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Metaversum: Fortschritt oder Horrorvision?

Mit einem Avatar an einem Arbeitstreffen teilnehmen. In Dubai einkaufen oder ein Konzert in Las Vegas besuchen, eine Kreuzfahrt auf dem Nil oder eine Safari in Kenia machen - und das alles mit einem „Virtual-Reality-Headset“, ohne das Zimmer zu verlassen.

Das sind die ehrgeizigen Versprechen des „Metaversums“, der technologischen Plattform der Zukunft. Vor ein paar Jahren war all das noch Science-Fiction, doch Facebook, Apple und andere arbeiten schon seit Jahren an diesem virtuellen Paralleluniversum, in dem die Grenzen von Raum, Zeit und Körperlichkeit aufgehoben werden sollen.

Natürlich wirft das Ganze eine Menge Fragen auf: anthropologische, philosophische, ethische. Aber unsere erste Frage an den engagierten französischen Lebensrechtler und Autor Tugdual Derville ist ganz platt: Was ist eigentlich genau gemeint mit dem Metaversum?

Von Augustinus zu Zuckerberg

„Es ist eine Art eigenes Universum“, erläutert er uns. „Es soll über die Realität unserer Körper und unserer Begegnungen hinausgehen und dank der Digitalisierung eine andere Lebensform ermöglichen, die sich ihre Befürworter als reich vorstellen: befreit von jeder Art von Konditionierung, die mit unseren Körpern, geografischen Entfernungen usw. verbunden ist. Es ist das Versprechen eines virtuellen Universums, und das wirft die Frage nach Fortschritt oder Rückschritt auf.“

Da wird uns also gewissermaßen ein „besseres Leben“ in Aussicht gestellt – und dass wir Dinge tun können, die im analogen, im wirklichen Leben nicht möglich sind. Genau das appelliert an ein tiefes inneres Bedürfnis des Menschen: Das hiesige Leben kann doch noch nicht alles sein, da muss es doch noch mehr geben… Theologisch gesehen ist das die Transzendenz des Menschen: die Sehnsucht, über sich hinauszugreifen. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir“, schrieb der hl. Augustinus in seinen „Bekenntnissen“.

Roboter
Roboter

„Das ist der immer wiederkehrende Mythos von Ikarus“

„Der Mensch - und das ist seine Würde und Ehre - hat immer das Bedürfnis, sich selbst zu übersteigen. Unsere Herzen sind ruhelos, solange wir diese Transzendenz nicht erreichen, und das ist das Besondere an unserem Menschsein. Wenn diese Transzendenz vergessen wird, wird man versuchen, Zuflucht zu anderen Formen des Strebens nach Überwindung zu nehmen – das ist der immer wiederkehrende Mythos von Ikarus. Wir haben also einerseits diesen schönen Trieb, diese dem Menschen eigene Unzufriedenheit, das Bedürfnis, über uns hinauszugehen – und gleichzeitig besteht die Gefahr des Absturzes, weil dieses unendliche Universum an Reichtümern, das uns versprochen wird, in Wirklichkeit eine Verkümmerung ist. In dem Moment, in dem der Mensch glaubt, sich von seinem Körper zu befreien, befreit er sich von dem, was die eigentliche Grundlage seiner Person ist, und er büßt stark an Beziehungsfähigkeit ein.“

Das Metaversum als Ikarus-Sturz des Menschen, der in seiner Hybris wieder mal zu weit geht – das ist die Mahnung Dervilles. Er misstraut den Sirenenklängen der Zuckerbergs dieser Welt, dass man sich doch von den physischen Zwängen, von seinem Körper befreien sollte. Wobei der Franzose nichts gegen Technik per se hat: „Man sollte die Dinge ausgewogen betrachten. Wir sprechen jetzt gerade mithilfe von technischen Hilfsmitteln miteinander; sie machen es mir möglich, meine Stimme aus dem Raum, in dem ich mich befinde, herauszutragen. Christus selbst nutzte auf dem See Genezareth den Hall, um zu Tausenden von Menschen zu sprechen. Es lebe also die Technik, und es lebe die menschliche Intelligenz!“

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg

„Wir brauchen Zärtlichkeit, körperliche Barmherzigkeit, wir müssen zum Körper zurückkehren“

Doch wenn wir uns vorstellen, durch die völlige Befreiung vom Körper Beziehungen von großem Reichtum aufzubauen, geraten wir auf die schiefe Bahn, sagt Derville. „Unsere Körper sind so schön und reich in ihren Wechselbeziehungen, dass wir unsere Beziehungen nicht digitalisieren können. Das würde sie verarmen lassen! Wir brauchen Zärtlichkeit, körperliche Barmherzigkeit, wir müssen zum Körper zurückkehren, wenn wir in der Menschlichkeit vorankommen wollen.“

Das klingt schon fast wie Papst Franziskus, der bei seiner Amtseinführung 2013 ausgerufen hat „Wir sollten keine Angst haben vor der Zärtlichkeit“, und der immer wieder eindringlich dazu aufruft, „das Fleisch der Bedürftigen zu berühren“. Natürlich ist das Metaversum in erster Linie ein wirtschaftliches Projekt, da sollte man sich nichts vormachen. Aber ideologisch steckt mehr dahinter.

Zum Nachhören: Ist das Metaversum ein Fortschritt oder eine Horrorvision? Ein Beitrag von Radio Vatikan

„Wir sind da nicht sehr weit vom Transhumanismus entfernt“

„Wir sind da nicht sehr weit vom Transhumanismus entfernt, also von der Idee, den Menschen aus seinen berühmten Grenzen - Körper, Zeit, Tod - zu befreien. Grenzen, die die Menschlichkeit bestimmen und die uns zu Sterblichen machen, die gut leben wollen, weil sie wissen, dass irgendwann der Tod kommt. Diese Verneinung von Grenzen ist ein äußerst riskanter prometheischer Impuls; da werden Wissenschaft und Technik vergöttert, indem sie nicht mehr als Mittel, sondern als Zweck betrachtet werden. In gewisser Weise ist das die Verachtung des Körpers.“

Und das ist nicht weniger als ein anthropologischer Bruch, findet Derville. „Vor dem diplomatischen Corps hat der Papst ja von einer ‚anthropologischen Krise‘ gesprochen, und sein Vorgänger (Benedikt XVI.) schrieb in seiner Enzyklika 'Caritas in veritate', dass die soziale Frage ‚radikal anthropologisch geworden‘ sei. Zur Frage ‚Was ist der Mensch‘ kann man sagen, dass es hier eine doppelte, paradoxe Dimension gibt: Er ist nur Staub - und gleichzeitig zu Größerem berufen… Die Kultur des Metaversums ist im Grunde sehr individualistisch; jeder macht sich seinen Traum, seine Welt selber, schafft sich seine Freundschaften künstlich in einer Welt, in der er sich nicht engagiert, in der er seinen Körper nicht einsetzt. Das entspricht nicht der Realität – es ist eine Illusion, um nicht zu sagen eine Ideologie.“

Hl. Augustinus
Hl. Augustinus

Kirchen bauen im Metaversum?

Nun gab es ja schon im „Second life“ – einer Vorstufe des Metaversums – katholische Kirchen und Seelsorge-Avatare. Stellt sich also die Frage, ob und wie der Glaube im Metaversum wohnen wird. Wird es vielleicht sogar irgendwann einmal eine Papstreise ins Metaversum geben?

„Man muss sagen, dass wir von all dem noch weit entfernt sind“, sagt der Franzose dazu. „Es ist noch nicht die Realität. Aber es stimmt, dass das Internet ein Ort ist, an dem man evangelisieren kann, an dem man das Evangelium entdecken kann, an dem man einen Dialog führen und sich ausdrücken kann… Es stimmt aber auch, dass ich mit meinem Körper bete; wenn wir beten, nehmen wir, jeder für sich, eine bestimmte Haltung ein, wir gebrauchen bestimmte Gesten dabei... Und so ist die Idee einer spirituellen Dimension, die körperlos ist, das Gegenteil von dem, was das Christentum anbietet: Das Christentum ist die Religion der Inkarnation.“

(vatican news – sk)
 

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31. Januar 2022, 11:37