Haiti: „Als ich kam, waren die Kirchen fast alle noch zerstört“
Mario Galgano und Adélaïde Patrignani – Vatikanstadt
Nugent war als Vatikan-Diplomat in Afrika, Mauritius und auf den Seychellen im Einsatz. Bis vor einer Woche war er Nuntius in Port-au-Prince in Haiti. Künftig soll er den Heiligen Stuhl in Kuweit und Katar vertreten. Im Gespräch mit Radio Vatikan hält der Ire Rückschau auf seine fünf Jahren in Haiti.
„Als ich 2015 nach Haiti kam, waren die Aufbauarbeiten im Gange. Die meisten Kirchen waren noch nicht zugänglich und meist komplett zerstört. Und das fünf Jahre nach dem schweren Erdbeben von 2010! Meine Aufgabe bestand also zunächst darin, so rasch wie möglich den Zugang zu den Kirchen zu regeln. Ich arbeitete hierfür eng mit der Bischofskonferenz von Haiti zusammen. Zusammen mit Ordensgemeinschaften haben wir eine bei der Bischofskonferenz angesiedelte Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich um den Wiederaufbau kirchlicher Einrichtungen kümmerte.“
Fünf sehr intensive Jahre
Vieles habe schon sein Vorgänger Erzbischof Bernardito Auza, der spätere Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO, in die Wege geleitet. Für einmal bestand die Aufgabe eines Nuntius nicht einfach nur darin, diplomatische Tätigkeiten auszuführen, sondern konkret am Wiederaufbau der Kirche in einem Land mitzuwirken. In fünf Jahren hat Erzbischof Nugent an der Instandsetzung von etwa 30 Kirchen mithelfen können. Darauf sei er besonders stolz, auch wenn es noch viel zu tun gebe, fügt er an:
„Es waren fünf sehr intensive Jahre. Das geht noch weiter. Insbesondere auf der Ebene der Seelsorge liegt noch viel in Trümmern. Es handelt sich um seelische Probleme, die durch das viele Leid und die Armut im Land verursacht werden. Ich habe alle Diözesen in Haiti besucht, und überall konnte ich mit eigenen Augen das Leid und die Probleme sehen. Auf diplomatischer Ebene gab es ebenfalls viel zu tun: Es gab ja hier eine schwere politische Krise.“
Seit dem Sommer 2018 sind in Haiti immer wieder Unruhen augebrochen. Es kam zu Massendemonstrationen gegen die autoritär wirkende Politik der Regierung. Dem zunächst als Hoffnungsträger betrachteten Präsidenten Jovenel Moïse wurde vorgeworfen, für den dramatischen wirtschaftlichen Niedergang des Landes verantwortlich zu sein. Auch sei seine Politik für die steigenden Lebenshaltungskosten verantwortlich.
Dazu kam ein massiver Korruptionsskandal. Ein Bericht des Obersten Rechnungshofes deckte auf, dass die Regierung mehr als drei Milliarden US-Dollar aus dem venezolanischen Solidaritätsfonds Petrocaribe veruntreut hatte, mit dem eigentlich die Benzinpreise in Haiti subventioniert werden sollten.
Als Haiti plötzlich stillstand
„Nach all diesen Vorwürfen stand das Land im vergangenen Jahr mehrere Monate lang komplett still. Schon im Dezember 2018 hatte unsere Nuntiatur versucht, zwischen den politischen Parteien zu vermitteln. Es fanden Treffen hier in der Nuntiatur statt. Ich kann sagen, dass das einer der Höhepunkte dieser diplomatischen Aufgabe war, denn es war interessant und sehr stark, was ich erlebt habe.“
Der Wiederaufbau war alles andere als einfach und lief nicht immer einwandfrei. Vorwürfe kamen auf, dass Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen die Notlage der Bevölkerung schon vor dem Beben ausgenutzt und sexuelle „Gefälligkeiten“ im Austausch für Hilfsleistungen, Nahrungsmittel oder Medikamente eingefordert hätten. Eine UNO-Untersuchung hielt fest, dass „Akte sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs (gegen Kinder) häufig vorkamen und sich üblicherweise nachts, und praktisch an jedem Ort, an dem die besagten Soldaten stationiert waren, ereigneten“.
„Es herrscht viel Ungerechtigkeit in Haiti. Ich würde auch hinzufügen, dass es viele Ungleichheiten gibt. Das ist insbesondere im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu sehen. Es gibt in Haiti eine kleine Elite, die alle Reichtümer des Landes kontrolliert. Das war schon seit längerer Zeit der Fall. Hinzu kommt die grassierende Korruption und die schlechte Amtsführung der Bürokratie. Es sind auch viele Fälle von Raub staatlicher Mittel bekannt. Auch die Umweltschäden durch Raub von natürlichen Rohstoffen gehören in Haiti leider zum Alltag. Nach dem Erdbeben wurde das noch schlimmer, und die Menschen fühlen sich seither im Stich gelassen.“
Kriminelle Banden treiben ihr Unwesen
Ergebnis sei, dass oftmals kriminelle Banden die Städte und Ortschaften mit Gewalt kontrollierten, fügt der Nuntius an. In den vergangenen Monaten gebe es täglich Gewaltakte zu verzeichnen. Auch die deutsche Welthungerhilfe hat in diesen Tagen zu Haiti geschrieben, dass das Erdbeben „auf schmerzliche Weise die Grenzen von Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit verdeutlicht“ habe.
Nuntius Nugent verlässt das Land mit einem weinenden Auge und hofft, dass es den Haitianer künftig besser gehen wird. Die Zukunftsaussichten schauen allerdings alles andere als hoffnungsvoll aus: In den vergangenen Wochen kam es zu Dürreperioden und Naturkatastrophen, denen das Land ungeschützt ausgeliefert ist. Wie Hilfswerke befürchten, dürfte der Hunger in Haiti in nächster Zeit rapide zunehmen.
(vatican news)
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