Auf der Suche nach dem heiligen Josef
Nur in etwa vierzig Versen des Neuen Testaments taucht er auf; vielleicht gilt er deswegen bis heute als ein Modell an Selbstrücknahme und Diskretion. Dass der Zimmermann (oder Architekt?) aus Nazareth vor genau 150 Jahren zum Patron der Weltkirche proklamiert wurde, war Papst Franziskus an diesem 8. Dezember 2020 ein Apostolisches Schreiben wert. In diesem Text namens „Patris corde“ widmet der Papst das kommende Jahr dem heiligen Josef.
Wer war der schweigsame Mann, den man, wie Johannes Paul II. einmal schrieb, durchaus den „Vater Jesu“ nennen darf? Wir haben uns zusammen mit dem Dominikaner Philippe Lefebvre, Professor für Altes Testament in Fribourg in der Schweiz, auf die Suche nach ihm gemacht.
Josef als neuer Mose
„Ich würde sagen: Biblisch gesprochen, gibt es da etwas sehr Tiefgehendes. Vor allem wenn man den Anfang des Matthäusevangeliums liest, erscheint Josef da gewissermaßen als ein neuer Mose. Der Engel des Herrn spricht zu Joseph, er schickt ihn nach Ägypten, er führt ihn aus Ägypten wieder heraus… und das tut der Engel mit Worten, die im Buch Exodus schon an Mose gerichtet worden sind. Mose, das ist der Mann, der ein Volk aus Ägypten führt und sich in allen Fährnissen um dieses Volk kümmert. Und Josef, das ist der Mann, der zwischen Ägypten und Israel pendelt, sich um Maria und Jesus kümmert und dabei allem gehorsam ist, was Gott durch seinen Engel von ihm fordert.“
Das ist ein interessanter Befund: Der heilige Josef als ein neuer Mose. Aber Pater Lefebvre entdeckt am „Vater Jesu“ noch mehr alttestamentliche Aura.
Ein mehrdeutiges Zitat
„Im zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums wird, als Joseph mit seiner Familie aus Ägypten nach Israel zurückkehrt, ein Vers des Propheten Hosea zitiert: ‚Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.‘ Bei Hosea ist der Sohn Israel. Wenn man Matthäus liest, denkt man: Na klar, der Sohn ist Jesus. Aber wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, kann man sich fragen: Oder ist das nicht Josef, diese Sohnesgestalt, die im Namen des himmlischen Vaters von Israel nach Ägypten und von dort zurück nach Ägypten geht? Ist er nicht selbst Sohn Gottes, der auf Gottes Anruf hin handelt? Man kann den Vers also nicht nur auf Jesus beziehen, sondern auch auf Josef, ja auf das ganze Volk, auf das antike Israel und auf die neue Kirche. Josef ist also da schon de facto Patron dieser ganzen Kirche, die allmählich nach dem Wirken Jesu und seiner Auferstehung entstehen wird…“
Josef, der neue Mose. Der Sohn Gottes. Der Patron der wandernden Kirche, schon bevor es die Kirche überhaupt gab… Wie verhält es sich nun aber mit Maria? Pius IX. proklamierte Joseph 1870 am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens zum Patron der Kirche – war das eine reine Koinzidenz, oder was steckt dahinter?
Josef, der neue Adam
„Auch da lohnt sich ein Blick ins Matthäusevangelium. Joseph will Maria zunächst verstoßen, weil sie schwanger ist, aber der Engel des Herrn bringt ihn davon ab – und das geschieht, während Joseph schläft! Das heißt: Zu Beginn des Matthäusevangeliums schimmert die erste Szene der Bibel überhaupt durch, Adam, der im Schlaf liegt, während Gott die Frau erschafft, seine Gefährtin. In der Beziehung zwischen Joseph und Maria geschieht also etwas, das an Adam und Eva erinnert und sie wiederholt, die erste Begegnung von Mann und Frau überhaupt. Gott sagt Adam und Eva, dass sie ‚ein Fleisch‘ sein werden, und das beziehe ich auf Joseph und Maria. Oft deutet man dieses ‚ein Fleisch sein‘ nur sexuell, und das spielt wohl mit hinein, aber es geht tiefer: Einssein im Heiligen Geist, im Geist Gottes. Joseph und Maria sind eins im Geist Gottes, um dieses gemeinsamen Projekts willen, das darin besteht, den Sohn Gottes zu empfangen. Joseph ist nicht nur Hüter. Der Heilige Geist wirkt nicht nur, als Jesus im Schoß Mariens entsteht. Das erste Werk des Geistes ist die Begegnung und das Einswerden von Joseph und Maria.“
Was kann uns nun aber der heilige Josef in Corona-Zeiten lehren? In Zeiten also, in denen wir auf einmal mit Dunkelheit, Verlust, Verzicht, mit Unsicherheit konfrontiert sind?
Josef und das Coronavirus
„Josef ist sich ganz genau dessen bewusst, was da vorgeht. Er erlebt etwas, was eigentlich viele erleben: zu wissen, dass das Leben von Gott kommt. Ein Leben zu führen, dass die anderen vielleicht nicht verstehen können – siehe die Aufnahme Mariens, obwohl sie schwanger ist. Joseph lebt in einer schwierigen Welt und in einer komplizierten Situation, schon politisch: Rom, Israel, die Hoffnung auf ein Königtum Davids usw. Das Leben kommt von Gott, das Heil kommt von Gott – in seinem Fall ist das Heil eine Person, die ihm anvertraut wird. Ich glaube, das hat einiges mit dem zu tun, was wir heute durchmachen. Eine komplizierte Welt, die wir nicht durchschauen; aber wir wissen, dass uns das Leben von Gott geschenkt wurde und dass es uns auf einen Weg führt, der uns verändern wird. Joseph ist aufmerksam. Er ist wie ein Detektor Gottes im Leben, umringt von einer eher unaufmerksamen, ziellosen Welt. Das ist übrigens genau das, was auch Jesus leben wird…“
Nein, die Bibelwissenschaft kann aus den Texten kein einziges Wort freilegen, das der hl. Joseph zweifelsfrei gesprochen hätte. Aber sie kann ihm – vor allem auf alttestamentlichem Hintergrund – doch ein überraschend klar konturiertes Profil geben.
(vatican news – sk)
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