Haiti: Sorge um schutzbedürftige Minderjährige
Christine Seuss und Elvira Ragosta - Vatikanstadt
Das Beben der Stärke 7,2 vom vergangenen 14. August hat nicht nur rund 2.200 Opfer und Tausende von Verletzten hinterlassen, Häuser, Brücken und Infrastrukturen zerstört und Schäden vor allem in den ländlichen Gebieten verursacht. Sondern auch zahlreiche Kinder – deren genaue Anzahl noch gar nicht bestimmt werden kann - zu Waisen gemacht. Und die Schäden wurden durch den Tropensturm Grace noch verschlimmert.
Die Kinderschutzorganisation spricht unter anderem von etwa 30 Prozent der 48 Familienhäuser im Süden des Landes, die unbewohnbar geworden sind, so dass 1.700 dort untergebrachte Kinder gezwungen sind, auf der Straße zu schlafen. Einige von ihnen konnten in Gastfamilien untergebracht werden.
„Wir haben wirklich schwierige Situationen vorgefunden: Eltern, die ihre Kinder verloren haben, und Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Man sieht sofort, dass die Kinder wirklich die verletzlichsten sind“, sagt gegenüber Radio Vatikan Michele Prosperi, Sprecher der international agierenden Kinderschutzorganisation Save the Children. Einigen der getroffenen Familienhäuser hilft die Organisation mit dringend benötigten Gütern, darunter Plastikplanen und Trinkwasser. „Für die allein gebliebenen Kinder besteht ein sehr großes Risiko, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden“, erklärt Prosperi weiter. „Deshalb müssen sie geschützt werden.“
In den betroffenen Gebieten sind die Familien gezwungen, im Freien zu leben, und der Sturm Grace hat es noch schwieriger gemacht, Unterkünfte für die Menschen zu schaffen. Unterdessen geht der internationale Einsatz dafür weiter, Trinkwasser, Nahrungsmittel, Medizin und weitere dringend benötigte Güter ins Land zu schaffen. Sorge besteht nicht nur um das nackte Überleben der Menschen, sondern auch davor, dass sich angesichts der schwierigen sanitären Lage Krankheiten ausbreiten können.
Erschwerter Zugang zu betroffenen Gebieten
„In Haiti haben wir wegen der schwierigen Situation nicht die üblichen Verteilstationen einrichten können“, berichtet der Sprecher von Save the Children weiter. „Denn die Gegend war sehr schwierig zu erreichen, Brücken sind eingestürzt und die Straßen waren nicht befahrbar, so dass wir eine kapillare Verteilung organisieren und die Dörfer erreichen mussten, um den Bedarf abschätzen zu können. Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ist sehr wichtig, denn man muss einer sehr großen Anzahl von Familien mit zahlreichen Kindern helfen.“
Doch nicht nur die internationale finanzielle Unterstützung sei wichtig, um den notleidenden Menschen zu helfen, sondern auch, humanitäre Netzwerke zu bilden, meint Save the Children mit Blick auf die Situation in Haiti: „Wir koordinieren uns mit den anderen Organisationen, die für den Kinderschutz tätig sind, um ein Netzwerk zu bilden, das die Möglichkeiten für die allein gebliebenen Kinder ausloten kann, bei ihren Verwandten oder in erweiterten Familien unterzukommen.“
Sorge vor illegalen Adoptionen
Denn die schutzlosen Kinder sind besonders gefährdet, wie auch die Erfahrung vergangener Notsituationen zeigt. Dazu gehören auch illegale Adoptionen, gibt Save the Children zu bedenken: „Nach dem Erdbeben 2010 sind Hunderte von Kindern durch westliche Organisationen illegal aus dem Land gebracht worden. Das darf nicht noch einmal passieren!“, so Perpetue Vendredi, Vizedirektorin von Save the Children in Haiti.
In Katastrophensituationen wie der, die die Karibikinsel gerade durchlebt, scheinen Adoptionen zwar das nahe liegendste und wirksamste Mittel, um unmittelbar zu helfen, doch das Kindeswohl gebiete es, dass die Kinder in ihren Gemeinschaften und Familienverbänden bleiben könnten, betont auch Prosperi: „Natürlich stellt die Adoption eine sehr wichtige Ressource dar, aber sie muss mit allen Garantien erfolgen, vor allem in der notwendigen Zeit, um sie transparent und sicher zu gestalten. In Haiti gibt es viele Kinder, die vielleicht mit nur einem Elternteil zurückgeblieben sind, der jedoch nicht die notwendigen Mittel aufbringen kann. Also, man muss so agieren, dass der Kontakt mit den Familien lebendig und ein Referenzpunkt für die Kinder bleiben kann, die alles verloren haben und sich in einer wirklich schwierigen Situation für ihre Zukunft befinden.“
Hilfe aus der EU
Unterdessen sind aus der Europäischen Union über die humanitäre Luftbrücke 125 Tonnen an lebenswichtigem Material in das Land unterwegs. Ein erster Flug ist bereits in der Hauptstadt Port-au-Prince angekommen, während eine weitere Ladung für die kommenden Tage erwartet wird. Unter den dringend benötigten Gütern sind Medikamente, medizinische Gerätschaften, Wasser, Hygieneartikel und Toiletten, neben weiterem Material, das von den europäischen Partnern zu Verfügung gestellt wird. „In diesem kritischen Moment“, so der EU-Kommissar für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, „unterstützt die EU weiterhin die Menschen in Haiti, die unter den Folgen der schrecklichen Katastrophe leiden, die das Land getroffen hat. Medizinische Unterstützung, Unterkunft und Zugang zu Wasser sind dringende Bedürfnisse, auf die geantwortet werden muss.“
(vatican news - cs)
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