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Caritas Europa: „Nur Mindestlohnrichtlinie reicht nicht“

Mit großer Mehrheit hat das EU-Parlament in dieser Woche einer neuen Mindestlohnrichtlinie zugestimmt. Die müssen nun alle Mitgliedsstaaten in den nächsten zwei Jahren auf den Weg bringen. Die Caritas Europa begrüßt das, fordert aber zugleich, auch die Menschen nicht zu vergessen, die nicht einmal einen Arbeitsplatz haben. Radio Vatikan sprach mit Shannon Pfohman, Referentin für Sozialpolitik bei der Caritas Europa.

Radio Vatikan: Wie wichtig ist der Beschluss zu dieser Mindestlohnrichtlinier, gerade auch angesichts der Inflation und steigender Kosten?

Shannon Pfohman: Wir finden, diese Richtlinie ist sicherlich ein wichtiger Meilenstein bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen derjenigen mit geringen Einkommen und derjenigen, die am stärksten von finanzieller Armut bedroht sind. Diese Richtlinie zielt darauf ab, die Arbeits- und Lebensbedingenen für alle Arbeitnehmer in der EU zu verbessern und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern. Zu diesem Zweck legt sie Mindestanforderungen für die Angemessenheit gesetzlicher Mindestlöhne fest, wie sie durch nationales Recht beziehungsweise Tarifverträge vorgesehen sind - und sie verbessert den effektiven Zugang von Arbeitnehmern zum Mindestlohnschutz. Wir glauben, diese neue Richtlinie ist enorm wichtig, weil sie für alle Arbeitnehmer in der EU gilt, die einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis haben.

Hier das Gespräch mit Shannon Pfohman zum Nachhören

Radio Vatikan: Wie Sie eben gesagt haben, geht es also darum, dass menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen geschaffen werden. Das heißt nicht, dass jetzt alle Menschen in allen Ländern den gleichen Mindestlohn bekommen. Ist das gerecht?

Shannon Pfohman: Das ist genau die Realität. Das ist schon richtig, weil die Lebenskosten unterschiedlich sind in den verschiedenen Mitgliedsländern. Aber wir plädieren dafür, dass diese Mindestlohnrichtlinie ein bisschen verändert wird, abhängig von den Ländern und von den Lebenskosten. Und inwieweit die Mindestlohnrichtlinie dazu beitragen kann, die Armut trotz Erwerbstätigkeit in der EU zu verringern, hängt davon ab, wie die EU-Länder ihre Mindestlöhne festlegen. Wenn die Länder beschließen, das Mindestlohnniveau gemäß dem internationalen Indikator von 60 Prozent des mittleren Lohns und 50 Prozent des Durchschnittslohns festzulegen, wäre das sehr hilfreich.

Die europäische Kommission geht davon aus, dass dies in einigen Mitgliedsstaaten zu einer Verringerung der Armut trotz Erwerbstätigkeit um bis zu oder sogar über 20 Prozent führen würde. Zum Beispiel könnte es in Estland, Griechenland und Rumänien zu einer Verringerung der Armut trotz Erwerbstätigkeit von über 20 Prozent führen.

Und obwohl diese Richtline für die Armutsbekämpfung wichtig ist, muss sie gleichzeitig Teil eines umfassenderen Ansatzes sein, der darauf abzielt, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen zu unterstützen und zu befähigen, ihre Menschenwürde zu wahren. Das bedeutet, dass Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik zusammenarbeiten müssen, um die Armut zu bekämpfen und niemanden zurückzulassen.

„Obwohl diese Richtline für die Armutsbekämpfung wichtig ist, muss sie gleichzeitig Teil eines umfassenderen Ansatzes sein, der darauf abzielt, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen zu unterstützen.“

Radio Vatikan: Das heißt, Sie sagen, dass die Mindestlohnrichtlinie allein nicht reicht, sondern dass noch mehr zur Armutsbekämpfung unternommen werden muss?

Shannon Pfohman: Auf jeden Fall muss sehr viel gemacht werden, um Armut zu bekämpfen. Vor allem, weil diese Richtlinie nur die Leute betrifft, die schon Arbeitsplätze haben oder einen Arbeitsvertrag. Aber es gibt viele Leute in der EU, die überhaupt keine Arbeit haben und auch keine Möglichkeit haben, eine Beschäftigung zu finden, zum Beispiel weil sie krank sind, psychische Probleme haben oder auch andere Gründe haben, weswegen sie nicht arbeiten können. Und auf jeden Fall sehen wir, dass mehr Leute von dieser Finanzkrise, von der Energiekrise und den erhöhten Lebenskosten betroffen sein werden und auch schon betroffen sind. Es muss also viel mehr gemacht werden, um Armut zu bekämpfen.

Radio Vatikan: Jetzt sagen manche Länder, wie beispielsweise Dänemark, dass die EU sich beim Thema Mindestlohn nicht in die Regelungen der Länder einmischen sollte. Können Sie das nachvollziehen?

Shannon Pfohman: Ich kann das nachvollziehen, weil wir hier von Ländern wie Dänemark oder Schweden sprechen, wo die Sozialpolitik schon sehr stark ist und wo sie schon ziemlich gute Hilfe leisten und Sozialleistungen ermöglichen für ärmere Menschen. Und sie wollen natürlich nicht, dass die Standards, die sie haben, niedriger werden könnten durch solche EU-Richtlinien. Aber wir sehen das als sehr wichtig an, weil es andere Länder gibt, die wenig Sozialhilfe leisten oder anbieten und sie brauchen diese EU-Standards, damit sie das überhaupt auf ein normales Niveau erhöhen können.

Die Fragen stellte Hannah Krewer.

(vatican news)

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16. September 2022, 10:03