Kasachstan: „Hohes Bedürfnis nach Spiritualität und Religiosität“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Radio Vatikan: Wie würden Sie als Leiter von Renovabis die kleine katholische Diaspora-Kirche in Kasachstan charakterisieren? Was sind ihre Stärken heute?
Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer der Solidaritätsaktion Renovabis: Ich denke, die kasachische katholische Kirche hat im Moment große Chancen, weil sie vor einer Situation steht, in der sich das Land sehr stark verändert. Wir haben sehr viele Menschen, die aus anderen Ländern wie Korea oder China nach Kasachstan kommen, um dort beruflich eine neue Existenz aufzubauen. Dort spürt man gerade in den städtischen Umfeldern ein Bedürfnis nach Spiritualität und nach Religiosität. Und hier etwas anzubieten, was nicht nur Liturgie, sondern auch gelebter Glaube und soziale Kompetenz ausstrahlt ist, denke ich, eine Chance für die Kirche in Kasachstan, wie sie kaum ein anderes Land in Zentralasien im Moment hat.
Radio Vatikan: In der Sowjetunion war die Kirche in Kasachstan verfolgt. Nach der Unabhängigkeit 1991 sind sehr viele Kasachen ausgewandert, unter ihnen Katholiken, auch viele nach Deutschland. Wie sehr ist das noch in der DNA der katholischen Kirche in Kasachstan präsent heute und prägt auch die Zukunft?
Thomas Schwartz: Die Kirche in Kasachstan ist in der Tat geprägt gewesen von sehr vielen traditionsreichen Katholikinnen und Katholiken aus volksdeutschen und auch volkspolnischen Umfeldern, die in den letzten Jahrzehnten in der Tat dann in die Herkunftsländer zurückgegangen sind. Der Klerus und auch die kirchlichen Strukturen sind aber leider noch sehr in traditionellen Denkmustern beheimatet. Das heißt nicht, dass sie das nicht ändern könnten. Aber es ist eine große Herausforderung, auch für die Bischöfe und die Pfarreien, eine neue Positionierung zu finden und auf die neuen Herausforderungen, die eine sich ändernde Umgebung auch an die katholische Kirche stellt, auch wirklich eine Antwort geben zu können.
Radio Vatikan: Am kommenden Mittwoch feiert Papst Franziskus in der Hauptstadt Nur-Sultan zusammen mit den Gläubigen Kasachstans die Heilige Messe. Ebenfalls angekündigt haben sich katholische Gläubige aus Russland, die zum Papstbesuch nach Nur-Sultan pilgern. Was bedeutet das für die Katholiken in Kasachstan und die, die so weit aus Russland kommen, mit dem Bischof von Rom eine Heilige Messe zu feiern?
Thomas Schwartz: Der Heilige Vater hat ja immer verkündet, dass er an die Ränder gehen will. Und die Ränder der Kirche sind nun mal Länder, die weit von der römischen Ökumene weg sind, wie eben Kasachstan oder auch viele Christen in Russland. Es ist eine besondere Chance in einer Situation, in der wir alle wissen, dass es sehr schwierig ist und große politische Fragestellungen hervorrufen würde, wenn der Papst jetzt nach Russland reiste. Dort kann er aber nun mit Gläubigen aus Russland zusammenkommen, mit ihnen die Eucharistie zu feiern, mit ihnen Gemeinschaft feiern und ihnen deutlich machen: Ihr seid nicht allein. Ihr seid von uns wahrgenommen, ernstgenommen. Ihr seid im Blick, nicht nur des Papstes, sondern auch im Blick der ganzen Weltkirche.
Radio Vatikan: Kasachstan ist ein straff regiertes, aber andererseits auch ein weitgehend friedliches Land. Wenn Sie den Papstbesuch in die Zukunft weiterdenken: Was ist das Beste, das er in Kasachstan auslösen könnte?
Thomas Schwartz: Der Heilige Vater geht ja als Friedensapostel, als Botschafter des Friedens nach Kasachstan, so ist ja auch das Leitmotiv dieser pastoralen Reise und auch des Weltkongresses der Religionen, der dort stattfindet. Und ich denke, das ist das Beste, was der Heilige Vater dann auch tatsächlich für diese Menschen in Kasachstan bieten kann. Wir sind eine Religion des Friedens, wir sind eine Religion der Versöhnung, wie sind eine Religion des Dialogs, der Mitmenschlichkeit. Wir wollen keinen Krieg, wir wollen kein Gegeneinander, wir wollen noch nicht einmal ein Nebeneinander. Unser Ziel ist das Miteinander aller Menschen, weil alle Kinder Gottes sind.
Radio Vatikan: Die katholische Kirche ist, wie Sie gesagt haben, in Kasachstan zum Teil noch in älteren Strukturen und Denkmustern verhaftet. Und wir wissen auch, dass nicht wenige Gläubige bestimmten Lehraussagen von Papst Franziskus kritisch gegenüberstehen. Was kann sich denn hier durch eine persönliche Begegnung bewegen?
Thomas Schwartz: Es ist immer besser, wenn man miteinander redet, statt übereinander zu reden. Das ist nicht nur eine Erfahrung, die man jetzt in Kasachstan machen kann, wenn der Heilige Vater das Land besucht. Sondern das ist auch eine Erfahrung, die wir bei uns in Deutschland und überall, wo wir zu einem synodalen Weg und einem synodalen Prozess aufgerufen sind, machen können, wenn wir es ernst meinen. Das Miteinanderreden heißt nicht, dass man einander nach dem Mund redet. Das wird auch der Heilige Vater in Kasachstan nicht tun und das werden wahrscheinlich auch manche Gläubige in Kasachstan gegenüber dem Heiligen Vater nicht tun. Das ist auch nicht notwendig. Aber das miteinander beten, das füreinander beten ist schon etwas, was das Auseinanderdriften, das ja auch immer eine latente Gefahr für uns Christen darstellt, vermeiden kann.
(vatican news – gs)
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