Wiederwahl Macrons: Kirche ruft zu einem „kollektiven Projekt“ auf
Mario Galgano und Jean-Charles Putzolu - Vatikanstadt
Eine deutliche Mehrheit der Franzosen stimmte am Sonntag für Emmanuel Macron und bestätigte damit den amtierenden Präsidenten erneut an der Spitze des Landes. Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen erhielt über 41 Prozent der Stimmen. Ihre Partei „Rassemblement National“ hatte bei den Präsidentschaftswahlen noch nie ein so hohes Ergebnis erzielt. Die nächsten Wahlen finden am 11. und 19. Juni statt, wenn die Parlamentswahlen anstehen.
Während des gesamten Wahlkampfs für die Präsidentschaftswahlen hatten die französischen Bischöfe die Bürger der „Grande Nation“ dazu aufgerufen, ihre Stimme nach ihrem Gewissen „im Licht des Evangeliums und der Soziallehre der Kirche“ abzugeben. Dieser Aufruf bezog weder für den einen noch für den anderen Kandidaten Stellung. Die Bischöfe zogen es vor, einen vorsichtigen Diskurs zu führen. Bischof Éric de Moulins-Beaufort gab gegenüber Radio Vatikan seine Analyse und ging auf die wichtigsten Herausforderungen ein, die auf den wiedergewählten Präsidenten warten:
„Die Franzosen haben zweifellos eine Wahl der Vernunft getroffen. Dies zeigt sich in den Übertragungen der Stimmen, die stattgefunden haben. Eine Mehrheit der Franzosen wollte sich nicht auf das Abenteuer einlassen, das die Wahl von Frau Le Pen bedeutet hätte, und hat zweifellos eine Reihe von Maßnahmen abgelehnt, die sie vorgesehen hatte. Nun ist diese Wahl die Realität, mit der wir uns abfinden müssen. Sie zeigt aber auch immer mehr eine Art Bruch in Frankreich, der geografisch bedingt ist, aber vielleicht auch zwischen einer Elite und dem Volk, also zwischen denen da oben und denen da unten. Und das ist beunruhigend, was die Zukunft unseres Landes angeht.“
Eine der größten Herausforderungen des neuen Mandates für Macron werde die Bekämpfung der Armut sein: In Frankreich gibt es 9,3 Millionen arme Menschen. Dazu Bischof de Moulins-Beaufort:
„Mir scheint, dass wir heute die Grenzen des Entwicklungsmodells erkennen und sehen, das uns seit dem Zweiten Weltkrieg begleitet hat. Das zeigt sich an der Verteilung des Wohlstands, aber auch an der ökologischen Krise, an der sozialen Krise und an den Brüchen in unserem Land. Und ganz offensichtlich berühren wir die Bedingungen eines bisher als selbstverständlich gegoltenen Systems, aber es fällt uns schwer, uns ein anderes vorzustellen.“
Es gab auch Kritik an Macron
Wer nun glaube, dass die Kirche sich kritiklos auf die Seite Macrons geschlagen habe, irre. Die Haltung von Emmanuel Macron zu bioethischen Themen - Leihmutterschaft, Lebensende - führte zu Unbehagen in der katholischen Kirche.
„Mir scheint, dass es die Krux und gleichzeitig der Ruhm der Kirche in der kommenden Zeit sein wird, die Haltung laut und deutlich zu vertreten, dass das menschliche Leben schön, stark und lebenswert ist und dass sogar das Leiden dazu gehört. In einer hypertechnischen Welt wie der unsrigen ist die Versuchung groß, alle Schwierigkeiten und Prüfungen des Lebens mit technischen Mitteln zu lösen. Hinzu kommt eine Art mehr oder weniger bewusster Vermischung mit Wirtschaft. Es gibt einen Markt für das Lebensende, genauso wie es einen Markt für die assistierte Reproduktion oder die Leihmutterschaft gibt. Und wir Katholiken stellen uns dagegen, es ist unsere Aufgabe, die tiefe Bedeutung des Zeugungsaktes und die tiefe Bedeutung des menschlichen Lebens zu verteidigen, das bis zum Ende in Vertrauen und Hingabe gelebt wird und in dem wir uns gegenseitig zu helfen haben. Hier gibt es sicherlich noch Verbesserungsbedarf.“
Es wäre interessant, sich genauer anzusehen, was als Katholiken in Frankreich heute bezeichnet werde, so Bischof Beaufort. Man wisse nie, wer auf die Frage „Ich bin Katholik und wähle Person X“ antworte und wie dieser konkret wähle.
„Es wäre also viel mehr Vorsicht bei dieser Frage erforderlich. Aber man kann sagen, dass Katholiken am Leben der gesamten Nation und an der Entwicklung der gesamten Nation teilnehmen und man müsste auch auf die Seite der anderen Religionen schauen, man spricht immer von der Stimmabgabe der Katholiken. Es wäre auch interessant, sich die Stimmabgabe der anderen Religionen und der Menschen ohne Religion anzusehen und zu versuchen, das genauer zu analysieren. Aber der Bruch zwischen den beiden Seiten Frankreichs, der laizistischen und der religiösen Seite, ist bemerkenswert. Und was vor allem spürbar ist, ist das Bedürfnis nach einem Konzept für ein kollektives Projekt und die Schwierigkeit, ein solches kollektives Projekt zu finden, dem es typischerweise gelingt, wirklich über soziale Klassen, Religionszugehörigkeiten usw. hinweg alle zu vereinen. Und das ist der Punkt, an dem die Politik heute an ihre Grenzen stößt.“
Und daran wolle die französische Bischofskonferenz arbeiten, so der Wunsch des Vorsitzenden der Bischofsversammlung.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.