Der Souveräne Malteserorden, gegründet 1113, ist eine der ältesten Institutionen der westlichen und christlichen Zivilisation. Der religiöse Laienorden ist Völkerrechtssubjekt und unterhält diplomatische Beziehungen zu über hundert Staaten; mit medizinischen, sozialen und humanitären Projekten ist er in den meisten Ländern der Welt präsent. Der rheinische Adelige von Boeselager ist seit 2014 Großkanzler; zuvor war er Großhospitalier.
Natürlich mussten angesichts der Corona-Krise „alle Dienste, die im direkten Kontakt mit Menschen sind, umgestellt werden“, etwa Speisungen von Obdachlosen, Betreuung von Migranten oder Besuchsdienste für alte oder behinderte Menschen zuhause.
„Das stellt uns überall vor große Herausforderungen. Aber es ist erfreulich zu sehen, mit wieviel Phantasie, Einsatz und Energie daran gearbeitet wird! Es wurden neue Telefondienste eingeführt; es wurden Ausgabestellen von Lebensmitteln für Obdachlose geschaffen, bei denen Übertragungen des Virus ausgeschlossen werden können, und dergleichen mehr.“ Zwar laufen die humanitären Projekte, die der Malteserorden in weiten Teilen der Welt unterhält, auf die eine oder andere Weise weiter. „Aber nichts kann persönliche, direkte Kontakte ersetzen!“
Sorge über Lage in Afrika
Große Sorge macht von Boeselager die Situation in Afrika. „Auch wenn dort die Pandemie als solche nicht so virulent ist, haben die Vorbeuge-Maßnahmen schwerwiegende Folgen: Zum Beispiel sind Schulen geschlossen, und Schulspeisungen von Kindern sind nicht mehr möglich. Häufig war aber das Essen, das die Kinder in den Schulen bekommen haben, ihre einzige substanzielle Mahlzeit am Tag.“
Das Engagement des Ordens im Nahen Osten geht trotz der politischen Instabilität in der Region weiter. „Gerade im Libanon haben wir nach der Explosion im Hafen (von Beirut) unsere Arbeit nochmals verstärkt: Es werden zusätzliche medizinische Hilfen angeboten, und zusätzliche mobile Kliniken sind im Einsatz. Gerade startet ein neues Projekt, das kleinen landwirtschaftlichen Betrieben hilft, auf die Beine zu kommen. Im Gegenzug müssen sie zehn Prozent der Erträge abgeben, die armen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein ganz neues Projekt, von dem wir uns sehr viel versprechen.“
Flüchtlingsrückkehr in den Irak: Die politische Unsicherheit hilft nicht...
Die Arbeit im Libanon sei „sehr intensiviert“ worden, und die Hilfe im Irak gehe weiter. Sie besteht im wesentlichen in der Wiederansiedlung von christlichen und jesidischen Familien in der Ninive-Ebene, die im Sommer 2014 vor der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ geflohen waren. Der Erfolg dieser Bemühungen? „Unterschiedlich“, so von Boeselager.
„In einigen Dörfern gelingt es gut, in anderen weniger gut. Das hängt sehr davon ab, ob einige Familien, die auch ein gewisses Ansehen haben, die Initiative ergreifen und zurückgehen. Die politischen Unsicherheiten seit einem halben Jahr helfen nicht… Als zum Beispiel die Amerikaner ihren (Truppen-) Rückzug angekündigt haben, fingen viele an zu zögern. Es liegt weniger an den Hilfen als an der politischen Unsicherheit; man kann ja auch verstehen, dass Menschen nicht zurückkehren wollen, wenn sie nicht einigermaßen Vertrauen haben, dass sie in Zukunft dort in Sicherheit leben können.“
Was Syrien betrifft, leistet der Malteserorden dort „unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen“ weiterhin Hilfe. Hauptbedingung für eine Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien wären nach von Boeselagers Einschätzung „eine Änderung des politischen Systems oder der politischen Führung“: „Die meisten Flüchtlinge, die nicht zurückkehren, haben schlicht und einfach Angst, dass sie gefangen oder gefoltert werden, dass sie also nicht unbeschadet nach Syrien zurückkehren können. Das ist der Hauptgrund.“
Mit Blick auf Europa äußert der Malteser-Großkanzler die Sorge, dass die Corona-Pandemie zu einer „größeren Disparität“ zwischen wohlhabenden und armen Teilen der Bevölkerung führt. „Wer ein Haus mit Garten hat, ist von einem Lockdown weniger betroffen, als wer mit vier Kindern in einer Drei- oder Vier-Zimmer-Wohnung lebt! Und Eltern mit einer sehr guten Schulausbildung können ihren Kindern zuhause besser helfen, mit einem Schulausfall fertig zu werden, als solche, die das nicht haben. Das ist eine große Sorge.“
Reform des Malteserordens wird zügig vorankommen
Am 8. November hat der sogenannte „Große Staatsrat“ des Malteserordens in Rom einen Statthalter des Großmeisters gewählt. Der Norditaliener Fra‘ Marco Luzzago wird für ein Jahr amtieren. von Boeselager: „Durch die Wahl eines Statthalters des Großmeisters können wir zu einer ordentlichen Verwaltung zurückkehren. Unter einem Interim-Statthalter sind außerordentliche Maßnahmen auch finanzieller Art nicht möglich; zum Beispiel konnten wir bisher kein Budget für das nächste Jahr verabschieden. Das ist jetzt wieder möglich. Also, die Wahl war wichtig, um wieder in den Routine-Ablauf bei der Verwaltung und Regierungsführung zurückkommen zu können.“
Dank der Ernennung von Kardinal Silvano Tomasi zum künftigen Delegaten des Papstes für den Orden „wird es uns gelingen, die Reform zügig voranzubringen“, zeigt sich Boeselager überzeugt. Tomasi kenne den Orden sowie „viele der Akteure“, und er sei mit den Themen, die bei der Neufassung der Statuten zur Diskussion stünden, vertraut. „Daher bin ich zuversichtlich, dass es jetzt zügig vorangeht.“
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.