Türkei: Armenischer Patriarch teilt Erdogan Unbehagen mit
Der Brief bezieht sich auf neue Wahlregeln für Leitungsgremien nicht-muslimischer Stiftungen. Im Juni waren neue Vorgaben zur Wahl der Vorstände kirchlicher Stiftungen veröffentlicht worden, die es Religionsgemeindestiftungen erlauben, ihren eigenen Vorstand zu wählen. Damit sollte eine seit Jahren bestehende Rechtsunsicherheit beendet werden.
Der Unmut der armenischen Gemeinschaft bezieht sich nun offenbar nicht grundsätzlich auf die neue Satzung als vielmehr auf deren Machart: So spricht Patriarch Sahak II. Masalyan laut Medienberichten von wachsender Unsicherheit unter armenischen Gemeinschaften hinsichtlich der Anwendung des Regelwerks. Der Kirchenvertreter, dessen Schreiben unter anderem von der zweisprachigen türkisch-armenischen Zeitung Agos zitiert wird, bittet den türkischen Präsidenten um „klare Richtlinien“, die keinen Spielraum für Manipulationen lassen, was die Vorlage der Wahllisten auf regionaler Basis gemäß den genehmigten Vorschriften betrifft. Sahak II. Masalyan spricht auch von der Gefahr, dass die Wahlen von Leitungs- und Verwaltungskräften für die Stiftungen aufgrund dieser Mängel sogar boykottiert werden könnten.
Der fides-Dienst wertet den Brief von Sahak II. an Erdogan als ungewöhnlich, weil er einen neuen Tonfall habe. Der Patriarch habe gegenüber dem Präsidenten und den türkischen Behörden stets einen diplomatischen, ja herzlichen Ton angeschlagen und sich zufrieden mit der Religionspolitik der AKP-Partei hinsichtlich der Minderheiten geäußert.
Hintergrund
2013 waren die staatlichen Vorgaben zur Wahl der Vorstände der Religionsgemeindestiftungen aufgehoben worden. Da in der Folge keine Neuregelung veröffentlicht wurde, gab es seither auch keine Wahlen mehr. Kirchenbesitz wurde oftmals allein von administrativem Personal verwaltet. Die im Juni 2022 veröffentlichten Wahlregeln sollten Abhilfe schaffen, müssen aber offenbar noch nachgebessert werden.
Das System der „Stiftungen" ist das rechtliche Instrument, mit dem die türkische Regierung de facto ihre institutionellen Beziehungen zu nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften regeln. Kirchen, Klöster, Schulen, Krankenhäuser und Seniorenheime sind somit samt ihren sonstigen Immobilien in der Türkei nach dem Vorbild des islamischen Stiftungswesens organisiert. Derzeit gibt es 167 von nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften registrierte Stiftungen, die mit den griechisch-orthodoxen, armenischen, jüdischen, syrischen, chaldäischen, bulgarischen, georgischen und maronitischen Gemeinschaften in der Türkei verbunden sind.
(fides/vatican news – pr)
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