Südsudan: Die Herausforderung, eine nationale Einheit zu schaffen
Christine Seuss und Marco Guerra - Vatikanstadt
Am 9. Januar 2011 fand das Referendum statt, in dem die Mehrheit der Bevölkerung im Süden für eine Unabhängigkeit vom Norden optierte. Am folgenden 9. Juli war es soweit, und der jüngste Staat der Welt entstand. Doch trotz intensiver Friedensbemühungen ist der Südsudan nach wie vor in ethnische Fraktionen zersplittert, während verschiedene bewaffnete Gruppen ihr Unwesen treiben.
Viel ist noch zu tun
Der Friedensprozess, der zu den Friedensvereinbarungen von 2018 führte, wurde von Anfang an durch die christlichen Kirchen begleitet, und auch am vergangenen 24. Dezember hatten der Papst, der Primas der Anglikanischen Kirche Justin Welby und der Moderator der Generalversammlung der Kirche von Schottland, Martin Fair, in einem Brief an die südsudanesischen Führungspersönlichkeiten ihre Freude über den Fortschritt der Friedensbemühungen ausgedrückt, ohne jedoch zu verhehlen, dass noch mehr getan werden müsse, damit das Volk vollständig die Früchte des Friedens genießen könne. Bereits im Jahr 2017 hatte Papst Franziskus von seinem Wunsch geschrieben, das Land und seine junge Kirche zu besuchen, und seither zeigte er anhaltendes Interesse für das Schicksal des Südsudan und seiner Einwohner.
Im 2013 ausgebrochenen Bürgerkrieg starben mehr im Lauf der Jahre als 400.000 Menschen, und vier Millionen ergriffen die Flucht im eigenen Land. Präsident Salva Kiir vom Stamm der Dinka und sein Ex-Vizepräsident Riek Machar aus dem Stamm der Nuer standen sich als erbitterte Feinde gegenüber. Die beiden Kontrahenten und ihre Anhänger bilden derzeit eine nationale Einheitsregierung, die im vergangenen Herbst, dank der unermüdlichen Vermittlung der Basisgemeinschaft Sant'Egidio, eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand mit den bewaffneten Oppositions-Gruppierungen getroffen hatte, die sich unter dem Namen SSOMA (South Sudan Opposition Movement Alliance) zusammengeschlossen hatten und den Friedensvertrag von 2018 nicht mitgetragen hatten. Ab dem 1. Januar, so die Vereinbarung, sollten die Regierungstruppen mit den Oppositionsmilizen zusammenarbeiten, um eventuelle Verstöße gegen den Waffenstillstand zu identifizieren und zu ahnden. Eine realistische Chance für Frieden und Stabilität?
„Als Missionarin wäre ich gerne optimistisch, aber in diesem Moment kann ich das nicht sein“, sagt gegenüber Radio Vatikan die Comboni-Schwester Elena Balanti, die seit 20 Jahren in Juba lebt. „Denn das Referendum vor zehn Jahren war ein Moment großer Freude, mit dem große Erwartungen und Hoffnungen verbunden waren. Die Unabhängigkeit der Südsudanesen, oder besser der einzelnen Ethnien, von denen es viele gibt, von einer Regierung, der es nicht gelungen war, Einheit und Entwicklung in den Südsudan zu bringen - es gab große Erwartungen.“
Doch leider, so fährt die Missionarin fort, sei es den verschiedenen ethnischen Gruppen nach dem langen Krieg um die Unabhängigkeit nicht gelungen, diese Situation auf eine „positive Weise“ zu leben und die inneren Spannungen aufzulösen. „Der Südsudan hat die Unabhängigkeit, aber noch nicht die Einheit. Man muss die Südsudanesen [als Volk, Anm.] erst noch schaffen“, bringt es die Missionarin auf den Punkt. Mehr als 64 Stämme sind im Südsudan vertreten, und das Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Stamm ist stärker als dasjenige zu einer Nation, erläutert die Comboni-Schwester.
Möglichkeit einer brillanten Zukunft
„Das hat viel Zwietracht und Rivalitäten geschaffen, was letztlich zu einem äußerst blutigen Bürgerkrieg geführt hat, der von 2013 bis 2018 andauerte.“ Und das, obwohl das Land an sich reich an Rohstoffen wäre, bedauert die Missionarin. Doch die Stammesrivalitäten würden zugunsten der kurzsichtigen Machtinteressen einiger weniger ausgenutzt, denen es um persönliche Macht und Reichtum, aber auch um Status für den eigenen Stamm gehe, beschreibt die Ordensfrau das Dilemma.
„Wenn es eine Zentralregierung geben wird, die in der Lage ist, diese Ressourcen für das südsudanesische Volk zu nutzen, dann wird es eine brillante Zukunft geben, mit der Möglichkeit eines schnellen wirtschaftlichen Aufschwungs, der Dienste für alle mit sich bringt. Derzeit gibt es leider keine öffentlichen Dienstleistungen...“
Die Sorge der Kirchen
Papst Franziskus und der Primas der Anglikanischen Kirche Justin Welby hatten erst im vergangenen Dezember ein Schreiben an die politisch Verantwortlichen des Südsudan gerichtet, in dem sie ihre Absicht bekräftigten, das Land so bald es geht zu besuchen. Schon seit jeher seien die Kirchen im Einsatz für Einheit und Versöhnung, zunächst im Sudan, und nun auch im Südsudan, unterstreicht Schwester Elena:
„Der Ökumenische Rat der Kirchen, bei dem die katholische Kirche Mitglied ist, hat stets eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Friedens und bei Erreichen der Vereinbarungen zwischen den verfeindeten Lagern 2015 und 2018 gespielt. Und nun laden die Kirchen - so wie der Papst, der Anglikanerprimas und die Presbyterianische Kirche, dazu ein, den Frieden Wirklichkeit werden zu lassen, indem man die Vereinbarungen umsetzt, die in den Verträgen stehen. In ihrem Brief vom 24. Dezember schreiben der Papst und der Primas an die politischen Verantwortlichen im Südsudan, sie sollen die Väter und Mütter des Landes sein. Das ist wirklich eine einfache Aufforderung, die jedoch ins Herz der Situation trifft. Die Politik als Dienst an der Bevölkerung und als Fähigkeit, auf die Nation als eine einzige zu schauen, auf das südsudanesische Volk als eine Familie. Das ist der beste Weg, um die großen Schwierigkeiten zu lösen, in denen das Land heute noch steckt.“
Politiker sollen Väter und Mütter des Landes sein
Die Christen, davon zeigt die Comboni-Schwester sich überzeugt, können in diesem Zusammenhang als Kitt in der Gesellschaft dienen. Unermüdlich riefen sie die politischen Führungspersönlichkeiten dazu auf, zusammenzuarbeiten, da die lokalen Konflikte im Land stets zu explodieren drohten. „Es fehlt an dem festen politischen Willen, die Prinzipien umzusetzen, die in dem Friedensvertrag von 2015 und nochmals 2018 festgehalten wurden“, analysiert die Missionarin. „Es fehlt an dem Willen, die Regionalregierungen einzusetzen und die Streitkräfte zu vereinen. Denn um Frieden und Sicherheit zu erreichen, müssen die bewaffneten Gruppen alle unter einem Kommando stehen.“
Das Schneckentempo, in dem diese Prozesse vor sich gingen, sei mit großen Risiken behaftet, warnt die Schwester. Denn mangelnde Sicherheit blockiere auch den wirtschaftlichen Aufschwung im Land. „Es mangelt an Investitionen, und dann sind da noch diese enormen Heere, die reduziert und vereint werden sollten und Ressourcen des Landes abziehen. Das Land hängt ein bisschen in der Luft in diesen Jahren der Umsetzung der Friedensvereinbarungen. Der letzte Schritt sollten die Wahlen sein, die immer wieder verschoben werden. Das macht die Situation ziemlich deprimierend, sagen wir mal so...“
(vatican news)
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