Angriff auf die Ukraine: „Es ist Krieg“
„Der Lärm von Explosionen hat die Ukraine an diesem Morgen geweckt“, berichtete der Priester Taras Zheplinskyi von der Kommunikationsabteilung der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine im Interview mit Radio Vatikan: „Später lasen wir die Nachricht: Putin greift die Ukraine an. Das erste, was wir dann heute morgen taten: Wir sind auf die Knie gegangen und haben Gott darum gebeten, dass er die Ukraine vor diesem Krieg bewahrt. Was in der Ukraine geschieht, ist ein Angriff auf die Werte der Demokratie und der Menschenwürde. Wir bitten alle, für die Ukraine zu beten, wie es auch der Papst getan hat“, appellierte der Kirchenvertreter aus Kiew.
„Wir hörten die Bomben hier in der Nähe des Priesterseminars einschlagen, wo sich eine Militärkaserne befindet“, berichtete Pater Roman Ostrovskyy, stellvertretender Rektor des griechisch-katholischen Priesterseminars in Kiew, gegenüber Radio Vatikan. „Acht Jahre lang hat die Ukraine diese Spannungen erlebt, die dann explodierten. Wir gleiten in den Abgrund der Gewalt, aber Gerechtigkeit und Frieden müssen siegen, anders können wir nicht leben.“
Kirche bleibt an Seite der Bevölkerung
Der griechisch-katholische Erzbischof von Kiew, Swjatoslaw Schewtschuk, betonte in einem am Donnerstagmorgen veröffentlichten Schreiben, dass die Kirche an Seite der Bevölkerung bleiben werde und dass alle Kirchen offenbleiben würden. Der Großerzbischof der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche rief zugleich zur Verteidigung der Ukraine auf. Gemeinsam müsse man „für einen freien, geeinten und unabhängigen ukrainischen Staat“ eintreten. Es sei das Recht und die Pflicht der Ukraine, „unser Land und unser Volk, unseren Staat und all das zu verteidigen, was uns am Herzen liegt: Familie, Sprache und Kultur, Geschichte und die spirituelle Welt!“
Schewtschuk, der in dieser Woche zu einem Gipfeltreffen zur Förderung des Friedensdialogs im Mittelmeerraum erwartet wurde, sagte die Reise angesichts der aktuellen Lage ab. „Die aktuelle Situation erfordert meine Anwesenheit im Land und ich fühle mich verpflichtet, bei meinem Volk zu sein, wachsam und im Gebet für den Frieden“, schrieb er in einem Brief an Teilnehmer des Treffens der Bischöfe und Bürgermeister des Mittelmeerraums.
Angriffe im ganzen Land
In Kiew und Charkiw im Zentrum des Landes hatte Russland mit Raketen militärische Infrastrukturen angegriffen. Auch aus anderen Landesteilen wurde über Angriffe berichtet. „Es ist Krieg. Wir hören Nachrichten über Bombardierungen zahlreicher Dörfer und sogar großer Städte“, sagte Pater Radko Vaolodymyr von der ukrainisch-katholischen Kirche in Lemberg. Radio Vatikan erreichte den Kirchenmann am Donnerstagmorgen in der westukrainischen Stadt, die etwa 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt liegt.
„Ich kann bezeugen, dass in Lemberg einige Minuten lang Sirenen zu hören waren." Angesichts der Spannungen und Ungewissheit warteten die Menschen zunächst ab oder versuchten sich in Sicherheit zu bringen, so Vaolodymyr, die Kirche rufe zum Gebet: „Unser Patriarch hat uns heute Morgen alle zum Gebet aufgerufen. Wir sollten nicht in Panik verfallen. Die Aktivierung der Sirenen bedeutet, dass wir vorsichtig sein und uns verstecken müssen. Um Mitternacht ukrainischer Zeit wurde der Ausnahmezustand verhängt, und heute Morgen hat der Präsident den Kriegszustand ausgerufen. Wir brauchen das Gebet, das uns hilft, nicht in Panik zu verfallen und ruhig zu bleiben, in der Hoffnung, dass wir dieses Übel überwinden können.“
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte die Militäroperation in der Nacht zum Donnerstag befohlen. Zahlreiche ukrainische Orte wurden von Russland, Belarus und der Krim aus angegriffen. Nachdem Dutzende Städte zugleich unter Beschuss kamen und inzwischen auch Bodentruppen vorrücken, bestätigen sich Befürchtungen einer Ausweitung des Krieges.
Menschen auf der Flucht
Der katholische Bischof von Odessa-Simferopol im Süden der Ukraine, Stanislaw Szyrokoradiuk, berichtete im Telefonat mit Kathpress, dass viele Menschen aus Angst vor weiteren Angriffen auch auf zivile Ziele derzeit die Städte verlassen würden. „Niemand weiß, wann der nächste Angriff folgt“, so der dem Franziskanerorden angehörige Diözesanbischof. Auch in Odessa habe es in den frühen Morgenstunden Angriffe auf das nahe der Stadt befindliche Militärlager gegeben, während das innere Stadtgebiet bislang nicht betroffen war, sagte Szyrokoradiuk am Donnerstagmorgen. Medien hatten über Artillerieangriffe in der gesamten ukrainischen Grenzregion und über Landungsoperationen der Schwarzmeerflotte im Asowschen Meer und in Odessa berichtet.
Er selbst habe die Morgenmesse gefeiert, zu der viele Gläubige gekommen seien, so Bischof Stanislaw Szyrokoradiuk weiter. Die Kirche sehe es als ihre Aufgabe, vor Ort bei den Menschen zu sein. „Alle Priester sind geblieben“, betonte der Bischof. Die Seelsorge sei wichtig angesichts der Bedrohung, in der es momentan völlig ungewiss sei, wie Frieden noch möglich werden könne. Szyrokoradiuk: „Uns bleibt nur noch das Gebet um Frieden, und wir bitten auch die Menschen auf der ganzen Welt darum. Denn der Friede ist die Hauptsache und bleibt trotz allem unsere Hoffnung.“
„Wiederholung der Sünde Kains"
Die eigenständige orthodoxe Kirche der Ukraine verurteilte die russische Militärintervention in dem Land scharf. Ihr Oberhaupt Metropolit Epiphanius sprach am Donnerstag von einem „zynischen Angriff Russlands und Belarus' auf die Ukraine“. Er rief die internationale Gemeinschaft und die religiösen Führer der Welt auf, die Ukraine zu unterstützen und die Aggression abzuwenden.
Zum orthodoxen Christentum bekennen sich rund 60 Prozent der mehr als 41 Millionen Ukrainer. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ende 2018 gegründeten eigenständigen (autokephalen) „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ und zweitens der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, die sich auf Patriarch Kyrill I. bezieht.
Auch diese russlandfreundliche ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats forderte von Kreml-Chef Wladimir Putin einen sofortigen Stopp des „Bruderkrieges“ in der Ukraine. „Das ukrainische und das russische Volk sind aus dem Taufbecken des Dnjepr hervorgegangen, und der Krieg zwischen diesen Völkern ist eine Wiederholung der Sünde Kains, der seinen eigenen Bruder aus Neid erschlug“, erklärte das Kirchenoberhaupt Metropolit Onufri am Donnerstag in Kiew. Für einen solchen Krieg gebe es keine Entschuldigung, weder vor Gott noch vor den Menschen, fügte er hinzu.
Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine ist eine Teilkirche der römisch-katholischen Kirche. Sie untersteht deren Jurisdiktion, folgt aber in der Liturgie dem byzantinischen Ritus. Zu ihr bekennen sich nach Angaben des Vatikan weltweit rund 4,5 Millionen Christen. Damit ist sie die größte unter den mit Rom unierten Ostkirchen. In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine ist etwa jeder zehnte Einwohner griechisch-katholisch.
(vatican news/kap/sir – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.