Ökumene im Krieg: Überlegungen aus Lemberg
Auch Metropolit Epiphanij, das Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die dem Moskauer Patriarchat angehört, hat von Anfang an die russische Offensive verurteilt und sich damit der Linie von Patriarch Kyrill widersetzt. Und auch der Dachverband ukrainischer Kirchen und Religionsgemeinschaften, dem ebenso Vertreter der jüdischen und muslimischen Gemeinschaften gehören, lassen bei ihrer Verurteilung des russischen Angriffskriegs an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Kirchen so einig wie nie
„Wir erleben seit Beginn des Krieges einen Zusammenhalt und eine Einheit zwischen den Kirchen, wie es sie in der Geschichte der Ukraine noch nie gegeben hat.“ Das erklärt uns Pavlo Smytsnyuk. Der junge Theologe leitet das Ökumenische Institut in Lemberg im Westen der Ukraine.
„So einen Zusammenhalt haben wir in der Geschichte der Ukraine noch nie gesehen, nicht einmal während der Maidan-Revolution 2014! Damals waren sich die Kirchen nicht einig, wie diese Ereignisse zu interpretieren seien. Aber jetzt hat die russische Invasion alles verändert. Bischöfe der katholischen Kirche, der beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine, die Protestanten – alle haben den Krieg verurteilt und zum Frieden aufgerufen. Und sie haben auch eng zusammengearbeitet, um den Flüchtlingen und den Leidenden zu helfen.“
Smytsnyuk blickt besonders aufmerksam auf die orthodoxen Christen in der Ukraine – die, welche 2019 eine eigenständige Kirche begründet haben, und jene, die weiter dem Moskauer Patriarchat anhangen. „Die Stellungnahme der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die Teil des Moskauer Patriarchats ist, ist für sie auch ein Moment der noch größeren Herausforderung als für andere. Metropolit Epiphanij von Kiew hat das Bild von zwei Brüdern verwendet: Ein Bruder greift den anderen an. Weil sie sich als Brüder der Russen fühlen, mehr als die anderen Kirchen in der Ukraine.“
Praktische Ökumene
Doch ganz gleich, wie nah oder fern sie emotional den Russen stehen: Die Kirchen in der Ukraine arbeiten unter dem Druck der Offensive aus dem Nachbarland zusammen.
„Es gibt viel humanitäre Hilfe für die Opfer des Krieges und für Flüchtlinge. Hier gibt es eine praktische Ökumene - zunächst innerhalb der Ukraine, wo die verschiedenen Kirchen helfen, wo sie nur können, ohne auf die religiöse Identität zu achten. Dazu kommt aber auch viel ökumenische Solidarität aus dem Ausland. In vielen europäischen Ländern mobilisieren sich ökumenische Verbände, um der Ukraine zu helfen: Protestanten, Orthodoxe und Katholiken. Die katholische Kirche hilft mit der Caritas allen – den Katholiken, den Orthodoxen, den Atheisten.“
Flüchtlinge sind überwiegend Orthodoxe
Die meisten Flüchtlinge kommen nach den Angaben von Pavlo Smytsnyuk aus dem Südosten der Ukraine; es sind überwiegend Orthodoxe, die jetzt in griechisch-katholischen Städten im Westen aufgenommen werden. „Also sehen wir diese Zusammenarbeit, diese ‚Ökumene des Blutes‘, wie man sagt...“
Bleibt die Frage, wie sich unter den neuen Vorzeichen die Beziehungen zwischen den verschiedenen orthodoxen Kirchen in der Ukraine weiter entwickeln werden. Der Lemberger Theologe klingt da ganz optimistisch.
Kommt die Vereinigung der beiden orthodoxen Kirchen
„Eine Möglichkeit wäre die Vereinigung der beiden orthodoxen Kirchen. Das wäre die logischste Sache. Gleichzeitig haben wir in den letzten Jahren starke Spannungen zwischen den beiden Kirchen gesehen. Was also sehr wichtig ist, ist, dass die ukrainisch-orthodoxe Kirche in Union mit dem Moskauer Patriarchat sich nicht von den anderen Orthodoxen angegriffen fühlt. Eine weitere sehr wichtige Sache ist, wie dieser Krieg enden wird und wie lange dieser Krieg dauern wird. Wenn Wladimir Putin gewinnen sollte, würden sich die ukrainischen Orthodoxen meiner Meinung nach in einer sehr komplizierten Situation befinden. Wenn es der Ukraine gelingt, ihre Unabhängigkeit zu bewahren, werden die orthodoxen Gläubigen miteinander reden und sehen, welche Lösung am besten geeignet ist.“
Viele Orthodoxe gehen auf Distanz zu Moskau
Innerhalb der orthodoxen Weltkirche hat der Krieg längst zu starken Spannungen geführt, vor allem angesichts der Haltung des Moskauer Patriarchats. Außerhalb Russlands gehen immer mehr Orthodoxe, die dem Moskauer Patriarchat angehören, auf Distanz. Viele orthodoxe Theologen haben sich auch vehement von der von Wladimir Putin geförderten Vision einer ‚russischen Welt‘ distanziert, in der Moskau das politische Zentrum und Kiew die spirituelle Heimat sein soll.
„Natürlich erschweren die Spannungen unter den Orthodoxen selbst die ökumenischen Beziehungen, weil die Orthodoxen nicht mehr in der Lage sind, gegenüber Protestanten und Katholiken mit einer Stimme zu sprechen. Ich hoffe, dass die Emotionen und Leidenschaften des Krieges die Christen in der Ukraine nicht daran hindern werden, Christen zu bleiben. Das heißt, zu lieben und einander zu respektieren.“
(vatican news – sk/material: olivier bonnel)
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