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Straßenszene in Mogadischu, Ende Dezember Straßenszene in Mogadischu, Ende Dezember 

Somalia in der Krise

Dschihadisten, Flüchtlinge, Hunger: Somalia hat eigentlich schon genug Probleme. Doch zu alldem kommt jetzt eine immer stärkere politische Unsicherheit am Horn von Afrika.

Die neueste politische Krise hat mit Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed – genannt Farmajo – zu tun. Das Mandat des Staatschefs, auf den der Westen einmal große Hoffnungen gesetzt hatte, ist am 8. Februar eigentlich ausgelaufen, doch der Politiker hat dafür gesorgt, dass das Unterhaus seine Amtszeit um zwei Jahre verlängerte. Das setzte allerdings eine Spirale der Unsicherheit in Gang – bis hin zu Zusammenstößen zwischen gegnerischen Fraktionen der Armee, bei denen Ende April etwa zehn Menschen starben.

Tauziehen um Wahltermin

Farmajo lenkte ein und beauftragte seinen Premierminister Mohamed Hussein Roble, Präsidentenwahlen vorzubereiten. Die wurden allerdings immer wieder verschoben, zuletzt im Oktober. Und jetzt hat der Präsident seinen Premier entlassen, angeblich wegen Korruption. Die Opposition tobt und wittert einen Putschversuch, Militär marschiert auf, USA und EU sprechen mahnende Worte. Chaostage in Mogadischu.

Ministerpräsident Roble
Ministerpräsident Roble

„Die Lage, in der sich das ganze Horn von Afrika befindet, ist eine einzige große Krise“, erklärt uns der italienische Afrika-Experte Giuseppe Cavallini, Direktor der Zeitschrift Nigrizia, die von den Comboni-Missionaren („Weiße Väter“) herausgegeben wird. Er verweist auf den Bürgerkrieg in Äthiopien und das Zurücksinken des Sudan in die Militärdiktatur. In diesen Reigen reihe sich auch Somalia ein.

„Es besteht absolut keine Hoffnung, dass die Dinge sich leicht lösen ließen“

„Es besteht absolut keine Hoffnung, dass die Dinge sich leicht lösen ließen. Eher gehen wir gerade einer neuen Phase der Gewalt entgegen. Man kann nur hoffen, dass der schwere Streit zwischen dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten nicht dazu führt, dass das Militär wieder das Heft in die Hand nimmt, denn das scheint leider mittlerweile der Trend zu sein. Man spricht mit Blick auf fast ganz Afrika immer öfter von einer Rückkehr des Militärs.“

Militär in Siigale
Militär in Siigale

Comeback der Militärs in Afrika

Dabei war das Militär nie richtig weg – jedenfalls nicht in Somalia. Farmajo ist immerhin einer der wenigen Staatschefs, die nicht aus der Armee kommen; er hat in den USA studiert und gearbeitet. Zu einem lupenreinen Demokraten hat ihn das aber nicht gemacht.
„Ich glaube wirklich, dass Premierminister Roble recht hat. Dass Farmajo versucht hat, die Wahlen auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben, um an der Macht zu bleiben. Das Spiel des Präsidenten besteht darin, sich sozusagen die Regionen zu kaufen, um wiedergewählt zu werden, und sich andererseits um Millionenhilfen aus dem Ausland zu bemühen, die offenbar nicht in den richtigen Händen – sprich: die in seiner Hand gelandet sind. Roble hat also gute Gründe, den Präsidenten zu kritisieren.“

Nach einem Shabaab-Attentat in Lamu (Kenia), 3. Januar
Nach einem Shabaab-Attentat in Lamu (Kenia), 3. Januar

Shabaab-Terroristen schlagen immer wieder zu

Mitten in dieser schwierigen Situation kommt es immer wieder zu Angriffen der Shabaab: Das sind Dschihadisten, die mit al-Qaida in Verbindung stehen. 2011 sind sie von Truppen der Afrikanischen Union aus Mogadischu vertrieben worden, kontrollieren aber noch immer weite ländliche Gebiete und verüben regelmäßig Anschläge in der Hauptstadt. Die schwere politische Krise spielt ihnen in die Hände. Zuletzt kam es vor einigen Tagen in der kenianischen Küstenregion Lamu, an der Grenze zu Somalia, zu einem Anschlag, bei dem sechs Menschen getötet wurden.

Somalia in der Krise - ein Beitrag von Radio Vatikan

„Pandemie, Hunger, Heuschrecken...“

„Die große Hoffnung vieler war, dass man in Somalia nach so viel Leid von den Anfängen einer demokratischen Gesellschaft sprechen könnte, aber leider zeigen die Fakten das Gegenteil. Die Situation verschlechtert sich, und all dies steht auch im Zusammenhang mit der Gewalt der Shabaab. Hinzu kommen die Pandemie, gegen die überhaupt nichts unternommen wurde, außerdem eine Dürre im Süden, die immer katastrophalere Ausmaße annimmt und Hunderttausende von Kindern mit dem Hungertod bedroht, und – das ganze letzte Jahr hindurch – die Invasion von Heuschrecken, die zu einer Katastrophe führt. Und dann sind da noch zweieinhalb Millionen Binnenflüchtlinge und die rund eine Million Flüchtlinge in den Nachbarländern Äthiopien, Eritrea und Kenia.“

In Mogadischu
In Mogadischu

„Das sieht mir überhaupt nicht nach Wiederaufbau aus“

Nein, Cavallini ist wirklich nicht optimistisch, was die Zukunft Somalias betrifft. „Das sieht mir überhaupt nicht nach Wiederaufbau des Landes oder Übergang zur Demokratie aus. Alles hängt von diesen zwei Personen ab – davon, ob sie es schaffen, sich zu einigen, damit es zu Wahlen kommt. Es sind in dieser Richtung schon einige Bemühungen im Gang… ansonsten wird sich die Lage einfach weiter verschlimmern.“

Millionen von Flüchtlingen

Millionen von Menschen flüchten aus Somalia, um dem Hunger, der Armut und der Gewalt zu entkommen. Eines der Lager, in denen geflohene Somalier untergebracht sind, ist Dadaab in Kenia an der Grenze zu Somalia. Es gilt als die größte Flüchtlingssiedlung der Welt und wurde 1991 eröffnet, um den Strom der vor dem Bürgerkrieg fliehenden Somalier aufzunehmen. Heute gibt es drei Lager, die für etwa 218.000 Menschen angelegt sind; doch in den letzten Jahren ist die Zahl auf 330.000 gestiegen.

Dadaab: Eine Luftaufnahme vom Mai 2015
Dadaab: Eine Luftaufnahme vom Mai 2015

Hängenbleiben in Dadaab

Es sind ja nicht nur die politischen Wirren, vor denen die Somalier flüchten, erklärt uns Luciano Centonze von der NGO „Cefa“, die im Lager Dadaab arbeitet. „Auch wegen Umweltkrisen kommt es zu Bevölkerungsbewegungen –Binnenflüchtlinge, die in andere Gebiete des Landes ausweichen. Das führt dann womöglich zu Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln in Gebieten im Norden wie Puntland und Somaliland. Die Somalier, die ins Ausland flüchten, gehen vor allem über die Grenze hinüber nach Kenia, und viele versuchen dann, durch die Sahelwüste weiter nach Europa zu kommen.“

Binnenflüchtlinge im somalischen Hargeisa
Binnenflüchtlinge im somalischen Hargeisa

Nicht wenige aber bleiben in einem Lager wie Dadaab hängen – wo es noch nicht einmal für alle genug zu essen gibt. „Das größte Problem ist sicher die Nahrungs-Unsicherheit; es gibt viele Fälle von Mangel- und von Unterernährung, da der zunehmende Klimawandel und Dürren den Zugang zu Nahrungsmitteln bedrohen. Die allgemeinen sanitären Bedingungen sind nicht die besten, so dass von Zeit zu Zeit Cholera-Epidemien ausbrechen. Und dazu kommt natürlich die Covid-Pandemie, von der in Wirklichkeit noch nicht klar ist, welche Auswirkungen sie in dieser Region wirklich hat, da es kaum Kapazitäten gibt, um zu testen, ob jemand angesteckt ist.“

Und von Zeit zu Zeit eine Cholera-Epidemie

Schon mehrmals haben die kenianischen Behörden angekündigt, Dadaab zu schließen, doch das Lager gibt es immer noch. Die Zustände sind unhaltbar, doch die Weltöffentlichkeit nimmt kaum davon Notiz – von Dadaab nicht, und von der verzweifelten Lage in Somalia auch nicht.

(vatican news – sk)
 

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07. Januar 2022, 12:00