Jesuitenpater Mpay Kemboly Jesuitenpater Mpay Kemboly 

Was können Christen von traditionellen Religionen lernen?

Als Papst Franziskus letzte Woche in Kasachstan war, traf er auf dem Religionsgipfel in Nur-Sultan nicht nur Vertreter der großen Weltreligionen, sondern auch der traditionellen Religionen. Wo steht eigentlich der Dialog zwischen Christentum und traditionellen Religionen?

Stefan von Kempis und Christian Kombe, SJ - Vatikanstadt

Das fragten wir den Jesuitenpater Mpay Kemboly; er ist Ägyptologe und Universitätsprofessor im Kongo. Pater Mpay spricht von einem lebendigen und jahrhundertealten Dialog zwischen Christen und traditionellen afrikanischen Religionen; dieser Dialog sei ein Ort der gegenseitigen Bereicherung, der weitergeführt werden sollte.

„Die traditionellen afrikanischen Religionen, wenn wir sie im Plural nehmen, wollen vor allem von den Besonderheiten sprechen, die in unserer Rede von Gott existieren, in unserer Art, Gott zu feiern, in unserer Art, uns auf Dinge, Wesen und Worte zu beziehen. Wenn wir von ihnen im Singular sprechen, dann können wir sagen: Hier finden wir jenseits der jeweiligen Besonderheiten das, was Afrika über Gott sagt. Hier finden wir die Art und Weise, wie wir Afrikaner uns auf das Absolute beziehen, auf Gott, aber auch auf Dinge, Wesen, Worte und Personen.“

Dorf in Angola
Dorf in Angola

„Wie wir Afrikaner uns auf das Absolute beziehen, auf Gott, aber auch auf Dinge, Wesen, Worte und Personen“

Traditionelle Religionen? Oder eine afrikanische Religion?

Nach dem Dafürhalten des Jesuiten, der auch seinen Jesuiten-Ordensgeneral in Sachen traditionelle Religionen berät, kann man von der „afrikanischen Religion“ als einem großen Ganzen sprechen. Und auch wenn es bei der Begegnung des afrikanischen Kontinents mit der Außenwelt gewalttätige Episoden gegeben habe, solle man nicht in die Falle tappen, die afrikanische Geschichte auf diese unruhigen Seiten zu reduzieren.

„Wenn ich von Afrika spreche, dann meine ich Afrika von Beginn der Geschichte an, also vom Auftauchen des Menschen auf diesem Kontinent bis in unsere Zeit. In diesem Sinne haben alle Buchreligionen - das Christentum, das Judentum und der Islam - auf die eine oder andere Weise eine Beziehung zu Afrika; Christen führten zum Beispiel schon lange vor dem Eintreffen der ersten Missionare einen Dialog mit den religiösen Vorstellungen Afrikas; die koptischen Christen in Ägypten und Äthiopien zum Beispiel haben viel aus der lokalen Kultur und Religion geschöpft, um ihren Glauben an Christus auszudrücken.“

Koptische Christen in Kairo
Koptische Christen in Kairo

„Kopten und Wüstenväter knüpften an örtliche Kulturen an“

Pater Mpay spricht hier als Fachmann für Religionen der pharaonischen Zeit. „Auch das Phänomen des ägyptischen Mönchtums steht im Dialog mit den afrikanischen Religionen. Der Ruf in die Wüste, die Beziehung zum Tod, die Frage des Lebens nach dem Tod, das Kreuz als Baum des Lebens… dieser Dialog ist sehr alt, er ist keine Sache von heute erst oder vom 18. Jahrhundert. Bei dieser ersten Begegnung zwischen dem christlichen Glauben und dem afrikanischen Kontinent, wie auch bei den späteren Missionswellen, waren die Christen bestrebt, nach Zeichen zu suchen, die uns helfen können, Gott oder den Gott Jesu Christi durch die angestammten, lokalen afrikanischen Kulturen und Religionen auszudrücken. Der alte Dialog geht also weiter: Als afrikanische Christen sind wir immer im Dialog, in der Unterscheidung, denn der Geist spricht zu den Nationen.“

„Als afrikanische Christen sind wir immer im Dialog, in der Unterscheidung, denn der Geist spricht zu den Nationen“

Gegen die Versuchung des Zerebralen

Für Pater Mpay ist der Dialog zwischen dem Christentum und den traditionellen afrikanischen Religionen, wie jeder echte Dialog, eine Begegnung des Gebens und Nehmens. „Was wir Christen aus unserem Dialog mit den lokalen Religionen empfangen können, ist zum Beispiel die Sensibilität für die Welt der Geister, die Sensibilität für unsere Art, von Gott zu sprechen, unsere Art, Gott zu feiern. Angesichts der Versuchung, zu zerebral zu sein, zeigen uns die traditionellen Religionen, dass es der ganze Körper ist, der zur Liturgie wird, eine Seinsweise.“

Dann sei da noch die Frage nach dem Bösen. „Wie besorgt sind wir über das Böse! Wenn man aber auf die traditionellen Religionen in Afrika schaut, stellt man fest, dass das eigentlich keine Frage war, die die Menschen permanent unter Stress gesetzt hätte. Wir wussten, dass die Sonne jeden Morgen so wieder aufging, wie sie untergegangen war; natürlich war der Mensch mit dem Bösen konfrontiert, aber ihm war bewusst, dass Gott teilnahm an diesem Kampf gegen das Böse. Aber das Böse ist nicht unbedingt außerhalb von uns, es steckt auch in uns selbst…“

Traditionelle Heilerin in Südafrika
Traditionelle Heilerin in Südafrika

„Einfachheit lernen“

Und was können die traditionellen Religionen aus dem Dialog mit dem Christentum lernen? Antwort des kongolesischen Jesuiten: wie sie ihre Inhalte systematisieren können, insbesondere durch die Schaffung starker Strukturen. Traditionelle Religonen in Afrika hätten  so gut wie keine heiligen Schriften oder Kultgebäude.

„Aber die traditionellen Religionen zeigen den Christen, dass man nicht immer große Strukturen braucht, um religiös zu sein. Die Natur selbst ist ein riesiger Tempel Gottes. Der Geist weht, wo er will… Wir sind also zu einer gewissen Einfachheit aufgerufen, die allerdings nicht meint, dass man die Dinge nicht ernstnehmen sollte. Wir dürfen nicht in zu starre Systeme verfallen, die letzten Endes nichts über Gott sagen. Wir sollten Tiefe und Einfachheit miteinander verbinden. Diese gegenseitige Bereicherung, dieser ständige und immer unvollendete Dialog wird sich fortsetzen, denn jede Generation ist dazu berufen, das Zeichen, die Liturgie und die Mittel zu finden, um ihren Zeitgenossen auf relevante Weise von Gott zu erzählen.“

Nicht nur Hexenglaube

Pater Mpay Kemboly ermuntert die afrikanischen Christen dazu, keine Komplexe oder Angst vor dem Dialog mit ihrer eigenen Kultur zu haben. Er bedauert, dass die traditionellen afrikanischen Religionen oft auf ihre esoterische oder dunkle Seite reduziert werden, etwa auf Hexenglauben. Doch dunkle Seiten gebe es in jeder Religion; es gelte, den Blick zu weiten.

„Die traditionelle afrikanische Religion sollte den Menschen keine Angst machen. Sie ist ein Universum, von dem aus wir die Welt betrachten. Sie ist auch ein Humus, ein Horizont, der es uns ermöglicht zu leben! In den dunklen Zeiten der Sklaverei war es die Religion, die vielen afrikanischen Sklaven das Überleben ermöglichte. Sie war für sie eine Kraft, die sie widerstandsfähig machte.“

Vater einer eigenen afrikanischen Theologie: Tharcisse Tshibangu
Vater einer eigenen afrikanischen Theologie: Tharcisse Tshibangu

Doppeltes Erbe

Aufgrund ihres doppelten Erbes sollten die „afrikanischen Christen“ den Reichtum ihres kulturellen Universums kennen und fördern, damit sie ihn der Welt präsentieren können, findet Pater Mpay. „So sehr wir in einen Dialog mit anderen externen Kulturen treten, so sehr sind wir auch zu einem Dialog mit unseren eigenen Kulturen aufgerufen!“

Unterwegs zu einer eigenen afrikanischen Theologie

Namentlich im Kongo hat sich seit den sechziger Jahren eine eigene „afrikanische christliche Theologie“ entwickelt - unter dem kürzlich verstorbenen Bischof Tharcisse Tshibangu Tshishiku. Das frühere Zaire hat als einzige katholische Ortskirche der Neuzeit einen römisch-katholischen Lokalritus.

Papst Franziskus hat in einer Botschaft an den Zweiten Panafrikanischen Theologie-Kongress, der im Juli dieses Jahres im kenianischen Nairobi stattfand, zur Entwicklung einer „Theologie der Weisheit“ aufgerufen. Diese könne zahlreiche Traditionen alten afrikanischen Denkens für das Christentum fruchtbar machen.

(vatican news – sk)
 

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19. September 2022, 11:50