Wähler in einem Wahllokal in der Hauptstadt Bangui Wähler in einem Wahllokal in der Hauptstadt Bangui  (AFP or licensors)

Zentralafrika: Wahlen mit Hindernissen

Nach den Wahlen in Zentralafrika vom vergangenen Sonntag hat die Auszählung der abgegebenen Stimmen begonnen. Viele Menschen insbesondere in ländlichen Gegenden wurden allerdings durch Rebellen an ihrer Stimmabgabe gehindert. Für den italienischen Missionar Giuseppe Trinchero, der seit rund 12 Jahren in Zentralafrika lebt, wäre es dennoch denkbar, die Wahlen gelten zu lassen. „Wenn die Alternative Krieg und Chaos ist, müsste man einen Kompromiss finden...“, sagt er im Gespräch mit Radio Vatikan.

Christine Seuss und Andrea De Angelis – Vatikanstadt

Zentralafrika blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Wahlen von diesem Sonntag, mit denen Präsident und Parlament bestimmt werden sollten, waren durch schwere Spannungen geprägt, und die Sorge besteht, dass sich die Situation eines Bürgerkrieges wie im Jahr 2013 wiederholen könnte. Rebellen hatten gefordert, die Wahlen zu verschieben, doch sowohl die Regierung als auch die Vereinten Nationen hatten dieser Anfrage eine Absage erteilt. Der amtierende Präsident Touadéra hat das Angebot nach ausländischer Hilfe angenommen, um die Sicherheit im Land zu garantieren. Doch die Spannungen treten deutlich zutage: drei burundische Blauhelme waren in der vergangenen Woche getötet und weitere zwei verletzt worden, wie die Vereinten Nationen bekannt gegeben hatten. Gleichzeitig verurteilten sie die Attacken, die „nicht identifizierte bewaffnete Kämpfer“ durchgeführt und somit eine Waffenruhe unterbrochen hatten, die anlässlich der Wahlen ausgerufen worden war.

Der amtierende Präsident umringt von Friedenstruppen der Vereinten Nationen
Der amtierende Präsident umringt von Friedenstruppen der Vereinten Nationen

Eine Koalition bewaffneter Gruppen, die „Koalition der Patrioten für den Wandel (CPC) hat ihre Angriffe verstärkt, nachdem das Verfassungsgericht entschieden hatte, den Ex-Präsidenten François Bozizé von der Wahl auszuschließen. Bozizé wird von den Rebellen unterstützt und wollte gegen den amtierenden Präsidenten Archange Touadéra antreten, der für ein zweites Mandat ins Rennen geht. Sein Hauptkontrahent ist nun der ehemalige Premierminister Anicet-Georges Dologuélé, der durch Bozizé unterstützt wird.

„Ich weiß nicht, ob mit den Wahlen von Sonntag Geschichte geschrieben wurde, aber ich weiß, dass es nötig ist, einen Kompromiss zu finden“

Hier im Audio: Die Situation in Zentralafrika

„Ich glaube, dass der Bevölkerung bewusst ist, wie wichtig es ist, nicht einen Schritt zurück zu machen. Ich weiß nicht, ob mit den Wahlen von Sonntag Geschichte geschrieben wurde, aber ich weiß, dass es nötig ist, einen Kompromiss zu finden, denn die Befürchtung der Menschen ist, zurück ins Jahr 2013 zu fallen, als hier Krieg herrschte“, sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Karmeliter und Missionar Federico Trinchero, der seit vielen Jahren in Zentralafrikas Hauptstadt Bangui lebt und wirkt. Die letzten Wahlen im Jahr 2015, kurz nach Kriegsende, seien wesentlich friedlicher abgelaufen als die aktuellen Wahlen... „Es bestand das Risiko, dass die Wahlen nicht stattfinden würden oder dass es sogar zu einem Staatsstreich kommen könnte“, berichtet der Missionar.

„Zum Glück wurde ein Staatsstreich verhindert, auch durch die massive Präsenz der Friedenstruppen der Vereinten Nationen in Zentralafrika, vor allem in der Hauptstadt. Das Ziel der Rebellen war es, die korrekte Durchführung der Wahlen zu verhindern oder in eine Phase des Übergangs einzutreten, in der sie ihre Forderungen stellen könnten.“

Wähler wurden an der Stimmabgabe gehindert

Nachdruck hätten die Rebellen ihren Forderungen verliehen, indem sie an verschiedenen Orten für Unruhe gesorgt und Geschäfte geplündert hatten. Zum Glück sei die Zivilbevölkerung wohl nicht allzu stark in Mitleidenschaft gezogen worden, auch wenn offizielle Zahlen von Verletzten und eventuellen Toten noch auf sich warten ließen, berichtet der Missionar. „Hier in Bangui liefen die Wahlen relativ ruhig und planmäßig ab. Ich habe selbst viele Menschen gesehen, die in Erwartung der Stimmabgabe vor den Wahllokalen Schlangen standen. Leider war dies jedoch nicht in allen Städten oder Orten der Fall, wo Kämpfer ein Klima der Bedrohung für diejenigen geschaffen hatten, die wählen gehen wollten.“

Die Blauhelme sorgten in den Wahllokalen für Sicherheit, aber nicht alle Lokale konnten überwacht werden
Die Blauhelme sorgten in den Wahllokalen für Sicherheit, aber nicht alle Lokale konnten überwacht werden

Die Bedeutung der aktuellen Wahlen war wiederholt durch die internationale Gemeinschaft unterstrichen worden. Bereits im Oktober hatte der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in New York, Erzbischof Gabriele Caccia, alle Bürger des afrikanischen Landes – „aus jeder sozialen Schicht, unabhängig von der ethnischen Herkunft, vom religiösen Glauben oder von politischen Überzeugungen“ - dazu aufgerufen, sich für eine ganzheitliche Entwicklung einzusetzen.

Auch mit Näherrücken der Wahlen hatte der Vatikandiplomat sich zu Wort gemeldet und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, diese mögen „friedlich“ ablaufen, denn für die Bevölkerung sei es an der Zeit, „damit zu beginnen, gemeinsam ein neues Kapitel in der Geschichte des Landes zu schreiben“. Seitens der Vereinten Nationen hatte Generalsekretär Antonio Guterres kurz vor den Wahlen die steigende Gewalt verurteilt und alle Akteure aufgefordert, mit sofortiger Wirkung und im Interesse der zentralafrikanischen Bevölkerung alle kriegerischen Handlungen einzustellen.

Eine Situation, die sich stündlich entwickelt

„Ich denke, sich demokratisch perfekte Wahlen zu erwarten, nach dem, was in den letzten Monaten vorgefallen ist, wäre schwierig, aber wenn die Alternative Chaos und Krieg sind, wie sie 2013 herrschten, dann muss man einen Kompromiss finden,“ gibt der Missionar zu bedenken. Übersetzt: Auch wenn die aktuellen Wahlen mit Hindernissen abgelaufen seien und nicht alle Menschen ihre Stimme abgeben konnten, müsse man überlegen, ob das Ergebnis nicht dennoch anerkannt werden sollte. Erste vorläufige Wahlergebnisse sind für den 4. Januar zu erwarten, während die offiziellen Ergebnisse noch bis zum 19. Januar auf sich warten lassen. „Sicher, es ist eine äußerst delikate Situation, die sich stündlich entwickelt. Die Menschen haben wirklich Angst, ins Jahr 2013 zurückzufallen. Die Hoffnung ist, vorwärts zu gehen, auch wenn die Situation extrem fragil und delikat ist.“

In Zentralafrika versuche man seit Jahren, einen Schritt vorwärts zu machen – doch oft scheine das Gegenteil zu passieren, gibt Trinchero zu bedenken. 2015 schien das Land, mehr noch als heute, dank des eben überstandenen Krieges und der großen Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft an einem positiven Wendepunkt zu stehen... „Aber ich habe eher das Gefühl, dass das Land jetzt einen Rückschritt macht, anstatt ein neues Kapitel aufzuschlagen,“ so die resignierte Bewertung des Ordensmannes.

Papst Franziskus und seine Botschaft der Hoffnung

Im Jahr 2015 war auch Papst Franziskus nach Zentralafrika gekommen, wo er mit der Öffnung der Heiligen Pforte in Bangui eine wunderbare Botschaft der Hoffnung hinterlassen habe, deren Echo auch heute noch, angesichts der schwierigen Situation, nachklingt, erinnert sich der Missionar. „Das war in der Tat ein besonderer Moment. Aber jetzt sind wir ein wenig entmutigt und die Menschen sind müde, das sehe ich auch an meinen Mitbrüdern, die um die 20 oder 30 Jahre alt sind und nur Krieg kennen. Wir müssen sehen, welche Richtung das Land in den nächsten Wochen nimmt. Es ist eine schwierige Situation, die auch für uns hier schwer zu entziffern ist. Deshalb gehen wir voran, vielleicht auch ein wenig hinkend, aber in der Hoffnung, nicht einen Schritt zurück zu machen.“

Trotz des Friedensabkommens, das im Februar 2019 durch die Regierung und bewaffnete Gruppierungen unterzeichnet worden war, bestehen die Spannungen in Zentralafrika weiter fort und es kommt nach wie vor zu gewalttätigen Zusammenstößen. Viele Menschen sind im Land auf der Flucht und die humanitäre Lage bleibt kritisch. Die Angst vor Terrorangriffen ist äußerst präsent im Land, wie auch der Einsatz der zahlreichen Blauhelme während der Wahlen am Sonntag vor den Wahllokalen bezeugte.  

(vatican news)

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30. Dezember 2020, 10:35