Konkurrenten ums Präsidentenamt: Bolsonaro (links) und Lula Konkurrenten ums Präsidentenamt: Bolsonaro (links) und Lula 

Brasilien: Misereor hofft auf Lula

Nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Brasilien hofft das katholische deutsche Hilfswerk Misereor auf ein Comeback von Luiz Inácio „Lula“ da Silva ins höchste Staatsamt.

Das sagte Misereor-Chef Pirmin Spiegel an diesem Dienstag in einem Interview mit Radio Vatikan. Mit Sorge sieht der Geistliche die scharfe Polarisierung in Brasilien: Das sei auf jeden Fall eine Hypothek für den Sieger der kommenden Stichwahl.

Interview

Wie blicken Sie auf dieses Ergebnis der ersten Wahlrunde in Brasilien?

„Wir kennen das Ergebnis: 48,4 Prozent für Ex-Präsident Lula und 43,2 Prozent für den aktuellen Präsidenten Bolsonaro. Die Erwartungen waren andere: Lula wurden bis zu fünfzig Prozent zugetraut, während bei Bolsonaro weit weniger Stimmen erwartet wurden, als er jetzt bekommen hat. Von daher ist es überraschend. Die zwei Optionen, die durch diese zwei Kandidaten abgebildet werden, liegen eindeutig auf der Hand; sie bestimmen, in welche Richtung das Land und eigentlich ganz Lateinamerika gehen werden.“

Pirmin Spiegel
Pirmin Spiegel

„Vier schmerzhafte Punkte: Hunger, Amazonien, Pandemie und Diskreditierung der Demokratie“

Misereor hat sich sehr deutlich positioniert: ‚Kurz vor der ersten Runde der Wahlen in nur vier Jahren ist Brasilien unter Bolsonaro auf die Weltkarte des Hungers zurückgekehrt‘. Haben Sie jetzt Angst, dass es auf einmal doch eine zweite Auflage von Bolsonaro gibt?

„Es gibt vier Punkte, die wir besonders schmerzlich erfahren haben in den letzten vier Jahren: Einmal die Hunger-Zone, in die Brasilien zurückgekehrt ist. Das sind nicht nur statistische Zahlen, dass mehr als 30 Millionen Menschen hungern, sondern es geht hier um Leben, um konkrete Menschen, um Namen!

Das zweite ist die Frage Amazoniens, der Umwelt. Bolsonaro sieht den Amazonas-Bereich eher als Geschäft für Goldgräber, für Viehwirtschaft, für Sojaanbau, für Agrobusiness. Dann die Pandemie: Sie hat fast eine Viertelmillion Brasilianerinnen und Brasilianer das Leben gekostet. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation wäre es bei einer anderen Gesundheitspolitik möglich gewesen, Hunderttausende Leben zu schonen. Und dann die Dämonisierung von demokratischen Institutionen.

Bolsonaro-Anhänger in der Wahlnacht am Sonntag
Bolsonaro-Anhänger in der Wahlnacht am Sonntag
Lula oder Bolsonaro? Radio-Vatikan-Interview mit Pirmin Spiegel (Misereor)

All das hat uns und unsere Partner zur Richtung gebracht, dass eine Wahl Lulas der bessere Weg wäre für die nächsten vier Jahre. Wobei nach diesem Wahlergebnis beide Wege – egal wer die Wahl am Monatsende gewinnen wird – eine schwere Herausforderung bedeuten werden, weil das Land nicht nur von den Optionen her gespalten ist, sondern auch von den Wahlergebnissen her. Während der Süden und der Mittlere Westen eher für Bolsonaro stimmten, haben das arme Gebiet im Nordosten und im Norden eher für Lula gestimmt.“

„Korruption ist in der Tat eine große Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes“

Das klingt nach Hoffnung auf Lula – auch wenn natürlich das Gespenst der Korruption da weiter wabert…

„Ja, Lula hat in den Jahren seiner Präsidentschaft von 2003 bis 2010 den Hunger enorm dezimiert. Er hat Universitäten geöffnet für die Mittelschicht, für vulnerable Menschen. Aber das Gespenst der Korruption war nicht nur ein Gespenst, sondern wurde sehr konkret während seiner Amtszeit.

Es ist eines der Argumente Bolsonaros, dass er gegen diese Korruption angehen werde. Allerdings ist nach den Informationen und den Kommunikationen unserer Partnerorganisationen in Brasilien die Korruption bei der Regierung Bolsonaro nicht weniger als zur Zeit der Regierung Lula. Aber Korruption ist in der Tat eine große Herausforderung für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes.

Bei Bolsonaro sehen wir, dass er Korruption anklagt – und gleichzeitig predigt er Hass. Er gebraucht Lügen und Fake News. Da ist doch ein starker Unterschied sowohl in der persönlichen Lebensgeschichte als auch in den öffentlichen Äußerungen. Aber ich stimme Ihnen zu: Die Regierungszeit der PT (Arbeiterpartei) mit Lula in den acht Jahren zu Beginn dieses Jahrhunderts war ebenfalls von Korruption geprägt… Und die ersten Verlierer der Korruption sind in der Regel die vulnerablen und die arm gemachten Menschen!“

(vatican news – sk)
 

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04. Oktober 2022, 12:07