Amazonien: „Die Brutalität ist gewachsen“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„Zum einen war ja sehr stark das Anliegen, dass Kirche noch viel mehr ein - wie es heißt - amazonisches Antlitz gewinnen muss. Und das geht nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit indigenen Völkern, mit den afrikanisch-stämmigen Gemeinschaften, mit Gruppen auch der anderen Bevölkerung“, sagt Birgit Weiler. Dieser „Dialog des Lebens“ sei im Ansatz bereits geglückt, brauche aber auch noch mehr Sensibilität vonseiten der katholischen Kirche für die Indigenen, „dass wir auch begreifen, was sie noch als fremd empfinden oder wo sie das Gefühl haben, da ist eigentlich Kirche noch sehr distanziert, wie wir sie wahrnehmen, oder da fühlen wir als Christen, die wir Indigene sind, uns noch nicht ganz zu Hause im sogenannten Haus Gottes.“
Messritus für Amazonien
Als bedeutenden Schritt nennt Schwester Birgit Weiler, die in Lima Theologie lehrt, den geplanten neuen Messritus für Amazonien. Papst Franziskus hatte den diesbezüglichen Vorschlag aufgegriffen, den die Synode gemacht hatte. Dazu arbeite nun eine eigens eingesetzte Kommission zusammen mit Vertretern den indigenen Völkern und auch Repräsentanten der anderen Bevölkerungsgruppen. „Völlig klar ist, dass das von der Basis her geschehen muss“, erklärt die Ordensfrau. „Das sind dann Repräsentantinnen und Repräsentanten, die in den verschiedenen Ländern, die Anteile im Amazonasgebiet haben, mit Menschen unterwegs sind. Und das braucht Zeit. Denn auch unter den indigenen Völkern gibt es verschiedene Symbole, dasselbe gilt dann auch für afrikanisch-stämmige Gemeinschaften und andere Bevölkerungsgruppen. Wie können wir also Symbole finden, die dann auch in der Diversität der Kulturen sprechend sind?“
Am Reißbrett könne ein solcher Amazonien-Messritus sicherlich nicht entstehen, erklärt die Ordensfrau. Es brauche beständig eine Rückbindung an die Gemeinden, die irgendwann einmal in dieser Form die Heilige Messe feiern sollen, und es brauche Aufmerksamkeit für Gesten, Bilder und Symbole.
„Denn Symbole müssen sprechen, Gesten müssen sprechen, aus sich heraus. Das muss man den Gemeinden vorlegen und sehen, wie sie darauf reagieren. So kann man langsam dahin kommen, verschiedene Elemente zu finden, wo man sagen kann, ja, die sind stimmig und die sind stimmig für viele Menschen.“
Schwere Sorgen: Ausbeutung, Abholzung, Gewalt
Was Schwester Birgit Weiler immer mehr Sorgen macht, ist die Bedrohung der Lebensgrundlage vieler Menschen in Amazonien. Stichwort: Raubbau, Ausbeutung, Abholzung, ökologische und soziale Gewalt.
„Wir brauchen eine ganzheitliche Ökologie, wenn denn dieses Gebiet Zukunft haben soll. Dieses Thema ist so zentral, so brennend, weil leider - und das ist auch schockierend - die Abholzung nicht zurückgegangen ist, sondern in der Pandemie nochmal zugenommen hat.“
Der brasilianische Meteorologe und Klimaforscher Carlos Nobre, der ebenfalls an der Synode teilnahm, erstellt derzeit eine breite Gegenwartsanalyse der ökologischen Entwicklung Amazoniens. Einige Ergebnisse seien schon vorweggenommen worden und besagten, „dass wir wahrscheinlich, wenn es gut geht, nur noch 15 Jahre Zeit für Amazonien haben. Wir kommen ganz nah an Kippunkte heran. Da wird befürchtet, dass 50 bis 60 Prozent Amazoniens zu Savanne werden. Und das hat dann enorme Auswirkungen auf das Klima in Amazonien, in Lateinamerika, aber auch weltweit. Und ich glaube, das ist etwas, wo wir von der Amazonien-Synode her aufgerufen sind, noch stärker zu schauen: Wie kann internationale Solidarität wachsen bei dem, was hier auf dem Spiel steht?“
Widerstand gegen Zerstörung ruft Gewalt hervor
Sich für diese Menschen und ihre Lebensgrundlagen einzusetzen, sei eine Frage der Gerechtigkeit, so die Schwester.
„Im Fall von indigenen Völkern ist es nachgewiesen, dass manche seit mehr als 1000 Jahren dort leben. Mit welchem Recht werden dort Abbau-Projekte durchgeführt, die ihnen die Lebensgrundlage entziehen, weil sie Ökosysteme zerstören? Und dieses Ringen darum, dass im Grunde der Aktivismus so nicht weitergehen darf, führt auch dazu, dass immer mehr Widerstand, friedlicher Widerstand, von Dorfgemeinschaften, aber auch in einigen Fällen von Organisationen im Stadtbereich einem Wirtschaftssystem entgegengebracht wird, das ganz stark auf Raubbau aufgebaut ist. Aber das führt dann auch dazu, dass die die Gegenbewegung, um diesen Widerstand zu brechen, immer gewaltbereiter wird.“
Und Schwester Birgit Weiler kann da auch mit Zahlen aufwarten.
„Es ist erschreckend, dass im Jahr 2020 an jedem zweiten Tag ein indigener Leiter oder eine indigene Leiterin ermordet worden sind, wegen ihres Einsatzes für die gemeinschaftlichen Rechte der indigenen Völker auf ihr Territorium, auf Selbstverwaltung, auf Konsultation vor Großprojekten und auch in Verteidigung der Sorge um unser gemeinsames Lebenshaus. Wirtschaft muss lebensdienlich sein. Wirtschaft muss ganz anders und neu angedacht werden.“
Wenn Angehörige der katholischen Kirche einschließlich Ordensfrauen Partei ergreifen für die Schwächsten im Amazonasgebiet, dann tun sie das an ihrer Seite, betont die deutsche Schwester.
„Das würden auch die die indigenen Vertreterinnen und Leiter und Leiterin sagen: Wir sind in dem Sinne verwundbar, weil wir nicht dieselben Möglichkeiten haben, unsere Rechte zu verteilen. Und auf der anderen Seite: seid vorsichtig. Wenn ihr von uns als Arme sprecht, dann müsst ihr wissen, wir sind arm gemacht worden an Möglichkeiten, unsere Rechte effektiv zu verteidigen. Aber ihr müsst auch wissen, wir haben viele innere Ressourcen und wir haben die Fähigkeit uns zu organisieren. Und wir wollen einstehen für den Schutz des Regenwaldes und der Biodiversität, für ein gutes Leben nicht nur für wenige, sondern für alle. Also wir tun das nicht nur für uns und unsere Gemeinschaften, wir tun das auch für die Menschheit. Wir tun das für unser gemeinsames Lebenshaus.“
Klar ist auch, dass die Priester, Bischöfe, Ordensleute in dem Moment, wo sie Partei ergreifen, sich demselben Risiko aussetzen wie jene, deren Rechte sie schützen.
„Da, wo dieses gemeinsame Dafür-Einstehen stark ist, da wird auch die Bedrohung geteilt. Da stehen dann indigene Leiter und Leiterinnen oder auch von anderen Bevölkerungsgruppen, die diesem Raubbau-Modell Widerstand entgegenbringen, neben Menschen, die aus dem Glauben heraus handeln, und dazu zählen Priester, zählen Ordensmänner und Ordensfrauen, zählen Bischöfe, die mit dafür einstehen. Und ja, sie sind bedroht, weil sie von denen, die dieses System um jeden Preis weiterführen wollen, als Gegner betrachtet werden. Erst versucht man, sie durch Einschüchterung und Bedrohung zum Verstummen zu bringen. Und wenn das nicht genügend hilft, dann werden unter Umständen auch diese Menschen einfach aus dem Weg geräumt. Die Brutalität ist gewachsen.“
Wie eine solche Bedrohung aussieht, hat Birgit Weiler auch selbst erlebt.
„Ich habe es erfahren bei einem Projekt, wo wir auch die indigenen Völker auf ihre Bitte hin dabei unterstützt haben, eine Konsultation durchzuführen, wo es darum ging, wollen wir dieses Riesenprojekt hier? Was sagen die Dorfgemeinschaften dazu? Und das Ganze hat dann auch in Peru dazu geführt, dass zum allerersten Mal indigene Gemeinschaften beschlossen haben, ein Rechtsverfahren gegen den Staat zu beginnen, weil der peruanische Staat keine Konsultation durchgeführt hat, bevor er Konzessionen im großen Umfang für Projekte, Erdölabbau, Goldabbau vergeben hat. Da ist es uns passiert, dass wir verleumdet worden sind auf übelste Art und Weise. Das wird dann über die Presse gemacht.“
Handfeste Drohungen
Bei Ordensleuten, die oft aus anderen Ländern stammen, gebe es da noch eine besondere Drohung, die in solchen Fällen gerne ausgesprochen werde:
„Es ist ein beliebtes Druckmittel zu sagen: Noch einen Schritt weiter, und wir entziehen dir die Aufenthaltsgenehmigung und du musst das Land binnen kurzer Zeit verlassen. Mir bekannte befreundete Christinnen und Christen, darunter sind Ordensleute, aber auch Laien, die Familien haben direkte Drohungen bekommen, sei es über Handy, per WhatsApp, anonymer Anruf oder auch in schriftlicher Form. Und wenn das dann mehrere Male erfolgt, dann muss sehr gut überlegt werden, ist jetzt nicht ein Moment, wo es besser wäre, dass diese Person das Gebiet verlässt. Und da ist dann auch unsere Solidarität gefragt. Wo kann dann jemand auch für einige Zeit unterkommen, wo er oder sie geschützter ist, weil er ja häufig die, die dafür Verantwortung tragen, mafiöse Strukturen sind. Im Handel mit tropischen Hölzern gibt es inzwischen eine große Mafia und wer sich der Abholzung der Illegalen entgegenstellt, steht auf der schwarzen Liste und da werden Killer bezahlt. Und das Erschreckende ist, das haben wir jetzt bereits auch gesehen im Amazonasgebiet von Peru, das sind zum Teil junge Leute, die für Geld einen Mord verüben. Das geht auf Bezahlung.“
Viele Priester, Bischöfe und Ordensleute setzen sich Schwester Birgit Weiler zufolge diesem Risiko aus, auch heute.
(vatican news – gs)
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