Geschwisterlichkeit: Die neue Brücke im Dialog
Christen und Muslime haben seit dem Dokument der Geschwisterlichkeit, das Papst Franziskus und der Großimam von Al-Azhar Al Tayyeb 2019 in Abu Dhabi unterzeichneten, eine neue Grundlage für ihren gemeinsamen Einsatz als Glaubende in der Welt. Darin stimmen der muslimische Theologe Adnane Mokrani und der katholische Missionswissenschaftler Brunetto Salvarani überein. Ein Gespräch.
Adnane Mokrani ist Professor für Islamwissenschaft und islamisch-christliche Beziehungen an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Er sieht in dem religionsübergreifenden Dokument nichts weniger als „eine Art Fahrplan für den interreligiösen Dialog, die islamisch-christlichen Beziehungen und die Zukunft der Menschheit." Geschwisterlichkeit sei „ein Bedürfnis und eine lebenswichtige Notwendigkeit für die Menschheit, denn wir leben in einer sehr tiefen Krise, an allen Fronten. In diesem Chaos, in dieser Unordnung der Welt, brauchten wir eine prophetische Stimme, eine kritische Stimme, die uns an die Grundwerte erinnert: und das hat der Papst getan“, so der Islamwissenschaftler.
Brunetto Salvarani, Professor für Theologie der Mission und des Dialogs an der Theologischen Fakultät der Emilia Romagna, sah am 4. Februar 2019 die Live-Fernsehübertragung aus Abu Dhabi. „Als Papst Franziskus sagte, es brauche den Mut zum Anderssein, war mir klar, das ist ein wirklich qualitativer Sprung in der Arbeit des Dialogs. Und zwar nicht nur auf der Ebene des christlich-islamischen Dialogs, der fundamental ist, sondern auf der Ebene des Dialogs insgesamt." Das habe sich dann bestätigt im Dokument über die Geschwisterlichkeit und weiter in der Enzyklika „Fratelli tutti“, sagt Salvarani im Gespräch mit Radio Vatikan. Beide wiesen „wirklich in Richtung eines neuen Anfangs, eines neuen Modells des Dialogs, das den religiösen und kulturellen Pluralismus voll akzeptiert, in den wir eingetaucht sind."
„Selbstkritik nötig"
Und wie wurde das Dokument in der islamischen Welt aufgenommen, die sehr vielfältig ist? Es gibt da, so der muslimische Theologe Mokrani, „nach wie vor große Erwartungen auf islamischer Seite, bei all den Männern und Frauen, die sich dem Dialog und dem Weg der Humanisierung verpflichtet fühlen“. Das Dokument habe „sicherlich einen klaren, gemeinsamen und teilbaren Diskurs angeboten, einen Plan, den wir gemeinsam umsetzen können, als eine interreligiöse Mission." Zuerst aber, so stellt der Islamwissenschaftler klar, „müssen wir selbstkritisch sein, weil wir noch nicht auf der Ebene dieser Worte sind. Wir müssen gemeinsam überlegen, was konkret getan werden kann, um dieses Dokument einzulösen. Das ist eine große Verpflichtung, es ist nicht einfach.“
Was in der islamischen Welt für Aufsehen gesorgt habe, sei die Aussage von Papst Franziskus in „Fratelli tutti“, er habe sich zu dieser Enzyklika in besonderer Weise vom Großimam Ahmad Al-Tayyeb anregen lassen. In Abu Dhabi habe man gemeinsam daran erinnert, dass Gott „alle Menschen mit gleichen Rechten, gleichen Pflichten und gleicher Würde geschaffen und sie dazu berufen hat, als Brüder und Schwestern miteinander zusammenzuleben“. Dieses Zitat aus dem Abu-Dhabi-Dokument sei in der muslimischen Welt aufmerksam registriert worden. „Seit Beginn seines Pontifikats hat Papst Franziskus in seinen Dokumenten, Enzykliken oder Briefen, manchmal in den Anmerkungen, andere Male im Text selbst, oft Hinweise, Andeutungen auf die islamische Welt gemacht", vermerkt der Wissenschaftler.
„Es ist also offensichtlich, dass die Pastoral heute die Vielfalt nicht ignorieren kann, das Andere nicht ignorieren kann: das Andere muss einbezogen und berücksichtigt werden." Die Al-Azhar-Universität in Ägypten sei eine angesehene und traditionsreiche islamische Institution. Ihr von vatikanischer Seite eine Stimme zu geben, hält Mokrani für bedeutsam. Ähnliches gelte auch auf einer persönlichen Ebene, so der aus Tunesien stammende Islamwissenschaftler. Es sei „sehr wichtig und eine große Ehre, Imam Al-Tayyeb als Dialogpartner, als Freund und Inspirationsquelle Glaubwürdigkeit zu verleihen." Die gegenseitige Wertschätzung zwischen dem Papst und dem Großimam zeige auch, „dass die Konzilserklärung Nostra Aetate effektiver und lebendiger sein kann."
Papst Franziskus begeht den ersten Welttag der Geschwisterlichkeit aller Menschen am 4. Februar 2021 mit der Teilnahme an einem virtuellen Treffen. Den Gedenktag hat die UNO-Generalversammlung eingeführt, die Anregung stammte vom „Dokument der Brüderlichkeit“, das Franziskus 2019 in Abu Dhabi gemeinsam mit dem Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb unterzeichnete.
(vatican news – gs)
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