Radio-Akademie: Beromsalem und das Verdrängte (3)
Er mache gerne Stadtführungen durch Jerusalem, erzählt er im dritten Teil unserer „Radio-Akademie“ – und weise dabei besonders gerne auf Dinge hin, die aus dem geschichtlichen Gedächtnis verdrängt würden. „Es fängt schon damit an, dass sich Jerusalem als einzige Stadt der Welt jünger macht, als es eigentlich ist.“ Dahinter stecke System: Interessierte jüdische Kreise wollten die Geschichte der Stadt nun mal mit König David beginnen lassen und nicht mit irgendwelchen Wettergottheiten der Bronzezeit.
„Genauso erleben wir umgekehrt, dass die Muslime einem am Felsendom erzählen: Hier war nie ein jüdischer Tempel! Dabei sieht sogar das ungeübte Auge die herodianischen Baustrukturen…“
Tischtennisplatte statt Marienkirche
Solchen Verdrängungen und Verdrehungen ist der Benediktiner überall in Jerusalem auf der Spur. An der Stelle, wo sich einmal die größte und wichtigste Marienkirche nach dem Konzil von Ephesus, stünden heute Tischtennis-Platten; in der Grabeskirche sei das Grab des Kreuzfahrers Gottfried von Bouillon hinter Sitzbänken versteckt.
„Jeder erinnert selektiv – je nachdem, zu welcher jüdischen, muslimischen oder christlichen Gruppierung er gehört, wird die eigene Geschichte sehr stark erzählt, oft mit starkem Selbstmitleid unterlegt... Da können sich alle die Hände reichen. Und man verdrängt gern die Leidensgeschichte der anderen.“
Er kenne keine andere Stadt der Welt, die so wie Jerusalem geschichtliche Fakten verdrängt, leugnet und Spuren verwischt. „Das finde ich hochinteressant. Darum ist Jerusalem für mich ein sehr provokativer Ort, der mich anfragt: Wie gehst du selbst denn um mit Traditionen und Erinnerung?“
Bestellen Sie unsere CD
Nikodemus Schnabel OSB ist Ostkirchenexperte und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft. 2018/19 arbeitete er als Berater im neugeschaffenen Referat „Religion und Außenpolitik“ im Berliner Auswärtigen Amt.
Wie üblich, können Sie die Radio-Akademie bei uns auch auf CD bekommen. Eine Mail an cd@radiovatikan.de genügt; gegen eine Spende bzw. einen Unkostenbeitrag schicken wir Ihnen die CD gerne zu.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.