Menschen in Port-au-Prince Menschen in Port-au-Prince 

Haiti: Banden und Politik, eine explosive Mischung

Allein in und um Port-au-Prince gibt es Dutzende von ihnen. In Haiti haben bewaffnete Banden in den letzten Jahren ihren Terror gegen die Bevölkerung verstärkt. Sie nutzen die Abwesenheit staatlicher Strukturen in weiten Teilen des Landes.

Dabei war das Unwesen der Banden lange Zeit auf die Armenviertel der Hauptstadt beschränkt. Doch das gilt jetzt nicht mehr: Morde, Entführungen, Erpressungen, Raubüberfälle gibt es inzwischen landesweit. Dabei scheinen viele Banden auch Beziehungen in die Elite des Landes hinein zu haben.

Mitte Oktober hat die „400 Mawozo“-Bande 17 nordamerikanische Staatsbürger entführt – und droht damit, sie hinzurichten. Frédéric Thomas ist Forscher am CETRI (Centre Tricontinental) in Louvain-La-Neuve, Belgien. „Es gibt eine lange Tradition bewaffneter Banden in Haiti“, sagt er im Interview mit Radio Vatikan.

Wieviele Banden es gibt? Schwer zu sagen

„Aber bis vor wenigen Jahren waren sie nur wenige, und nicht sehr aktiv. Die Lage hat sich in den letzten drei Jahren auch deshalb verschlechtert, weil die sozialen Proteste immer stärker geworden sind. Seit Juli 2018 nutzen politische oder wirtschaftliche Akteure diese Banden, um Druck auf die Menschen auszuüben, die protestieren.“

In einem Krankenhaus in der Hauptstadt
In einem Krankenhaus in der Hauptstadt

Welche Banden genau es gibt, lässt sich gar nicht so leicht sagen, erklärt der Forscher. „Die Rede ist von etwa hundert bewaffneten Banden, von denen drei Viertel in der Hauptstadt Port-au-Prince aktiv sind. Am bekanntesten sind die ‚400 Mawozo‘, die (am 16. Oktober) die amerikanischen und kanadischen Missionare entführt haben, wegen ihrer spektakulären Entführungsaktionen. Die zweite, bekannteste Bande ist die ‚G9‘, ein Zusammenschluss von neun bewaffneten Banden. Er wird von einem ehemaligen Polizisten angeführt, dessen Verbindungen zur Regierung bekannt sind.“

Die Waffen stammen teilweise aus den USA

Doch zu diesen großen Gruppen kommt noch ein Wildwuchs von kleineren Banden, über die wenig bekannt ist. Sie seien „schwer zu identifizieren“, sagt Thomas. Preisfrage: Wie kommen all diese kriminellen Zusammenschlüsse überhaupt an Waffen?

„Es geht um illegale Waffen, die in Haiti im Umlauf sind und hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten und der Dominikanischen Republik stammen. Was die Finanzierung der bewaffneten Banden angeht, so wissen wir, dass sie Verbindungen zur politischen Klasse und zu Geschäftsleuten haben. Die nutzen die Banden, um Gebiete zu kontrollieren und sich bei Wahlen Stimmen zu sichern. Die Haupteinnahmequelle war aber in den letzten Jahren das Entführen von Menschen.“

Auf dem Schwarzmarkt für Benzin
Auf dem Schwarzmarkt für Benzin

„Die Glaubwürdigkeit dieser politischen Klasse ist sehr gering“

Es war zu Zeiten des früheren Priesters, des Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, dass die politische Klasse zu Beginn des Jahrhunderts damit begann, sich auf bewaffnete Banden zu stützen. „Es ging darum, die Kontrolle über bestimmte Stadtviertel zu sichern, sich Stimmen zu sichern und eine Art Klientelwesen zu betreiben. Die Glaubwürdigkeit dieser politischen Klasse ist sehr gering, sie ist bei der Bevölkerung diskreditiert – das zeigt sich an der Wahlbeteiligung, die bei etwa 20 Prozent liegt.“

Zum Nachhören: Banden und Politik in Haiti, eine unheilvolle Mischung

Die Kräfte des Wandels unterstützen

Politiker und bewaffnete Banden – es ist eine unheilvolle Verstrickung. „Zumal die Straflosigkeit der Justiz weit verbreitet ist, nicht nur gegenüber den bewaffneten Banden, sondern auch gegenüber denjenigen, die für gezielte Attentate und Massaker verantwortlich sind. Es gibt keinen einzigen Rechtsfall in dieser Hinsicht, der in den letzten Jahren in Haiti zu einem Abschluss gebracht wurde.“

Lösungen für das Bandenproblem zeichnen sich nur wenige ab, so Thomas. „Wir müssten die diplomatische Linie ändern, den Kampf gegen die Korruption unterstützen und Frauenverbände, soziale Organisationen und die Kirchen, die diesen Drang nach Veränderung tragen, unterstützen. Denn ohne einen solchen Wandel sind wir dazu verdammt, eine politische Klasse zu unterstützen, die sich an den Problemen beteiligt, anstatt sie zu lösen!“

(vatican news – sk)
 

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28. Oktober 2021, 10:22