Gerechtere Weltwirtschaft: Globale Mindeststeuer als Chance
Anne Preckel und Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Die neue Weichenstellung in der globalen Steuerpolitik soll für mehr Ausgleich und Gerechtigkeit sorgen. Mehr Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft hatte auch Papst Franziskus jüngst wieder gefordert, und zwar in einem Brief an die Weltbankgruppe und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Darin machte sich der Papst für einen Schuldenerlass für arme Länder stark und forderte eine Regulierung der Geldwirtschaft „durch Gesetze und Vorschriften“ im Zeichen des Gemeinwohls und globaler Teilhabe. Zur Bekämpfung von Steuerflucht und -Hinterziehung hatte er unter anderem in einer Rede vor der UNO 2020 aufgerufen.
Ist die von der OECD angestrebte Reform ein Schritt im Sinne des Papstes, der sich vor allem für ärmere Länder mehr Chancen erhofft? Darüber hat Radio Vatikan mit der deutschen Ökonomin Dominika Langenmayr von der Katholischen Uni Eichstätt-Ingolstadt gesprochen, die dort als Professorin am Lehrstuhl für VWL mit Schwerpunkt Finanzwissenschaft wirkt. Mit dem Rückenwind der USA, die sich beim Frühjahrstreffen von Weltbank und Währungsfonds für eine globale Mindeststeuer starkmachten, könnte das Projekt tatsächlich Wirklichkeit werden, wenn auch Details noch zu klären sind.
Mindeststeuer kann mehr Gerechtigkeit schaffen
Radio Vatikan: Frau Langenmayr, der Papst spricht sich immer wieder für eine Weltwirtschaft und ein Finanzsystem mit Mechanismen aus, die der Wohlfahrt und der Gerechtigkeit dienen sollen - und eben nicht allein einem Profit, der nur wenigen Akteuren zukommt. Wäre eine globale Mindeststeuer hier nach dem Geschmack des Papstes? Was würde sie in punkto Wohlfahrt und Gerechtigkeit bringen?
Langenmayr: Aus meiner Sicht wäre eine globale Mindeststeuer schon ein sehr gutes Instrument, um dafür zu sorgen, dass auch die schwarzen Schafe unter den Unternehmen angemessen besteuert werden. Sie hat auf alle Fälle das Potenzial dazu, mehr Gerechtigkeit beizutragen. Man muss allerdings auch sagen, dass da bisher nur ein relativ grober Vorschlag existiert, und viele Details zur Umsetzung noch offen sind – wie hoch wird der Steuersatz, wie wird genau der Gewinn berechnet usw. Ob die Mindeststeuer wirklich jetzt die hohen Erwartungen erfüllen kann, wird auch von der Ausgestaltung dieser Details abhängen.
Radio Vatikan: Worum geht es im Kern bei der globalen Mindeststeuer?
Langenmayr: Um das zu verstehen, hilft es, sich erstmal kurz vor Augen zu halten, was das Problem in der gegenwärtigen Unternehmensbesteuerung ist. Da wird ja der Gewinn von international tätigen Unternehmen auf die Länder aufgeteilt, in denen sie aktiv sind und in denen sie produzieren. Und welches Land wie viel Gewinn erhält, hängt davon ab, wie viel Wertschöpfung dort stattfindet. Bei vielen Unternehmen, gerade denen aus der digitalen Wirtschaft wie Google und Amazon, entsteht viel Wertschöpfung durch die Nutzung von Technologien und von Patenten. Jetzt lassen sich aber gerade Patente sehr leicht in Steueroasen verschieben - was dann dazu führt, dass diese Unternehmen in der Summe sehr wenig Steuern zahlen, weil scheinbar eben viel Wertschöpfung in Steueroasen stattfindet.
Steueroasen unattraktiv machen
Radio Vatikan: Also eine Scheinwirtschaft, die mit einem fairen Wettbewerb gar nichts mehr zu tun hat...
Langenmayr: Das Problem ist nicht der Steuerwettbewerb per se, der ja auch mit anderen Ländern, also zum Beispiel zwischen Deutschland und Tschechien stattfindet: Dass Tschechien jetzt einen etwas niedrigeren Steuersatz als Deutschland hat, um auszugleichen, dass es vielleicht auch weniger gut ausgebildete Arbeitnehmer hat oder ein bisschen schlechtere Infrastruktur – das ist ja oft ein fairer Wettbewerb zwischen den Staaten, der auch ein Ansporn ist, sich weiterzuentwickeln und bessere Infrastruktur zum Beispiel anzubieten. Das Problem sind die wirklichen Steueroasen, also zum Beispiel die Cayman Islands, die Einkommen gar nicht besteuern und auch gar nicht das Ziel haben, ein attraktiver Standort für Unternehmen zu sein, sondern die nur Tätigkeiten auf dem Papier anziehen wollen. Die machen es anderen Ländern einfach schwer, alle Unternehmen gleich zu besteuern. Denn ein großer internationaler Konzern kann eben Gewinne in diese Länder verschieben, während ein mittelständisches Unternehmen oder der kleine Bäcker um die Ecke das nicht kann.
Radio Vatikan: Wie soll die gerechtere Verteilung laut dem aktuellen Plan im Detail funktionieren?
Langenmayr: Die Mindestbesteuerung besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist eine so genannte ,Income Inclusion Rule’, die gibt Staaten das Recht, die Steuerlast ausländischer Töchter aufzustocken, bis die Steuerbelastung dem Mindeststeuersatz entspricht. Um ein Beispiel zu geben: Ein in Deutschland ansässiges multinationales Unternehmen hat ein Tochterunternehmen auf den Cayman Islands, die zahlt dort quasi keine Steuern - und dann würde mit dieser ,Income Inclusion Rule’ Deutschland das Recht erhalten, die Gewinne diese ausländischen Tochter bis zu dem Mindeststeuersatz noch nachzubesteuern.
Der zweite Teil wäre so eine ,Tax on Base Eroding Payments’ Das wäre sozusagen das Gegenstück dazu, womit die inländische Tochter höher besteuert werden kann. Wenn jetzt etwa die Muttergesellschaft auf den Cayman Islands sitzt und diese inländische Tochter ganz viel Zahlungen an die ausländische Gesellschaft leistet, dann könnte damit auch Deutschland diese inländische Tochter höher besteuern. Also das Ziel wäre: Egal, wo ein Unternehmen ansässig ist und wo es Tochtergesellschaften hat, dass es immer zumindest mit diesem Mindeststeuersatz besteuert würde.
Ärmere Länder gerecht beteiligen
Radio Vatikan: Wenn wir uns jetzt mal ärmerer und Schwellenländer ansehen, die ja soweit ich sehe weniger Gewinne und auch Steuern erwirtschaften im Vergleich zu reicheren Ländern - was könnte diesen Ländern eine globale Mindeststeuer bringen?
Langenmayr: Zunächst einmal haben Sie absolut Recht, dass gerade auch Steuervermeidung und Gewinnverlagerung für diese Länder ein besonders großes Problem sind. Die haben einfach noch weniger als Deutschland und die USA die Möglichkeit, die bestehenden Regeln, die es schon dafür gibt, effektiv durchzusetzen. Daher zahlen dort große multinationale Unternehmen oft besonders wenig Steuern, und da könnte die Mindeststeuer schon ein guter erster Schritt sein. Man muss aber auch sagen, dass in diesen Ländern oft auch relativ wenig Wertschöpfung stattfindet, also selbst wenn die Gewinne exakt nach der wirklichen Wertschöpfung verteilt werden, fällt doch gar nicht so viel Steueraufkommen an. Also daher würden diese Länder wahrscheinlich von einem anderen, momentan diskutierten Vorschlag mehr profitieren: Da geht es darum, dass der Gewinn vielleicht nicht nur nach der Wertschöpfung verteilt wird, sondern dass ein gewisser Teil des Gewinns auch dort besteuert werden soll, wo der Konsum stattfindet. Davon würden diese Länder sicherlich nochmal mehr profitieren. Und das ist auch tatsächlich aktuell der zweite Teil des aktuell bestehenden OECD-Vorschlags. Es wäre also absolut kompatibel mit der Mindeststeuer.
Papst fordert Ausgleich auch beim Klima
Radio Vatikan: Der Papst spricht mit Blick auf die Umwelt und das Klima von ökologischen Schulden vor allem der Länder, die Umweltschäden am meisten verursachen. Er sagt, diese Schulden können mit Geldmitteln und Investitionen ausgeglichen werden, die den etwa vom Klimawandel am stärksten betroffenen Ländern zugute kommen. Also auch hier die Idee eines Ausgleiches im Sinne der Gerechtigkeit. Wie ließe sich das vor allem für die armen Länder umsetzen?
Langenmayr: Da wäre ein wichtiger Teil, dass man wirklich noch mal darüber nachdenkt: Wie sollen Besteuerungsrechte zwischen Ländern verteilt werden? Und wie kann zumindest ein Teil der Besteuerung im Land des Konsums stattfinden - das hat sicherlich so aus Sicht der internationalen Verteilungsgerechtigkeit durchaus Vorzüge. Einfach, weil Konsum ein bisschen gleichmäßiger verteilt ist. Gleichzeitig muss man so Maßnahmen immer damit kombinieren, dass wirklich eine effektive Besteuerung sichergestellt werden kann – da wären wir jetzt wieder beim Thema Mindestbesteuerung. Also ich denke, dass in der Summe diese OECD-Vorschläge durchaus einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, international tätige Unternehmen fair zu besteuern und auch zu einer gleichmäßigeren oder gerechteren Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Ländern beitragen können.
Radio Vatikan: Papst Franziskus wendet sich gerade angesichts der Corona-Krise verstärkt an globale Player und Entscheidungsträger mit dem Appell zu mehr Koordination und Solidarität im Dienste des universalen Gemeinwohls, im Sinne der Gerechtigkeit. Werden diese Appelle gehört, kommt seine Botschaft an?
Langenmayr: Ich denke schon! Gerade im Bereich dieser internationalen Unternehmensbesteuerung gibt es schon seit vielen Jahren enge Zusammenarbeit in der OECD, aber auch mit den G20, wo ja viele Schwellenländer mit vertreten sind, um eben hier fundamentale Änderungen durchzusetzen. Es ist nicht einfach, weil jedes Land immer auch Angst, dass es vielleicht auch Steueraufkommen verlieren könnte, aber da sind durchaus schon Änderungen passiert in den letzten Jahren. Und ich denke, dass die Unterstützung des Papstes da sicherlich auch vielleicht bei dem einen oder anderen Land oder den Vertretern dieser Länder dazu führen kann, dass man vielleicht noch einmal bereiter ist, darüber nachzudenken, was jetzt wirklich für alle das beste System ist und ob nicht auch wirklich alle davon profitieren können, wenn wir zu einem gerechteren Unternehmens-Besteuerungssystem kommen.
Mindeststeuer könnte kommen
Radio Vatikan: Europa und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben das Thema ja schon länger auf ihrer Wunschliste. Wie stehen die Chancen aktuell, dass es jetzt damit tatsächlich auch was wird?
Langenmayr: Ich denke, da ist die neue Unterstützung der USA wirklich ein Gamechanger. Die letzte Regierung in den USA hat da eher gebremst und es war immer die Frage, ob man so eine doch recht fundamentale Änderung des internationalen Steuersystems durchsetzen kann, wenn die USA nicht mitmachen. Wenn jetzt die USA nicht nur mitmachen, sondern sogar eine Vorreiterrolle da übernehmen, wird das eine ganz andere Dynamik auslösen und hat die Wahrscheinlichkeit, dass wir da in den kommenden Monaten Änderungen sehen, sicherlich deutlich erhöht.
EU-Bischöfe machen sich für Digitalsteuer stark
Radio Vatikan: Die EU-Bischöfe, also die Comece-Kommission, hat zuletzt gefordert, dass sich Krisengewinner wie Internetunternehmen stärker am Wiederaufbau nach der Corona-Krise beteiligen sollen und haben in diesem Kontext die sogenannte Digitalsteuer neu ins Gespräch gebracht. Inwiefern könnte eine solche Steuer denn tatsächlich zu Entwicklung, Infrastruktur, Arbeit in den Ländern beitragen, denen derzeit aufgrund mangelnder Abgaben Mittel verloren gehen?
Langenmayr: Erstmal muss man sagen, dass die Aufkommen aus der Unternehmensbesteuerung grundsätzlich nicht so hoch sind, also das ist jetzt nicht so die große Einkommensquelle, die jetzt unsere Staatsausgaben der nächsten Jahre finanzieren wird. Aber da geht’s eben viel auch um Gerechtigkeit, dass wir mit der Mindeststeuer für eine gerechte Verteilung der Steuerlast zwischen den Unternehmen sorgen können, dass eben nicht mehr große internetbasierte Unternehmen viel weniger Steuern zahlen als zum Beispiel der lokale Einzelhandel vor Ort.
Und da könnte die Mindeststeuer denke ich einen sehr wertvollen Beitrag leisten, auch noch einen besseren Beitrag als andere Digitalsteuern, die auch diskutiert wurden, wo es zum Beispiel um die Besteuerung von Umsätzen von Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft geht, die viel weniger zielgenau sind. Mit der Mindeststeuer würde man ja wirklich die Unternehmen treffen, die aktuell wenig Steuern zahlen, jetzt unabhängig von der exakten Branche, in der sie tätig sind, aber gleichzeitig auch die Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft, die vielleicht ganz fair Steuern zahlen, eben nicht zusätzlich belasten, wie das jetzt bei anderen Digitalsteuern, wo eben vielleicht Umsätze zusätzlich belastet würden, der Fall wäre.
Radio Vatikan: Danke für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Anne Preckel.
(vatican news - pr/sst)
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