Caritas International: Immer mehr Klimaflüchtlinge
DOMRADIO.DE: Der Klimawandel führt zu Klima-Migration. Was bedeutet das und wie dramatisch kann das global werden?
Dr. Oliver Müller (Leiter von Caritas International in Deutschland): Es ist jetzt schon ein veritables Problem. Wie viele Menschen letztlich betroffen sein werden, das lässt sich momentan kaum sagen. Die Weltbank spricht davon, dass es bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlinge in den nächsten drei Jahrzehnten gibt. Andere Berechnungen gehen von einer noch viel höheren Zahl aus. Das ist schwer einzuschätzen.
Wir sehen allerdings jetzt schon, dass schon seit längerer Zeit Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie nicht mehr das anbauen können - wenn sie zum Beispiel Bauern sind -, was sie immer angebaut haben. Oder weil sich die Zahl der Naturkatastrophen so erhöht hat. Sie hat sich weltweit in den letzten zwei Jahrzehnten insgesamt verdoppelt. Das heißt, das Problem ist in vielen Teilen der Welt schon viel spürbarer als hier bei uns.
DOMRADIO.DE: Welche Kontinente oder Länder sind davon besonders betroffen?
Müller: Ich denke da vor allem an Afrika südlich der Sahara. Dort merkt man es schon sehr stark. Ich hatte selbst vor einiger Zeit die Möglichkeit, in Kenia Projektpartner zu besuchen. Dort gab es ein sehr fragiles Gleichgewicht zwischen nomadischen Viehhirten, die mit ihren Herden übers Land ziehen und den Bauern, die dort das Land bebauen.
Sie haben in friedlicher Koexistenz gelebt, aber durch den Klimawandel und durch seltenere Niederschläge ist dieses Gleichgewicht völlig zunichte gemacht worden. Das führt zu Konflikten zwischen diesen Gruppen.
Aber es führt auch dazu, dass die Viehhirten kaum mehr ihren Lebensstil so fortführen können. Das heißt, dass ihre Herden zu wenig Wasser haben und sie weite Strecken zurücklegen müssen. Das ist eine riesige Problematik für die Menschen dort.
DOMRADIO.DE: Gibt es schon irreparable Auswirkungen?
Müller: Man muss schon davon sprechen, dass es viele Auswirkungen gibt, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die treffen vor allem Menschen, die für diesen Klimawandel überhaupt nicht verantwortlich sind. Das ist ja genau das Problem.
Ich hatte die Möglichkeit, letztes Jahr Caritasverbände im Pazifik, in Ozeanien zu besuchen, in Fidschi zum Beispiel, wo mir die Projektpartner direkt vor Ort sagten, da, wo jetzt das Meer ist, verlief noch vor fünf Jahren die Straße und man sah, wie die Palmen quasi ins Meer gefallen sind, weil sich das Meer einen immer größeren Teil dieser Inseln holt.
Jetzt sind in Ozeanien die Menschen wirklich davon betroffen, aber es sind nicht so viele Menschen. Anders zum Beispiel in Bangladesch, ein Land mit über 160 Millionen Bewohnern. Große Teile von Bangladesch liegen auf ein bis fünf Meter über Meereshöhe. Da sieht man, dass sehr schnell Millionen betroffen sein werden, wenn es weiterhin zu Sturmfluten kommt und schon jetzt zum Beispiel zu einer Versalzung der Böden, weil das Meer immer weiter ins Land vorrückt und vordringt.
DOMRADIO.DE: Ein Flüchtlingsstatus mit der Begründung Klimawandel gibt es nicht, oder?
Müller: Genau, da sprechen Sie eines der Kernprobleme an. Es gibt keinen Status als Klimamigrant oder Klimaflüchtling. Das heißt, wer seine Heimat deshalb verlassen muss, kann sich aktuell nicht an den UNHCR, die Flüchtlingsbehörde der Vereinten Nationen, wenden und sagen, dass man deswegen Flüchtling ist. Das ist hoch umstritten, aber viele Staaten wehren sich dagegen.
Es ist auch schwer zu fassen, aber es gibt diese Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Sie haben bis jetzt praktisch keine Hilfe von Außen. Und deshalb fordern viele Organisationen, dass es mehr Hilfe für diese Menschen geben muss, die jetzt schon Betroffene sind.
DOMRADIO.DE: Einige Vertreter von Caritas International aus ihrem Netzwerk sind jetzt auch in Glasgow bei dem Klimagipfel vor Ort. Finden die Gehör?
Müller: Ich hoffe es. Die Caritas-Vertreter und die Vertreterinnen und Vertreter vieler anderer Hilfsaktionen und Klima-Aktionen vor Ort versuchen mit den Verantwortlichen und mit den Delegierten ins Gespräch zu kommen. Es ist zwar schwer überschaubar, ob man Einzelne da überzeugen kann, aber ich denke, es ist wichtig präsent zu sein.
Es gibt große Teile der Gesellschaft, die wollen, dass sich etwas verändert. Und die Politiker müssen jetzt handeln, nicht erst in ein paar Jahren. Allein dafür wird die Präsenz von Hilfsorganisationen wie der Caritas hoffentlich sorgen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.
(domradio - cs)
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